Berlin (dapd). In der Diskussion über eine Wachstumsinitiative für die europäischen Krisenstaaten hat Kanzlerin Angela Merkel klargestellt, dass sie keine milliardenschweren Investitionsprogramme auflegen möchte. „Wichtig ist, dass wir uns von der Vorstellung lösen, Wachstum koste immer viel Geld und müsse das Ergebnis teurer Konjunkturprogramme sein“, sagte die CDU-Chefin dem „Hamburger Abendblatt“ (Mittwochausgabe). Die SPD warf Merkel Zaghaftigkeit und Führungsversagen in der Europapolitik vor. Parteichef Sigmar Gabriel bilanzierte, ihr rigides Spardiktat sei auf ganzer Linie gescheitert.
Nach dem Willen Merkels sollen die im Fiskalpakt besiegelten rigiden Sparvorgaben schon im Frühsommer ergänzt werden – und zwar durch eine neue Initiative für Wachstum und Beschäftigung. Merkel schlägt dazu eine Stärkung der Europäischen Investitionsbank (EIB) und eine weitere Öffnung der Arbeitsmärkte vor. Zugleich betont die CDU-Chefin aber, dass nicht wieder „Wachstum auf Pump“ angeregt werden dürfe und der Fiskalpakt an sich nicht aufgeschnürt wird.
Bereits auf dem Gipfel im März hatten die EU-Staaten über maßgeschneiderte Reformprogramme für Wachstum und Beschäftigung beraten. Beschlüsse könnte es beim nächsten Gipfel Ende Juni geben.
Der Fiskalpakt schreibt verbindliche Schuldenbremsen in allen 25 Teilnehmerstaaten vor – vorzugsweise mit Verfassungsrang. Zudem verhängt er automatisch Strafen, falls Staaten die Defizitregeln brechen. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat dem Pakt jeweils mit Zweidrittelmehrheit zustimmen.
„Kluger Einsatz vorhandener Mittel“
Merkel sagte, sinnvoller und wirksamer als teure Programme seien Maßnahmen, „für die man eher politischen Mut und Kreativität braucht als Milliarden Euro“. Zu der neuen „Wachstumsagenda“ sagte sie: „Konkret planen wir jetzt in Europa, die Verwendung der europäischen Strukturfonds flexibler zu gestalten, damit so etwa auch kleine und mittelständische Unternehmen besser an Kredite kommen könnten.“
CDU-Generalsekratär Herrmann Gröhe stellte ebenfalls klar, dass seine Partei „kein Wachstum auf Pump“ anfachen wolle. Es gehe um einen „klugen Einsatz der vorhandenen EU-Mittel“ und Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, sagte Gröhe den Zeitungen der „WAZ“-Mediengruppe. Die Kritik der SPD, Kanzlerin Angela Merkel sei im Streit um den Fiskalpakt umgefallen, wies er zurück.
SPD-Chef Gabriel sagte der „Welt“: „Wir brauchen dringend auch einen Wachstumspakt, sonst steigen die Schulden statt zu sinken.“ Konkret forderte Gabriel, die Schuldentilgung müsse „in einem längeren Zeitraum von 20 oder 30 Jahren geschehen“. Außerdem müssten Strukturprogramme aufgelegt werden, um etwa in Griechenland staatliche Strukturen wieder aufzubauen. Am dringendsten sei ein Programm gegen die dramatisch steigende Jugendarbeitslosigkeit.
Die SPD im Bundestag hielt Merkel Führungsversagen vor. „Die Kanzlerin führt nicht, sondern setzt sich erst in Bewegung, wenn andere die Richtung vorgegeben haben. Beim Wachstumspakt ist es wieder Europa, das der Kanzlerin Beine macht“, erklärte Vizefraktionschef Joachim Poß.
ILO rügt „einseitige Betonung von Sparmaßnahmen“
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der UN hatte den europäischen Krisenstaaten am Montag ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Die einseitige Betonung von Sparmaßnahmen vertiefe die Beschäftigungskrise und könnte Europa in die Rezession bringen, warnte der Direktor des ILO-Forschungsinstituts, Raymond Torres.
Auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte, der Sparkurs bedrohe die Existenz von immer mehr Menschen. In Spanien sei jeder zweite junge Mensch ohne Beschäftigung. In Griechenland liege die Arbeitslosenquote über 20 Prozent. Auch in Deutschland hielten sich Millionen Menschen mit Minijobs, Leiharbeit oder als Scheinselbstständige über Wasser.