Georgiy Chernyak (STUNT e.V.) und Sascha Matanovic (Campus Consult e.V.) waren als Projektleiter für die Geschäftsklimastudie 2012 maßgeblich an der Konzeption und Umsetzung der Studie beteiligt. Georgiy Chernyak studiert im fünften Semester Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Bielefeld und engagiert sich seit 2011 im Verein. Er war unter anderem als Ressortleiter und als Projektverantwortlicher für externe Projekte tätig. Sascha Matanovic studiert im fünften Semester Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paderborn.
Guten Tag Herr Chernyak, guten Tag Herr Matanovic. Gemeinhin sollte man meinen, dass ein Projekt dieser Größenordnung sehr aufwendig und auch schwierig ist. Sind Sie als Studenten überhaupt qualifiziert genug, um so ein Vorhaben zu stemmen?
Matanovic: Sagen wir es mal so, wenn man nur die Grundkurse Statistik hört, dann kann man so etwas nicht machen, da fehlen praxisrelevante Elemente. Man muss schon wissen, wie man an Daten kommt, wie man mit ihnen umgeht und welche man überhaupt ganz konkret braucht. Kurzum, man braucht Kenntnisse der angewandten Statistik, die bei uns an der Universität auch angeboten wird.
Chernyak: Da stimme ich meinem Kollegen zu, essentiell für ein Gelingen des Projekts waren solche Grundlagen. Die haben wir aber nicht nur durch Vorlesungen erhalten, sondern auch durch die vorangegangenen Projektteams, die diese Studie vor uns erhoben haben. Von deren Erfolgen und Fehlern zu lernen, war sehr wichtig. Außerdem war die Interdisziplinarität, die charakteristisch für fast alle Studentischen Unternehmensberatungen ist, maßgebend. Wir hatten Statistiker im Team aber auch Studenten, die kreativ sind und gut designen können und auch kommunikative Leute, die das Gedankengut des Statistikers verständlich zu Papier bringen konnten. Ohne diese Vielschichtigkeit hätten wir das nicht geschafft. Dadurch konnten wir den vermeintlichen Nachteil, dass wir nicht so erfahren sind, wettmachen.
Diese Studie untersucht konkret die Region Ostwestfalen-Lippe. Was ist in OWL so anders, so besonders, was eine eigenständige Geschäftsklimastudie erfordert?
Matanovic: Wenn man sich eine deutschlandweite Konjunkturprognose anschaut, dann stellt sich unweigerlich die Frage, ob das auch für die eigene Region, für OWL, repräsentativ ist. Wir glauben, dem ist nicht so. Ostwestfalen-Lippe ist sehr stark geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen und speziell von Maschinenbauern. In anderen Regionen des Landes ist das sicherlich anders, dort sind andere Branchen stark. Dadurch ergeben sich andere Umstände, die aus einer bundesweiten Studie so nicht herausgelesen werden können.
Chernyak: Was meiner Meinung nach noch wichtig ist: Wir haben nicht nur viele familiengeführte und mittelständische Unternehmen, sondern viele von denen sind darüber hinaus auch sehr erfolgreich, teilweise auch weltweit. Oftmals wird das jedoch gar nicht wahrgenommen. Diese „Hidden Champions“ zeichnen OWL aus, Unternehmen, die es in ihrem Bereich wirklich geschafft haben und eine feste Größe sind. Das und eine wirtschaftliche stabile Grundlage, ohne Überschuldung aber mit hohen Eigenkapitalquoten sind bezeichnend für OWL. Meiner Meinung nach ist unsere Wirtschaftsregion in dieser Form einmalig.
Sie haben eine Repräsentativität von über 10% herausgearbeitet. Was für eine Relation steckt dahinter, ist das verhältnismäßig viel oder wenig für Studien dieser Art?
Matanovic: Die Rücklaufquote sagt meiner Meinung nach weniger etwas über die Repräsentativität einer Studie aus, als sie vielmehr über das Interesse an der Studie verrät. Und die 10,5% Rücklaufquote sind ein klares Zeichen dafür, dass die teilnehmenden Unternehmen sehr stark an dieser Studie und an ihrer zukünftigen Entwicklung interessiert sind.
Chernyak: Das ist absolut richtig. Es gab viele positive Rückmeldungen zu unserer Studie, die befragten Unternehmen kommentierten die Fragen sehr wohlwollend und interessiert und das bestärkt uns darin, weiterzumachen. Zur Relation des Wertes ist zu sagen, dass es eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den Vorgängerstudien ist. Ich muss aber auch betonen, dass dieser Wert für eine Online-Umfrage, eine freiwillige Online-Umfrage, unglaublich gut ist und darüber sind wir sehr froh.
In absoluten Zahlen ausgedrückt sind diese 10,5% insgesamt 76 Firmen. Da drängt sich die Frage auf, ob diese 76 ein zutreffendes Abbild der Grundgesamtheit an Firmen in OWL sind. 76 Unternehmen, stellvertretend für OWL, ist das statistisch akzeptabel?
Chernyak: Ja, grundsätzlich muss man auf eine Stichprobe von über 30 kommen, um beschreibende Verfahren anwenden zu können. Dann muss man das Ganze noch über diverse Verteiler streuen und den Zufall wirken lassen, man darf eben nicht einzelne Unternehmen selbst rauspicken und befragen. Da wir mehr als das Doppelte an befragten Unternehmen haben und die Stichprobe nach anerkannten Methoden erhoben haben, ist dies für unsere Studie zutreffend. Und da sich die Branchenverteilung der Teilnehmer unserer Studie mit der Branchenverteilung der IHK zu Bielefeld annährend deckt, würde ich persönlich von einer hohen Repräsentativität sprechen.
Sie haben auch Fragen zu den Rahmenbedingungen hier in Ostwestfalen-Lippe gestellt. Wie denken die befragten Unternehmen darüber?
Matanovic: Es fiel auf, dass die meisten Unternehmen mit der Hochschulausbildung in OWL „eher zufrieden“ bis „sehr zufrieden“ sind, nämlich über 70%. Dass etwa 20% der Befragten hier keine Angabe gemacht haben, könnte daran liegen, dass sie keine Hochschulabsolventen beschäftigen. Zur Erinnerung: Das Gros der Teilnehmer hat weniger als 10 Mitarbeiter und nicht jeder Betrieb braucht zwangsläufig einen studierten Ingenieur. Was die Infrastruktur angeht, auch hier ist der Tenor positiv und bei der Zuliefererqualität sagt nur ein sehr kleiner Teil, nämlich 6%, dass die Zuliefererprodukte schlecht sind. Ich empfinde das als bemerkenswert, weil das die Qualität unserer Produkte hier in OWL betont.
Chernyak: Es lässt sich sagen, dass die Unternehmen mit fast allen Rahmenbedingungen hier zufrieden sind. Zumindest haben die Befragten größtenteils mit „eher gut“ bis „gut“ geantwortet. Und wenn man noch berücksichtigt, dass die Geschäftslage und die Geschäftserwartungen sich positiv darstellen, dann kann man schon sagen, dass die Unternehmen hier ein Wachstum sehen. Die sehen ein Wachstum voraus und wenn ein Großteil, ein repräsentativer Teil der Unternehmen dieses Wachstum sieht und wünscht und denkt, dass er kommt, dann kommt er auch.
Sehr auffällig ist der Unterschied zwischen Gesamtdeutschland und der Region Ostwestfalen-Lippe im Hinblick auf die Geschäftserwartungen. Diese fallen in OWL deutlich besser aus. Haben Sie eine Erklärung für diese deutliche Differenz?
Matanovic: Generell gibt es für Deutschland für das Jahr 2013 sehr abgeschwächte Wirtschaftsprognosen. Das konnten wir für OWL so nicht bestätigen. Möglicherweise erklärt sich das durch den Umstand, dass wir viele starke kleine und mittelständische Unternehmen in OWL haben.
Chernyak: Richtig, auch hier lautet das Stichwort „Hidden Champions“. Dieses Ergebnis zeigt doch auch einfach, dass in dieser Region viel Potential steckt und – fast genauso wichtig – dass dieses Potential von den Unternehmen auch wahrgenommen wird. Wenn man die positiven Ergebnisse hinsichtlich der Rahmenbedingungen hinzuaddiert, hat man eine schlüssige Erklärung für dieses Ergebnis.
Womit wir beim auffälligsten Ergebnis der Geschäftsklimastudie OWL 2012 wären, nämlich der erwarteten Beschäftigungsentwicklung. Die saldierten Prozentwerte ergeben 16:1 für OWL im Vergleich zum Rest der Bundesrepublik. Offenbar hat sich OWL die Vollbeschäftigung vorgenommen.
Matanovic: Dieser Wert ist tatsächlich sehr auffällig, doch muss man diesen Wert mit der gebotenen Vorsicht genießen. Diese Erwartungen stehen stets unter der Bedingung, dass in der Zukunft keine gravierenden Veränderungen eintreten, die alle Annahmen über Bord werfen. Angenommen, wir hätten ein stabiles Wirtschaftswachstum über das ganze nächste Jahr hinweg, ohne weitere Einflüsse, die diese Erwartungen verzerren, dann können wir anhand dieser Statistik sagen, dass große Kündigungswellen in OWL ausbleiben werden und dass stattdessen die Unternehmen mehr in Personal investieren werden.
Chernyak: Außerdem hängt das meiner Meinung nach auch mit der als hoch empfundenen Qualität der Hochschulen und der Facharbeiterproblematik zusammen, die Herr Dr. Carsten Linnemann in seinem Vorwort aufgegriffen hat. Von den Hochschulen kommen qualifizierte Arbeitnehmer und wir entwickeln uns in Deutschland zunehmend davon weg, viele einfache Arbeitsplätze anzubieten, die eine ungelernte Kraft besetzten kann. Stattdessen konzentrieren wir uns darauf, eine weltweit führende Kraft in Sachen Forschung und Entwicklung zu werden. Wir brauchen also zunehmend hochqualifiziertes Personal – doch oftmals können diese Stellen nicht besetzt werden.
Matanovic: Deshalb haben wir auch die Frage bezüglich der ausländischen Fachkräfte gestellt, wie ich an dieser Stelle betonen möchte, um die kleinen- und mittelständischen Unternehmen in OWL für das Thema zu sensibilisieren. Es fiel nämlich auf, dass viele Unternehmen diese Fragestellung mit „ich bin mir nicht sicher“ beantwortet oder keine Angaben gemacht haben. Ein zentrales Thema ist diese Problematik derzeit wohl noch nicht.
Eine aktuelle Fragestellung zielte auf den Leitzins der EZB und die Finanzierungskonditionen für Unternehmen ab. Ein signifikanter Anteil der Befragten machte keine Angaben zu dieser Frage oder war sich unsicher. Worauf lässt das Ihrer Meinung nach schließen?
Matanovic: Auch hier bestanden unsere Ziele darin, herauszufinden, inwiefern sich die Unternehmen in OWL mit dieser Thematik beschäftigen, außerdem wollten wir über die Fragestellung für das Thema sensibilisieren. Der Leitzins ist der wichtigste Indikator für die Kreditkosten eines Unternehmens, er beeinflusst die Höhe sämtlicher Zinssätze maßgeblich. Der große Anteil an Teilnehmern, die keine Angaben machten, deutet darauf hin, dass sich viele Unternehmen mit diesem Sachverhalten noch nicht wirklich auseinandergesetzt haben. Schließlich beeinflusst der Leitzins die Unternehmen nur indirekt, dafür aber deutlich.
Und die Finanzierungskonditionen? Jedes Unternehmen braucht doch irgendwo Kredite. Schwer vorstellbar, dass gerade die Unternehmen in OWL sich damit nicht beschäftigen, wo sie doch Ihrer Meinung nach so stark sind.
Chernyak: Das könnte wiederum damit zusammenhängen, dass die Unternehmen in OWL keinen ausgeprägten Bedarf an Krediten haben, in Relation gesetzt mit Unternehmen in anderen Teilen des Landes und zwar teilweise aus den bereits genannten Gründen: Die Unternehmen sind stark, teilweise sind sie „Hidden Champions“, sie sind nicht überschuldet, weisen hohe Eigenkapitalquoten aus und planen darüber hinaus auch nicht ihre Investitionen in OWL massiv zu erhöhen. Daraus lässt sich schließen, dass der Bedarf nach Fremdfinanzierung recht gering ist, was den hohen Anteil an Teilnehmern, die noch unentschlossen sind oder keine Angaben machten, erklären würde.
In der Studie steckt sicherlich viel Arbeit. Konnten Sie als Studenten ihre Verpflichtungen an der Hochschule mit diesen und anderen Projekten unter einen Hut bringen?
Matanovic: Es war schon aufwendig, allerdings hat es auch wirklich viel Spaß gemacht und war eine hervorragende Erfahrung. Mir hängt die wissenschaftliche Theorie auch mittlerweile sozusagen zu den Ohren raus, deshalb habe ich mich sehr auf dieses praktische Projekt gefreut. Ich habe viele freie Tage dafür verwendet, abends daran gearbeitet oder die vorlesungsfreie Zeit dafür genutzt. Das lässt sich alles sehr gut vereinbaren, vorausgesetzt, man hat die nötige Motivation dafür.
Chernyak: Ich denke außerdem, dass das maßgeblich von einem vernünftigen Zeitmanagement abhängig ist. Für viele Studentische Unternehmensberater, auch für mich, sind das Studium und die Geschäftsklimastudie nicht die einzigen Baustellen. Wir wirken auch an externen Projekten mit und müssen unseren Lebensunterhalt bestreiten. Ein funktionierendes Zeitmanagement ist sehr wichtig, um Arbeitsaufwände und die Organisation vernünftig auf die Reihe zu bekommen. Wenn diese Organisation erstmal steht und gepflegt wird, dann läuft so ein Projekt wie am Schnürchen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Admir Celovic, STUNT e.V., im Auftrag der WIR-Wirtschaft Regional.
Eine Zusammenfassung der Studie finden Sie in der Wirtschaft Regional 02.2013 als PDF unter: http://upload.press-medien.de/files/ios_kiosk/2013/2013_02.pdf
Die komplette Studie finden Sie als PDF unter: www.wirtschaft-regional.net/konjunktur 2013