Paderborn. Als Steve Jobs die Idee des iPads entwickelte, hatte er eine Vision. Dass das erfolgreiche Apple-Produkt als therapeutisches Hilfsmittel in einem Paderborner Kindergarten eingesetzt wird, gehörte wohl nicht dazu. Doch genau das ist jetzt Realität geworden. Die Idee einer Physiotherapeutin der Kindertagesstätte St. Christophorous in Paderborn-Sennelager (eine Einrichtung des Caritas Verbandes Paderborn) führte dazu, das ein iPad für körperlich und sprachlich behinderte Kinder heute ein höchst förderndes Medium ist und in der unterstützenden Kommunikation den Alltag der Kinder und der Erzieher vereinfacht. Und auch das Zusammenspiel zwischen Kindern mit Behinderung und Regelkindern erlangt eine neue Qualität. Ermöglicht wurde diese Unterstützung durch das Paderborner Unternehmen Indiginox.
Indiginox, die Spezialisten für mobile Anwendungen, entwickeln Strategien und beraten internationale Unternehmen wie zum Beispiel Vodafone, Deutsche Telekom und BP. In diesem Fall kreierten sie zwei Applikationen für die Anwendung in der integrativen Tagestätte und spendierten der Einrichtung ein iPad, damit der Umgang und die Effekte mit den Kindern im Rahmen eines Pilotprojektes ausprobiert werden konnten. Seit Anfang Mai nutzen Erzieher, Sprachheilpädagogen, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten das Gerät und kommen zu erstaunlichen Ergebnissen. Da ist zum Beispiel der 5 Jahre alte Tim. Er leidet unter einer Cerebralparese mit spastischen, unkontrollierten Bewegungen der Arme und Beine. Damit der Junge, dessen Körper einer permanenten Verkrampfung ausgesetzt ist und der die meiste Zeit im Rollstuhl oder liegend verbringt, entlastende Körperhaltungen einnehmen kann, muss er mehrmals am Tag einige Zeit in einem Stehständer verbringen. Das ist für ihn sehr anstrengend und bereits nach 10 Minuten wird er ungeduldig und möchte das therapeutische Gerät am liebsten wieder verlassen. „Geben wir Tim das iPad, während er im Stehständer ist, dann beschäftigt er sich sehr konzentriert bis zu 45 Minuten und hat sogar Freude daran“, berichtet Diplom Sozialpädagogin Silvia Güse.
Ein weiteres Beispiel ist Anita, die zum Sommer den Kindergarten verlassen hat und nun in die Schule kommt. Das mehrfachbehinderte Mädchen mit guter Intelligenz konnte zu Beginn des Jahres weniger als zehn Worte sprechen. Mit dem iPad lernte sie spielerisch rund 60 Wörter und ist jetzt sogar in der Lage Zwei- bis Drei-Wortsätze zu bilden. „Sie hat sprachlich eine richtige Explosion erfahren und kann heute die korrekte Silbenzahl bilden und auch die Sprachmelodie perfekt nachahmen“, freut sich Diplom-Sprachheilpädagogin Eva Berling. In diesem therapeutischen Bereich gibt es seit vielen Jahren Kommunikationsgeräte, die von Krankenkassen finanziert werden und rund 4000 Euro kosten können. Diese antiquiert wirkenden tragbaren Kleincomputer bergen jedoch eine Menge Nachteile. Sie sind sehr schwer, haben nur die Sprachfunktion und benötigen beim Systemstart rund 4 Minuten. Will sich ein Kind mit Hilfe des Computers bemerkbar machen, weil es zum Beispiel zur Toilette muss, dann kann das nach vier Minuten schon „in die Hose gegangen sein“. Beim iPad, das sofort verfügbar ist, kann das Kind dagegen unmittelbar kommunizieren. Zum Einsatz kommt das Gerät auch, wenn es um das spielerische Lernen anderer Themen geht. So kann ein Kind mit dem iPad auch Botengänge erledigen. Mittels einer Sprachaufnahme spricht die Erzieherin auf „Ich möchte eine Tube Klebe haben“ und schickt das Kind mit dem iPad in eine andere Gruppe. So erfährt das Kind seine Selbstwirksamkeit und lernt, dass es in der Lage ist, auch solche Dinge erfolgreich zu bewältigen. Das stärkt zugleich das Selbstbewusstsein der Kinder. Die Mitarbeiter des Kindergartens sind sich einig: „Kinder mit Behinderungen brauchen eine besondere Förderung und mit dem iPad können wir die Ressourcen der Kinder noch viel besser hervorholen und verbessern“.
Nach der dreimonatigen Testphase sind die Betreuer der Kinder äußerst zufrieden. Der therapeutische Einsatz des iPad bringt enorme Vorteile: Dazu gehört insbesondere, dass sich die Lebensqualität der Kinder stark verbessert. Sie finden Gemeinsamkeiten mit den Regelkindern und werden als Spielpartner interessant.
So hilft zum Beispiel die von Indiginox eigens entwickelte Anwendung „Colours & Numbers Dice“ bei vielen Spielen. Dabei handelt es sich um einen Würfel, mit dem auf dem iPad gewürfelt werden kann. Körperlich behinderte Kinder und auch autistische Kinder sind nicht in der Lage einen herkömmlichen Würfel zu verwenden, da ihnen die Dreidimensionalität fehlt oder Verkrampfungen ein loslassen nicht ermöglichen. Mit dem iPad-Würfel können sie mit den anderen Kindern an Würfelspielen teilhaben. Und auch das von Indiginox programmierte Spiel „Colour Clouds“, das als Brettspiel „Balloni“ in vielen Einrichtungen vorhanden ist, ermöglicht ein gemeinsames Spiel und trainiert auch die Auge-Hand-Koordination. Dies sei ein großer Schritt für die Integration der Kinder. Die Erzieher gehen sogar einen Schritt weiter und sprechen von einem erfolgreichen Schritt in die Inklusion, die die benachteiligten Kinder jetzt von vornherein einbezieht und sie so zu gleichwertigen Partnern macht. Das Ziel der Teilhabe an der Gesellschaft ist in der Therapie eine wichtige Aufgabe, die hier hervorragend gelingt. Beide Applikationen wurden bereits von Indiginox in den Apple AppStore gestellt und können von dort heruntergeladen werden.
„Nach dem der Test so erfolgreich verlaufen ist, haben wir uns entschlossen vier weitere iPads an den Kindergarten zu spenden, damit in jeder Gruppe ein Gerät zum Einsatz kommen kann. Wir wollten schon immer etwas von unserem Erfolg an die Gesellschaft zurückgeben und das ist für uns eine sinnvolle Gelegenheit, die uns viel Freude bereitet“, so Ashley Steele und Matthew Langham, beide Geschäftsführer von Indiginox, die bereits weitere Anwendungen in der Planung haben. Karl-Heinz Wiegard, Leiter der St. Christophorus Kindertagestätte ist ebenfalls von dem Konzept begeistert und beschreibt diese therapeutische Anwendung mittels iPad als eines der innovativsten Konzepte. „Wir gehören zu den ersten Einrichtungen in ganz Deutschland, die so arbeiten können“, sagt er stolz. „Im Vergleich zu anderen computergestützten Systemen ist dieses sehr viel günstiger und vielseitiger. Das iPad ist für die Kinder und Mitarbeiter auch einfacher zu benutzen“, so Wiegard weiter.