Mit über 1.000 Unternehmen und mehr als 145.000 Beschäftigten ist Nordrhein-Westfalen der Kunststoffstandort Nr. 1 in Europa. Allein in der Region Ostwestfalen-Lippe sind über 500 kunststofftechnische Unternehmen ansässig. Im Dezember des letzten Jahres trafen sich im Rahmen eines vom Carl Hanser Verlag initiierten Roundtable „Die Kunststoffindustrie in OWL“, Experten aus der Kunststoffindustrie OWLs, um aktuelle Themen rund um den Kunststoffstandort NRW zu diskutieren.
Stefan Schmedding (Phoenix Contact), Vorstand der „Kunststoffe in OWL e.V.“, Marco Siekmann, Geschäftsführer bei Digicolor, sowie Jan Harms, Projektleiter der Fachmesse KUTENO vom Carl Hanser Verlag griffen das Thema Fachkräftemangel auf, aber auch die Digitalisierung in der kunststoffverarbeitenden Industrie, die Energie- und Ressourceneffizienz sowie der Einsatz von Bio- und Recyclingkunststoffe kamen zur Sprache.
Mit Günther Neddermann von plasma Ingenieur- u. Verkaufsbüro Neddermann u. Grundorf GmbH & Co. KG und Ernst Siekmann von digicolor Gesellschaft für Kunststoffmaschinentechnik mbH waren auch zwei langjährige Wegbegleiter der kunststoffverarbeitenden Branche der Region OWL vertreten. Moderiert wurde das Expertengespräch von Harald Wollstadt, Fachjournalist für Themen rund um die Kunststoffverarbeitung und Automatisierung. Da Günther Neddermann und auch Ernst Siekmann ihre Karriere bei einem der vormals renommiertesten Spritzguss-Maschinenhersteller Deutschlands, der Firma Stübbe begannen, konnte man die Situation der Branche aus verschiedenen Epochen vergleichen.
Denn die Firma Stübbe stand für Kunststoff-Kompetenz in der Region, ehe es sein Spritzgussmaschinen-Geschäft an DEMAG AG verkaufte und 1977 durch die Gesellschafter der Stiebel Eltron GmbH & Co. KG, Holzminden, übernommen wurde. Ende der sechziger Jahre war das Unternehmen einer der größten Spritzgießmaschinen Hersteller Deutschlands. In einer kleinen Zeitreise berichteten sie von der Entwicklung des Standortes OWL zu einer der bedeutendsten Kunststoff-Wirtschaftsregionen Deutschlands. Stefan Schmedding (Phoenix Contact), Vorstand der „Kunststoffe in OWL e.V.“ rundete das Gespräch mit wertvollen Zahlen und Fakten ab.
Eigenwerbung und Imageaufwertung tut Not
Heute steht im Kreis Lippe die kunststoffverarbeitende Industrie als Wirtschaftsfaktor an zweiter Stelle und in Ostwestfalen an Nr. 5, berichtete Stefan Schmedding. Eine Vielzahl an Universitäten und Weiterbildungsstätten in der Region (Uni Paderborn, FH Bielefeld, FH Lemgo OWL usw.) bilden das Fundament für diesen starken Wirtschaftsfaktor. Da sollte meinen, dass diese wirtschaftlich starke Region mit dem Thema Fachkräftemangel wenig zu tun, aber so scheint es nicht zu sein.
Die aktuellen Zahlen belegen, dass die Region definitiv ein Fachkräftemangel, auch im Bereich der Kunststoffverarbeitenden Industrie hat, wie Stefan Schmedding anführte. Über 4.000 offene Stellen für Fachkräfte seinen im letzten Jahr gemeldet worden. „Wir haben auf 40 offene Stellen nur 4 Bewerber. Das entspricht einem Verhältnis von 1/10. Auch bei den Auszubildenden sieht es nicht besser aus. 2018 meldeten die beiden regionalen IHKs 170 offene Stellen, worauf sich nur 53 Bewerber meldeten. Also auf 69 Prozent der Stellenanzeigen haben wir überhaupt keine Reaktion bekommen,“ betont Schmedding.
Die Gesprächsrunde sah darin auch ein nationaler Wettbewerb innerhalb der Wirtschaftsregionen. „Wir konkurrieren hier in OWL ganz klar mit Wirtschaftszentren in Süddeutschland wie Stuttgart und der Münchner Raum,“ schließt Schmedding. Marco Siekmann, Geschäftsführer bei Digicolor, dazu “Wir müssen den jungen Leuten auch beibringen, das in OWL eine Vielzahl von HiddenChampions angesiedelt ist. Eigenwerbung tut hier Not.“
Jan Harms sah hier mit der Fachmesse KUTENO, die vom 07. bis 09. Mai 2019 in Rheda-Wiedenbrück im A2-Forum stattfindet, eine ideale Plattform für die Imageaufwertung des Werkstoffes „Kunststoff“. Die KUTENO Kunststofftechnik Nord bildet nämlich die gesamte Wertschöpfungskette der kunststoffverarbeitenden Industrie ab. Etwa 250 Aussteller könnten den jungen Besuchern eine positivere Wahrnehmung vom Kunststoff vermitteln. „Kunststoff ist weder grundsätzlich umweltschädlich noch grundsätzlich umweltfreundlich,“ betonte Schmedding.
„Die Kunststoffindustrie, das darf man nicht vergessen, ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland.“ Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e. V. (GKV) berichtete in seiner Jahreswirtschaftspressekonferenz am 06. März 2019 von einem Branchenumsatz von 65,7 Milliarden Euro. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Deutschland ca. 14,8 Millionen Tonnen Kunststoffe verarbeitet und die Kunststoffverarbeitende Industrie in Deutschland beschäftigte zum Jahresende 2018 etwa 335.000 Arbeitnehmer.
Fachkräftemangel als limitierender Faktor
„Neben der Imagedebatte über Kunststoffe steht der Industriezweig vor noch anderen Herausforderungen. Denn die Kunststoffverarbeitende Industrie in OWL hat die gleichen Megatrends vor der Brust wie viele anderen Branchen: Globalisierung, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Fachkräftemangel oder Digitalisierung,“ so Marco Siekmann. Aus Sicht von Stefan Schmedding besteht die größte Herausforderung jedoch im Fachkräftemangel, der sich in OWL als limitierender Faktor für ein weiteres Wachstum darstellt.
Als Trumpfkarte kann aber OWL das ausgeprägte Netzwerk entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Kunststoffe wie Konstruktionsbüros, Werkzeugmacher, Materialdistributoren, Verarbeiter, Prüflabors, Aus- & Weiterbildungsinstitute, in die Waagschale werfen, was Innovationen und den Übertrag von Neuentwicklungen in die industrielle Realisierung beschleunigen kann und Berufe rund um die Kunststoffverarbeitung interessant macht. „Leider hat die Industrie allgemein, nicht nur die Kunststoffindustrie, es schwer, junge Leute für die Berufe in der Industrie zu interessieren,“ schließt Schmedding.
„Wir müssen die Berufe wieder sexy machen und da müssen wir gegenüber anderen Branchen aufholen.“ Auf die Frage wie man ebenso das Image des Kunststoffes und damit auch der gesamten Branche aufwerten kann, war sich die Runde einig, das ohne den Kunststoff, doch unser heutiges Leben kaum mehr möglich wäre. „Und das ist das, was man der Öffentlichkeit bewusst machen muss,“ erklärt Marco Siekmann.
„Leider hat der Werkstoff Kunststoff und dessen Umgang in der Verpackungsindustrie, aber auch wie der Bürger selbst damit umgeht, zu diesem schlechten Image geführt,“ ergänzt Schmedding. „Wir brauchen eine positivere Wahrnehmung des Werkstoffes. Ansatzweise kann das über Verfahren wie den 3D-Druck gelingen, aber auch dass wir die Thematiken bioabbaubare und biobasierende Kunststoffe voranbringen, mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen.“ Aber auch da muss wieder eine Menge Aufklärungsarbeit betrieben werden.
Digitalisierung sorgt für Gesprächsstoff in der Kunststoffindustrie
Neben dem viel diskutierten Thema Fachkräftemangel kam aber auch noch die Digitalisierung, die Energie- und Ressourceneffizienz sowie der Einsatz von Bio- und Recyclingkunststoffe zur Sprache. Trotz Digitalisierung sah die Expertenrunde die Kundenähe als eine der Stärke der Kunststoffindustrie in Ostwestfalen. „Wir merken das Kundennähe wieder wichtiger wird, trotz dem Trend zu Digitalisierung,“ bringt es Schmedding auf den Punkt.
„Kundennähe, also letztendlich Geschwindigkeit, sind der Trumpf. Das Internet hat ja eine gewisse digital Ungeduld geschaffen. Also ich drücke heute auf den sogenannten digitalen Knopf und erhalte am besten heute noch mein Produkt. Und diese digitale Ungeduld macht auch alte Geschäftsmodelle kaputt, ist aber auch eine Chance für die Kunststoffindustrie mit 3D-Druck oder Rapid Prototyping gegenüber ausländischen Mitbewerbern zu punkten.“
Wenn die Industrie mit Produkten arbeitet ist Kundennähe enorm wichtig, das wird durch die gerade wie Pilze aus dem Boden schießenden Amazon-Logistikzentren belegt. Bricht man es aber auf die Daten herunter, dann ist eine Digitalisierung der Betriebe bzw. der Geschäftsprozesse unumgänglich. „Dafür brauchen sie aber eine entsprechende Infrastruktur. Da ist insbesondere die Politik gefordert. Aber, sie brauchen und da sind wir wieder beim Fachkräftemangel, gutausgebildete Menschen,“ gibt Schmedding zu Bedenken.
„Die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind aber noch nicht so, dass wir uns da zurücklehnen dürfen. Das beginnt doch bereits in der Digitalisierung der Schulen, dem Breitbandausbau und so weiter. Die Industrie und die gewerblichen Betriebe möchten die Digitalisierung ja umsetzen und fordern Reaktionen bzw. konkrete Handlungen von der Politik.“ Marco Siekmann ergänzte, „Wir als Unternehmen investieren in digitale Geschäftsprozesse. Es ist ein Muss, um im alltäglichen Geschäft mithalten zu können. Unser Ziel ist es, das Potenzial der Fertigung optimal auszuschöpfen, um die Produktivität, Flexibilität und Qualität zu steigern. Es geht also um eine höhere Wettbewerbsfähigkeit und deshalb kommt niemand an diesem Thema vorbei.“
Natürlich bietet die Digitalisierung auch Chancen bei der Energie- und Ressourceneffizienz, denn mit Hilfe von digitalisierten Technologien können Betriebe den Material- und Energieverbrauch ihrer Produktionsprozesse reduzieren. „Da alle Unternehmen unserer Branche ein Energiemanagementsystem nach ISO 50001, unabhängig von bestehenden Managementsystemen, implementiert haben, sehe ich darin kein Problem,“ erklärt Schmedding.
Die ISO 50001 wurde so konzipiert, dass sie sich mit anderen Managementsystemen, vor allem im Bereich Qualitäts- und Umweltmanagement, verbinden lässt. „So machen wir unsere eigenen Energieverbräuche transparent. Was aber die Kunststoffverarbeiter umtreibt, sind die Begleiterscheinungen wie die EEG-Umlage, die ja den Strompreis in den letzten Jahren nach oben getrieben hat. Die Strompreise haben sich also zu einem Standortnachteil entwickelt, wenn ich den europäischen Wettbewerb betrachte,“ schließt Schmedding an.
„Die Digitalisierung bzw. die Vernetzung von Produktionsprozessen kann natürlich hier dazu beitragen, Maßnahmen für die Energieeffizienz zu eruieren und implementieren.“ Wenn man überlegt, dass die Material- und Energiekosten im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland zusammen ca. 44 Prozent der Gesamtkosten (Statistisches Bundesamt 2017) betragen und die Personalkosten dagegen nur 19 Prozent, wäre ein erweiterter Einsatz von sogenannten smarten Technologien sinnvoll. Dies zeigt, dass Material- und Energieverbrauch wichtige Stellschrauben zur Kostenreduzierung sein können und die Wettbewerbsfähigkeit steigern kann. Unternehmen können durch Ressourceneffizienz-Maßnahmen ihre Kosten reduzieren und damit den Gewinn erhöhen, ohne dass der Umsatz gesteigert werden muss.
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit positiv prägen
Das Resümee der Teilnehmer des Expertengespräches war einheitlich. Die Kunststoffindustrie ist ein zu wichtiger Wirtschaftszweig in Nordrhein-Westfalen und im Raum OWL und daher ist eine Imageverbesserung des Kunststoffes in der Öffentlichkeit eine der wichtigsten Herausforderungen zur Wahrung der Interessen aller Betriebe. Unser heutiger Zivilisationsgrad ist ohne Kunststoffe undenkbar und schlicht nicht möglich. Themen wie Fachkräftemangel, hohe Strompreise, sinkende Rohstofferzeugung in der EU, steigende Beschaffungsrisiken oder Digitalisierung bedürfen auch immer einer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und dafür tragen solche Gespräche bei oder auch die positive Wahrnehmung der KUTENO als Fach- und Arbeitsmesse.
Gerade die Stellung der KUTENO im norddeutschen Raum als Messe von der Branche für die Branche, bietet die Plattform, um das Image des sogenannten Werkstoffs des 21. Jahrhunderts positiv zu prägen. Denn Kunststoff schafft nachweislich Arbeitsplätze mit sicheren Zukunftsaussichten; ermöglicht es, den großen Megatrends unserer Zeit aktiv zu begegnen; erleichtert unseren Alltag und lässt sich so gut wie ohne Ressourcenverlust wiederverwerten.
www.kuteno.de
Mein Vater hatte in seinem Beruf viel mit Kunststoffverarbeitung zu tun. Er hat Kunststofftechnik studiert. Das Studium hat ihm wirklich Spaß gemacht.
Interessant, ich wusste nicht, dass der Fachkräftemangel ein Problem in der Kunststofftechnik-Branche ist. Ich glaube, dass diese Industrie viel Potenzial hat. Die 3D-Druckerei ist ein Beispiel. Mein Sohn wird bald fertig mit der Schule sein und eine Karriere in diesem Bereich kann eine Idee sein!