Bielefeld. „Der Kunde will einen Nutzen“, sagt Dr. Michael Braungart, „nicht unbedingt ein Produkt.“ Eine Waschmaschine kaufe er, um saubere Wäsche zu haben und nicht, damit ein rumpelnder Kasten dort stehe. Miele könnte den Verbrauchern statt eines Waschautomaten 3000 Waschgänge verkaufen, das Gerät dann zurücknehmen, mit neuer Technik ausrüsten und wieder einsetzen.
„Cradle to Cradle“, von der Wiege zur Wiege, heißt der Ansatz, mit dem der Chemiker die Wirtschaft öko-effektiver gestalten will.
Die Idee hat er der Natur abgeschaut. Sie produziert keine Abfälle. Ein Baum verliert Blüten und Laub, damit daraus Humus entsteht. Alle Stoffe kehren mit in den Kreislauf zurück. Wenn der Mensch so wirtschafte, seien die meisten Umweltprobleme gelöst.
Effizienzdiskussion und das Energiesparen greifen für Baumgart zu kurz. „Indem wir nur weniger verbrauchen, bremsen wir die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, halten sie aber nicht auf. Demnach müssten Unternehmen „ihre Kunden vom Kaufen abhalten«. Gewinn bringe ein Verkäufer, der Interessenten mit einem ökologischen Vorteil locke: „Wenn Du mein Produkt kaufst, tust Du Dir und der Umwelt Gutes.“
Der Gründer des Umweltforschungsinstituts EPEA liefert Beispiele: Die IKEA Kataloge beinhalteten statt 95 nun „nur“ noch 50 giftige Stoffe. „Das ist, als würde ich mich 50 statt 95 Mal erschießen“. Da sei es besser, gleich schadstofffreies Papier herzustellen, das man nach Gebrauch kompostieren könne. Zum Beweis zeigt Baumgart einen Film des österreichischen Herstellers Gugler, der ohne Schadstoffe auskommt. Noch einen Schritt weiter geht ein Teppichbodenhersteller, dessen Ware Feinstaub aus der Raumluft filtert.
Kompostierbares statt Recycling-Papier:
Auch in Ostwestfalen-Lippe lassen sich immer mehr Betriebe von Braungarts EPEA-Institut für abfallfreie Produktion zertifizieren. „Wir machen das seit 1963“, erklärt Diplomingenieur Jörg Witthöft von ZF Friedrichshafen. Der Nutzfahrzeugtechnik-Hersteller baut in Bielefeld Kupplungen für Lastwagen. Sind diese verschlissen, nimmt das Unternehmen sie zurück und fertigt aus dem Rohmaterial neue. 95 Prozent des Materials werde so wiederverwertet. Dabei verbrauche man ein Zehntel der Energie, die man für die neue Kupplungen aufwenden müsse.
Auch der Bielefelder Fenster- und Fassadenhersteller Schüco setzt auf möglichst abfallfreie Produktion. „Aluminiumfenster werden vollständig wiederverwertet“, verspricht „Sustainability-Manager« Rolf Brunkhorst. Den wegen giftiger Inhaltsstoffe umstrittenen Werkstoff PVC (Polyvenylchlorid) könne man vier bis sieben Mal recyclen.
Rund 350 Gäste lauschen dem international bekannten Forscher Michael Braungart und Vertretern von Unternehmen, die sich am Cradle to Cradle Prinzip orientieren. Der VDI Verein deutscher Ingenieure Ostwestfalen-Lippe (OWL) und der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik in OWL haben zum zwölften „ing.meet.ing“ in die Bielefelder Stadthalle eingeladen. Mit der Veranstaltungsreihe wollen die beiden Vereine – wie die Vorsitzende des VDI OWL Eva Schwenzfeier-Hellkamp erklärt – „Impulse für die Verantwortung von Ingenieurinnen und Ingenieuren in der Gesellschaft“ setzen.
In seinem Vortrag packt Michael Braungart die Produktentwickler bei ihrem Stolz: „Ein Produkt, das zu Abfall wird ist doch eine Bankrotterklärung des Ingenieurs.“ Bisher sehe man den Menschen „in 40 Jahren Weltuntergangsdiskussion“ vor allem als Belastung für die Natur. Dabei kann gerade die Natur – nicht als „unsere Mutter“, sondern als Lehrerin – bei der Entwicklung von wiederverwendbaren Gütern Vorbild sein. Darin könne für die Wirtschaft „Innovation, Qualität und Schönheit“ stecken. Von Politik, Wirtschaft und Technikern wünscht sich der Cradle-to-Cradle-Erfinder eine positive Einstellung. „Wir sollten mehr die Chancen und weniger die negativen Auswirkungen unserer Fähigkeiten sehen.“ Wenn man den Menschen lobe, ermutige und seine guten Seiten in den Vordergrund stelle, sei er kreativer und motivierter. In diesem Sinne ergänzt Braungart: „Schön, dass sie hier sind.“