„Schlecht ausgebildete Migranten machen bei uns ja schon Comedy“
Peter Schmidt: Wer heute Fernsehen schaut, Radio hört, einen Blick in die Zeitung wirft, muss damit zurechtkommen, dass mit fast keinem Thema ein unverkrampfter Umgang mehr möglich ist. Wenn es um Klima, Tierschutz, Gender geht, verträgt der Zeitgeist keinen Spaß mehr. Knochentrockene Betroffenheit, wohin man schaut und hört. In solchem Umfeld könnte sogar Ihre wichtigste Waffe, die ironische Überhöhung, zu einem gesundheitlichen Risiko werden. Hätte man den Mut aufbringen können, vor Stuttgart 21-Gegnern ein paar kritische Anmerkungen dazu zu machen?
Harald Schmidt: Aber natürlich! Die Lage hat sich ja mittlerweile beruhigt, allein für die Rettung seltener Eidechsen sind laut FAZ rund 2 Millionen Euro investiert worden. Ich selbst konnte auch Wutbürgern, die mir mit hochrotem Kopf durch halb Stuttgart hinterherliefen, auf die Frage: „Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?“ antworten: „Immer auf der Richtigen.“ Das verbindet.
Peter Schmidt: Medien verbreiten heute nur noch Meinungen. Ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtensprecher kann dabei mit dem gleichen Blick tiefster Betroffenheit die Nichterfüllung der Frauenquote in Aufsichtsräten beklagen, um in der nächsten Nachricht deutlich zu machen, dass jede Kritik an anderen Kulturen, auch wenn diese mit Vollverschleierung und Klitorisbeschneidung daherkommen, rassistisch und rechts ist. Entsteht diese Bigotterie Ihrer Meinung nach aus Gruppendruck in den Redaktionen oder sind diese Leute wirklich so einfach gestrickt?
Harald Schmidt: Diesen Eindruck kann ich nicht teilen. Meine Lieblingsnachrichtensendung, das HEUTE JOURNAL hat ja eine überzeugende Arbeitsteilung gefunden. Claus Kleber oder Marietta Slomka bringen uns die boulevardesken Themen wie Kita-Streik oder Grexit nahe, und dann heißt es immer: Weitere Nachrichten jetzt von Heinz Wolf. Und Heinz Wolf verkündet dann Überraschendes im Sinn von „Asien ist heute im Pazifik versunken“. Und Claus oder Marietta sagen dann: Danke Heinz. In diesem „Danke Heinz“ ist für mich die Weltlage perfekt zusammengefasst.
Peter Schmidt: Beim Thema „Gender“ kann man beobachten, wie der gesunde Menschenverstand komplett von religiös-fanatischer Weltsicht hingerichtet wurde. Dass Mann und Frau unterschiedlich sind, ist so wahr wie unproblematisch, ganz nebenbei sogar Basis des Fortbestands der Menschheit. Trotzdem outet sich, wer dies verteidigt, sofort als Faschist. Andererseits werden Experimente am lebenden Menschen wie in der schwedischen geschlechtsneutralen Vorschule „Egalia“ interessiert aufgenommen: Dort darf man nicht mehr „Junge“ oder „Mädchen“ sagen, nur noch „Freunde“. Kann es sein, dass die Medien keine kritische Distanz zu solchen Experimenten mehr haben, weil nach einem langen Marsch durch die Institutionen dort die Journalisten sitzen, die in der Jugend auch die Experimente zur Schaffung eines neuen Menschen in China und Kambodscha ebenso kritiklos gefeiert haben?
Harald Schmidt: Nach meiner Erfahrung genießen die Marschierer durch die Institutionen bereits den Ruhestand im sanierten Altbau. Die junge Journalistengeneration, ist eher leicht beunruhigt, wenn sie vom eigenen Verleger durch Tierfutterversand im Internet ersetzt wird. Insofern hat es weniger mit Ideologie zu tun, als mit der leicht aufgeregten Suche nach Klicks.
Peter Schmidt: Sie waren Titelträger „bedeutendster Intellektueller Deutschlands“ und, noch wichtiger, Träger des Medienpreises für Sprachkultur. Absurditäten wie die Binnenmajuskel und den Bürger_innensteig kann man ja noch mit einem Lächeln kompensieren, beim Professx fängt dann schon der Schmerz an, aber die grundsätzliche Annektion der Sprache für politisch-moralische Zwecke scheint – moderat ausgedrückt – äußerst fragwürdig. Kann man sich dem „Neusprech“ noch widersetzen, wenn man in Politik und Medien präsent bleiben will?
Harald Schmidt: Zunächst muss ich korrigieren, ich schaffte es nur auf Platz 2. Nummer 1 war Günter Grass (ein inzwischen verstorbener deutscher Schriftsteller und Nobelpreisträger). Das füge ich sicherheitshalber an, da ich nicht weiß, wie der Bildungsstand bei Ihren Mitgliedern ist. Ich bin ja noch mit Negerküssen und Ami-Huren aufgewachsen, insofern befinde ich mich in einem täglichen Lernprozeß in Sachen Willkommenskultur für alle, die als gut ausgebildete Migranten meine Rente sichern. Schlecht ausgebildete Migranten machen bei uns ja schon Comedy.
Peter Schmidt: Zurück noch einmal zur fehlenden Dankbarkeit für all das Gute, das unser Leben umgibt. Odo Marquardt hat einmal das „Gesetz der zunehmenden Penetranz der Reste“ formuliert: Je weniger Schlimmes wir in der Wirklichkeit vorfinden, desto unerträglicher erscheint das wenige Negative, das übrig bleibt. Falls Marquardt recht hätte, wäre es ein Beleg, dass die Menschen selbst auf kleinste Differenzen mit Neid und dem Gefühl, Benachteiligte zu sein, reagieren?
Harald Schmidt: Ziemlich komplizierte Frage, schließlich habe ich mein Abi nur mit Notenschnitt 2,8 geschafft. Früher konnten wir ja die Undankbaren nach drüben schicken, aber drüben ist jetzt auch weg. Hier ist die Politik gefordert. Ich erwarte klare Antworten aus Berlin und Brüssel, gerne auch aus Athen.
Peter Schmidt: Der Zeitgeist will jeden Unterschied nivellieren und tut dies mit dem beständigen Hinweis auf „fehlende Gerechtigkeit“. „Wenn der Hass feige wird“, hatte Arthur Schnitzler gesagt, „geht er maskiert in Gesellschaft und nennt sich Gerechtigkeit“. Dementsprechend wird europaweit derzeit alles an dem jeweils niedrigsten Standard ausgerichtet. In Frankreich wird derzeit sämtliches »Schwierige« aus den Bildungsplänen entfernt. Alle „elitären“ Anforderungen müssten gesenkt werden. „Verfrühstücken“ wir, politisch korrekt und gerecht, die Zukunft unserer Kinder und Enkel?
Harald Schmidt:Ich bin erstaunt, für welche Beobachtungen Arthur Schnitzler noch Zeit hatte, bei seinen ganzen Weibergeschichten. Ich habe mir extra mit nicht geringem Aufwand seine Tagebücher besorgt, die allerdings recht mühsam zu lesen sind, weil er die Frauennamen immer abkürzt. Was die Zukunft angeht, herrscht Einigkeit unter allen Demokraten, dass sie unbekannt ist. Es wäre schön, wenn es so bleibt.
Peter Schmidt: Über dem Sofa meiner Oma hing ein Häkeldeckchen mit der Aufschrift „Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Das hat mir als kleinem Jungen immer Hoffnung gegeben. Haben Sie auch etwas Hoffnungsfrohes zum Ausklang?
Harald Schmidt: Selbstverständlich. Einer meiner Leitsprüche ist eine liebevolle Stickerei, die ich im letzten Jahrhundert während meiner Interrailzeit auf einem Geschirrtuch hoch im Norden Schottlands entdeckte: „Das Licht am Ende des Tunnels sind nur die Lichter der entgegenkommenden Lok.“