Berlin (dapd). Deutschland steht vor einem Mangel ungeahnten Ausmaßes: Bis 2025 werden mehr als drei Millionen Fachkräfte fehlen. Das kann nach Experteneinschätzung die Wirtschaft stärker bedrohen als Rezessionen. Daher startete die Bundesregierung am Dienstag eine Fachkräfteinitiative, die auch die verstärkte Anwerbung von Fachpersonal aus dem Ausland vorsieht. Die Opposition beklagte einen falschen Ansatz und forderte, das inländische Potenzial stärker zu nutzen.
„Fachkräfte werden die zentrale Rolle spielen bei der Sicherung unseres Wohlstandes“, betonte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Schon jetzt gebe es eine Million offene Stellen, die über Monate hinweg unbesetzt blieben. Das betreffe vor allem mathematisch-naturwissenschaftliche Stellen, aber auch Jobs in Bildung und Pflege. Gut ein Drittel der Unternehmen (36 Prozent) bewerteten diesen Fachkräftemangel als ihr größtes Risiko. Daher müsse nicht nur im Inland nach Nachwuchs gesucht, sondern gezielt auch im Ausland für eine Arbeit in Deutschland geworben werden.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) begrüßte die Doppelstrategie der Regierung. Eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren, eine Qualifizierung von Arbeitslosen und eine bessere Ausbildung von jungen Menschen allein reichten nicht aus, um den Mangel zu beheben, sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise. Die Lücke sei nur durch „qualifizierte Zuwanderung“ zu schließen. Seine Behörde rechne damit, dass jährlich 200.000 Fachkräfte aus dem Ausland kommen müssten.
Für Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ist die sogenannte Bluecard, die zum 1. August in Kraft tritt, ein erster wichtiger Schritt. Das im April vom Bundestag beschlossene Gesetz sieht eine erleichterte Zuwanderung von hoch qualifizierten Facharbeitern und Akademiker aus Nicht-EU-Ländern vor.
Rösler fügte hinzu, es gehe nicht nur um erleichterte Zuwanderungsregelungen, sondern auch um eine neue „Willkommenskultur“. Deutschland müsse ausländischen Fachkräften zeigen, „dass sie hier willkommen sind“.
Die Opposition zeigte sich wenig begeistert von der schwarz-gelben Initiative. Sie sei inhaltlich ungenügend und formal zu unkonkret, monierten SPD, Linke und Grüne. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil nannte die Initiative eine „große Showveranstaltung“, weil konkrete Umsetzungsschritte fehlten. Zudem werde nur unzureichend auf inländisches Potenzial eingegangen. Bis 2025 ließen sich bis zu 5,2 Millionen zusätzliche Fachkräfte mobilisieren, sagte er.
Die Opposition forderte die Regierung zu konkreten Schritten auf. Das bedeute, Jugendliche besser auszubilden und Frauen die Möglichkeit zu geben, vermehrt in Vollzeit zu arbeiten. Offiziellen Angaben zufolge arbeitet in Deutschland jede zweite Frau in Teilzeit – und mit durchschnittlich 18 Stunden pro Woche so wenig wie sonst im europäischen Vergleich nur noch in Portugal. Zudem will die Opposition bessere Chancen für Ältere und mehr Ausbildung für Geringqualifizierte.
Auch der DGB, der die Initiative grundsätzlich begrüßte, mahnte weitere Schritte für die Eingliederung deutscher Arbeitskräfte an. Immer noch seien 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss, sagte DGB-Chef Michael Sommer. Daher müsse die schwarz-gelbe Bundesregierung deutlich mehr Anstrengungen unternehmen, um die inländischen Fachkräftepotenziale zu heben. Zugleich seien für ausländische Fachkräfte entsprechenden Arbeits- und Entgeltbedingungen zu schaffen.
Am Nachmittag traf die Bundesregierung in Meseberg zu einem weiteren Fachkräftegipfel mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zusammen. Unter dem Titel „Quellen unseres künftigen Wohlstandes“ wollten Koalition, Industrie, Arbeitgeber und Gewerkschaften darüber beraten, wie Deutschland die Chancen des globalen Wettbewerbs besser nutzen kann.
Vor einem Jahr hatte ein erster derartiger Gipfel ebenfalls in Meseberg ein Fachkräftekonzept beschlossen, das vor allem das Potenzial von sechs Millionen nichterwerbstätigen Frauen heben sowie Elektroingenieuren, Ärzten, Maschinen- und Fahrzeugbauern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern sollte.