Dank der umfangreichen Berichterstattung in den Medien ist das Thema Industrie 4.0 inzwischen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) verstärkt in den Fokus gerückt. Auf dem Weg zur Industrie 4.0 bilden MES- Systeme als Informationsdrehscheibe und erster Schritt zur Dezentralisierung die Grundlage. Im Vergleich zum lang andauernden Prozess hin zur Industrie 4.0 lassen sich MES-Systeme in Produktionsunternehmen relativ schnell implementieren.
Jedoch sehen Unternehmer bei der Einführung eines MES- Systems in erster Linie den großen Aufwand und die hohen Kosten und scheuen deshalb – vor allem in konjunkturell schlechten Zeiten – den Investitionsaufwand. In wirtschaftlich guten Zeiten wie jetzt hingegen wollen oder können Unternehmer meist nur ungern die dafür erforderlichen personellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Doch gerade jetzt liegt es in der unternehmerischen Verantwortung, die Zeit zu nutzen, Geld in die Hand zu nehmen und mit einem MES-System die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens abzusichern.
Im Folgenden wird gezeigt, dass man mit schlanken Mitteln an den Start gehen kann, wie man die Mitarbeiter ins Boot holt und für MES begeistert und wie man Schritt für Schritt zum umfassenden MES-System gelangt. Und man dabei keinesfalls an unkalkulierbaren Aufwand und hohe Abbruchraten der MES- Projekte denken muss, solange beim Projektablauf bestimmte Punkte beachtet werden.
Start OEE
Gehen wir in unserem Beispiel von einem mittleren Produktionsunternehmen aus, in dem nach Bauchgefühl alles gut läuft. Der neue Produktionsleiter Herr Müller hat, nachdem er sich einige Zeit die Produktionsprozesse angeschaut hat, hierzu aber eine andere Meinung. Er sieht deutliche Optimierungspotenziale und würde daher gern ein MES-System im Unternehmen einführen.
In Bezug auf die Erfassung der Maschinendaten (MDE) ist der momentane Stand der, dass die Produktionsmitarbeiter ihre Einträge zu Stillständen und Störungen in vorgedruckten Formularen per Hand aufschreiben. Das wird entweder sofort erledigt oder auch erst kurz vor Feierabend – wie es das Produktionsgeschehen zulässt. Dabei ist die manuelle Protokollierung von Stillständen, Störungen etc. jedoch hinsichtlich der genauen Uhrzeiten, der exakten Dauer und der Beschreibung der Ursache für aussagekräftige Auswertungen zu ungenau und zu fehleranfällig.
Die Produktionsmitarbeiter übergeben die Erfassungsblätter anschließend dem Meister oder Schichtleiter, der die Werte in Tabellen eintippt, um diese wiederum ans Controlling weiterzuleiten. Das Controlling erstellt daraus dann OEE-Berechnungen, die der Betriebs- und Produktionsleitung sowie der Geschäftsführung zur Verfügung gestellt werden. So hat man mit viel Aufwand und mehreren Tagen Verzögerung nun OEE-Auswertungen, über deren Aussagekraft berechtigte Zweifel angebracht sind.
Produktionsleiter Müller hat die Problematik schnell erkannt. Er möchte den Geschäftsführer überzeugen, dass mit einem MES-System diese Daten detailliert, unverfälscht und vor allem in Echtzeit vorliegen, um einerseits auf Probleme sofort reagieren und andererseits auch weitere Prozesse optimieren zu können. Allerdings weiß er, dass allein die Begriffsnennung „MES“ beim Geschäftsführer aufgrund der hohen Investitionskosten und hierfür gebundenen Ressourcen in Blockade mündet. Also entwickelt er eine Strategie.
Er überzeugt seinen Chef davon, dass die manuelle Datenerfassung zu viele Ungenauigkeiten hat und für die Maschinenbediener einen zu hohen zeitlichen Aufwand bedeutet. Deswegen möchte er mit einem OEE-Messgerät zuerst an einer Anlage mit geringem Installationsaufwand und niedrigen Kosten einen Test starten. Sein Chef bewilligt ihm die benötigten 2.000,- Euro für drei Monate Mietstellung, Inbetriebnahme und Schulung für das OEE-Messgerät. Der Betriebsrat konnte schnell überzeugt werden, dass das OEE-Gerät in erster Linie eine Arbeitserleichterung für die Maschinenbediener darstellt. Bereits eine Woche später wird das Messgerät an der Anlage installiert und die Kollegen eingewiesen. Die Bedienung stellt sich für die Mitarbeiter als einfach und komfortabel dar.
Die Start- und Endzeiten bei Stillständen werden in Echtzeit vom OEE-Messgerät vorgegeben. Die Maschinen-Bediener brauchen lediglich Buttons direkt am Touchscreen antippen, um einen Stillstand wie zum Beispiel Materialmangel auszuwählen oder eine Störung zu detaillieren. Nach anfänglicher Skepsis sind sie begeistert, keine lästigen Aufschriebe mehr machen zu müssen und empfinden die Arbeit mit dem OEE-Messgerät als Arbeitserleichterung. Gleichzeitig kann der Schicht- oder Produktionsleiter genaue Rückschlüsse ziehen, wann die Anlage wie lange still stand, zum Beispiel bei nicht rechtzeitig bereitgestelltem Material.
Die OEE-Berichte stehen für detaillierte Auswertungen hinsichtlich Optimierungsmöglichkeiten prompt zur Verfügung und bei längeren Maschinenstillständen hat sich Müller eine Alarmierung auf sein Handy einrichten lassen. Nach der ersten Woche Testlauf lassen sich durch die Analyse der Stillstandsgründe konkrete Problemstellen an der Anlage erkennen, die durch gezielte technische und organisatorische Optimierungsmaßnahmen reduziert werden können. Der Output der Anlage steigt kontinuierlich an. Müller kann mit seinen ROI-Berechnungen den Geschäftsführer nach insgesamt drei Monaten Testlauf überzeugen, dass sich das OEE-Messgerät innerhalb kürzester Zeit amortisiert hat.
Think MES
Der Geschäftsführer erkennt, dass im gesamten Produktionsbereich Optimierungspotenzial erschließbar ist und gibt das Go für die Einführung eines MDE-/BDE-Systems. Es wird ein Team mit Kollegen aus allen betroffenen Bereichen zusammengestellt (IT, Produktion, Betriebsrat, Lean etc.), das im ersten Schritt die Anforderungen des Unternehmens an ein solches System mit Schnittstelle zum ERP-System definieren soll. Schnell wird dem Projektteam klar, dass nur ein modulares MES-System die zukünftigen Anforderungen abdecken und entsprechend mitwachsen kann, ohne später für Softwarelösungen unterschiedlicher Anbieter aufwändige Schnittstellen realisieren zu müssen.
Da mit dem MES-System zukünftig auch personenbezogene Leistungsauswertungen möglich sein können, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Deswegen ist es zwingend erforderlich, dass betriebsinterne Vereinbarungen bereits vor der MES-Einführung getroffen werden.
Das Lastenheft steht innerhalb einiger Wochen. Nach umfangreicher Sichtung aller MES-Anbieter werden schließlich die drei Favoriten zu Präsentationen eingeladen. die Projektbeteiligten prüfen alle Vor-und Nachteile, Kosten und Funktionalitäten und entscheiden sich, mit einem MES-Anbieter eine Pilot- Installation zu starten. Der Pilot wird zunächst an drei Anlagen für einen Zeitraum von drei Monaten installiert. Hierfür werden die Software-Lizenzen und die benötigte Hardware vom MES-Anbieter kostenfrei zur Verfügung gestellt. Kosten entstehen für das Produktionsunternehmen lediglich für die Dienstleistungen: für den notwendigen Workshop, die Inbetriebnahme des Systems und die Schulung der Mitarbeiter.
Bereits einige Wochen später geben erste Erfolge Produktionsleiter Müller Recht. In so kurzer Zeit eine so deutliche Steigerung der Produktivität zu erreichen, hätte auch er sich nicht träumen lassen. Auch der Geschäftsführer ist nun restlos überzeugt. In enger Kooperation mit dem MES-Anbieter wurden die während der Pilotphase vorab festgelegten Anforderungen weiter an die Produktionssituation angepasst: Stillstandsgründe wurden verfeinert, Produktiv- und Ausfallzeiten definiert, Terminalansichten und Reports angepasst etc.
Für alle Projektbeteiligten steht nach diesen ersten Monaten fest, dass nun mit der optimierten Funktionalität der Rollout für weitere 20 Anlagen gestartet wird. Bereits ein Jahr später hat das Thema MDE/BDE alle Unternehmensebenen durchdrungen, so dass der weitere Ausbau hin zum vollumfänglichen MES- Systems begonnen wird: das Instandhaltungsmodul wird implementiert und wiederum ein Jahr später wird das Planungsmodul zur automatischen Verplanung der Fertigungsaufträge lizenziert. Die Umsatz- und Auftragszahlen geben dem Unternehmen Recht: nicht nur die Produktivität konnte spürbar gesteigert werden, auch die Transparenz durch das umfassende Monitoring in der Produktion möchte kein Mitarbeiter mehr missen und die Kunden loben die zuverlässig hohe Produktqualität und Termintreue. Der Weg hat sich also für alle gelohnt.