Gefahr: Mangel an Selbstflexion
Im persönlichen Gespräch räumen viele weibliche oder männliche Gründer, Mittelständler, Freiberufler wie auch angestellte Führungskräfte ein, dass der eigene Erfolg im Laufe der Jahre den Misserfolg vorbereiten kann. Als Organisationsberater und Coach habe ich zahlreiche Menschen in Unternehmen erlebt, deren Projekte sich entwickelten und deren Unternehmen zunächst schnell wuchsen, die als Menschen aber immer risikoscheuer oder sozial problematischer wurden. Die Veränderungen im persönlichen Verhalten wirken sich auf das Betriebsklima, auf die Innovationsfähigkeit und letztlich auf den Geschäftserfolg negativ aus. Als wesentliche Ursachen erkenne ich mangelnde Bereitschaft und auch Unfähigkeit, sich – im Sinne einer gelingenden Selbstführung – immer wieder kritisch selbst in Frage zu stellen. Häufig handelt es sich um eine Art Erstarrung, es fehlt die Weiterentwicklung und Vitalisierung der eigenen Zukunftsbilder oder Visionen.
Starre Visionen versus flexible Visionen
Visionen sind Zukunftsbilder. Eine unternehmerische Vision gezielt einzusetzen, kann ein Erfolgsrezept sein, wie ich in zahlreichen persönlichen Begegnungen mit Führungskräften und eigenen Beratungsprojekten erfahren konnte. Auch anerkannte Fachautoren betonen den Stellenwert klarer Zukunftsbilder, so zum Beispiel Stephen Covey, der Vision als „das Vermögen, über unsere gegenwärtige Realität hinauszublicken, etwas noch nicht existierendes zu erfinden und zu schaffen, jemand zu werden, der wir noch nicht sind“ umschreibt. Der amerikanische Organisationsentwickler Peter Senge betont, dass Vision die eigene Berufung meint und nicht nur eine gute Idee.
Wenn ich weiß, wohin ich will und was mich antreibt, dann bin ich weniger anfällig für Ablenkungen, kann mich leichter fokussieren. Allerdings hat eine starre Zielperspektive auch Nachteile. In unserer schnelllebigen Zeit genügt es allerdings nicht, „die“ Idee oder Vision zu finden und dann über Jahre zu verfolgen. Viele Gründer und Mittelständler bestätigen, dass die persönliche Vision immer wieder einer kritischen Überprüfung unterzogen und weiterentwickelt werden muss. Klare Zukunftsbilder sind folglich noch lange kein Garant für langfristigen Erfolg, im Gegenteil: viele Projekte scheitern daran, dass stur an einmal gesetzten Zielvorstellungen festgehalten wird und es an Flexibilität mangelt. Gefahren sind dabei vor allem die Vernachlässigung unternehmerischer Gelegenheiten und das Übersehen von Veränderungen im Markt. Ebenso problematisch für den unternehmerischen Menschen kann es sein, wenn dieser durch vermeintliche oder tatsächliche Erfolge vereinsamt, sich verhärtet und letztlich aus allen sozialen Gefügen herausfällt.
Beispiel Titus Dittmann: sich treu bleiben in der Veränderung
Zahlreich sind heute die Ablenkungen, denen sich Führungskräfte ausgesetzt sehen. Der Engpass ist nicht Zeit oder Geld – der Engpass ist Aufmerksamkeit. Es fällt leicht, immer beschäftigt zu sein und negative Entwicklungen – eigene oder unternehmerische – durch einen vollen Terminkalender mit zahlreichen Projekten zu verdrängen. Oft ist es ein äußerer Auslöser, eine Krise etwa, die zum Nach- und Umdenken zwingt.
Menschen wie der Skateboardpionier Titus Dittmann aus Münster beweisen, dass man sich nur dann treu bleibt, wenn man sich weiterentwickelt. Dittmann, eigentlich Lehrer, erkannte für sich, dass in diesem Beruf keine Erfüllung für ihn liegen würde. Mit dem Import von Skateboards aus den USA fand er seine Nische. Er startete mit dem eigenen Wohnzimmer als Verkaufsraum, baute sukzessiv eine Firmengruppe auf und hatte grandiosen Erfolg. Ein geplanter Börsengang scheiterte, auch aufgrund falscher Führungskräfteauswahl – sein eigener Fehler. In der Folge führte er seine Unternehmen durch eine schmerzliche Krise und sah sich selbst mit Existenzangst konfrontiert. Für ihn war der Lösungsweg durch eine Besinnung auf seine eigenen Werte, den Rückhalt der Familie und die radikale Neuausrichtung der Firmen gekennzeichnet. Die Firmen konnten neu aufgestellt und der persönliche Ruin verhindert werden. Titus Dittmann hatte zwischenzeitlich die Regie an seinen Sohn gegeben – in der Krise wurde er selbst wieder zum Regisseur des eigenen Lebens und widmet sich seiner Stiftung skate-aid.
Die eigenen Zukunftsbilder regelmäßig überarbeiten
Visionen und eigene Zielvorstellungen müssen immer wieder auf den Prüfstand und dazu bedarf es geeigneter Methoden. Meinen Coachingkunden empfehle ich, mindestens jährlich in eine persönliche Klausur zu gehen und Leitfragen wie diese zu stellen:
Welche Zukunft strebe ich an?
Was will ich zur Entfaltung bringen?
Welchen Sinn und Zweck verbinde ich mit meinem Leben?
Was hat sich in mir oder in meinem Handlungskontext geändert und wie beeinflusst dies meine Vision?
Fragen wie diese erlauben es, die eigene Vision kritisch zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Damit bleiben wir offen für neue unternehmerische Gelegenheiten, können diese einbeziehen und sinnvoll nutzen – und behalten die Regie. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang eine konstruktive innere Einstellung, wie zum Beispiel: Ich begreife mein Leben als schöpferisches Werk oder: Ich sehe mich als unternehmerischen Menschen mit klaren Zielen, der die Gelegenheiten auf meinem Weg integriert.