Welchen Stellenwert hat der demographische Wandel? Sind die Herausforderungen weltweit, deutschlandweit ähnlich? Worauf kann die Region sich einstellen? Welcher Handlungsbedarf für Gemeinden und Unternehmen lässt sich ableiten? Ein Blick auf die Region von Carsten Große Starmann, Demographie-Experte der Bertelsmann Stiftung.
Der demographische Wandel verändert die Grundlagen in vielen Bereichen unseres Lebens. Für Arbeit, Gesundheitsversorgung, Bedarf an Bildungsangeboten, Kindergarten, Schule und Wohnen etwa gelten neue oder modifi zierte Voraussetzungen.
Die demographische Entwicklung hat auch für Unternehmen große Bedeutung. Das gilt in zweierlei Hinsicht: Einerseits zeigen sich in Folge der Bevölkerungsentwicklung erste Tendenzen für einen Fachkräftemangel – wenngleich zunächst in ausgewählten Branchen und in bestimmten Regionen. Andererseits ist die demographische Entwicklung von starken Wanderungsbewegungen, sowohl international als auch zwischen Regionen innerhalb des Landes, getrieben.
So sind z.B. die Zuzüge aus dem Ausland nach Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegen und haben zu einem deutlich positiven Wanderungssaldo beitragen. Hier liegt eine große Chance für Regionen und ihre Unternehmen. Neben den älteren Menschen und den Frauen sind es die männlichen und weiblichen Zuwanderer, deren Kenntnisse und Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt gewonnen werden können. Gleichwohl gilt für alle Industrieländer Europas, die wie Deutschland stark vom demographischen Wandel betroffen sind, dass erhebliche Auswirkungen auf das Erwerbstätigenpotenzial erwarten werden.
Hohes Qualifikationsniveau und stabile Bevölkerungszahlen
Auf regionaler Ebene nehmen häufi g vor allem die urbanen Zentren eine Schlüsselposition ein. Sie fungieren als Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungszentrum bzw. sind Universitätsstandort und üben somit eine Magnetwirkung aus. Münster weist mit 17,7 Prozent den höchsten Anteil der Hochqualifizierten am Arbeitsort aus, gefolgt von Paderborn mit 14,5 Prozent und Bielefeld mit 12,7 Prozent sowie Osnabrück mit 12,5 Prozent. Betrachtet man die Hochqualifizierten am Wohnort, so liegt der Universitätsstandort Münster mit 24,4 Prozent wieder an der Spitze, gefolgt von Osnabrück mit 16,8 Prozent, Paderborn 15,5 Prozent und Bielefeld 14,4 Prozent. Mit 1,1 bis 1,4 Prozent verzeichnen alle genannten Städte nur geringe Anteile an Schulabgängern, die ohne Abschluss die Schule verlassen.
Das hohe Qualifikationsniveau ist charakteristisch für Städte, die durch Hochschulen, Forschungs- oder Ausbildungseinrichtungen geprägt sind. Der konstante Zuzug vor allem junger Menschen führt zu demographischem Wachstum und damit einer guten Ausgangslage für die Unternehmen vor Ort. Während die Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen leicht rückläufi g sein wird, um 2,7 Prozent bis 2030, ergeben sich laut Bevölkerungsvorausberechnung der Bertelsmann Stiftung für alle Standorte mit Ausnahme des leicht schrumpfenden Bielefelds (-1,2%) positive Werte: Paderborn wird voraussichtlich 3,1 Prozent, Osnabrück 2,5 Prozent und Münster 11,3 Prozent Bevölkerungsgewinne verzeichnen.
Qualifizierung hat insgesamt einen enormen Stellenwert für die Zukunftssicherung – und betrifft nicht nur die jüngeren Generationen. In Bezug auf die Erwerbstätigenpotenziale gewinnen Bildungs- und Weiterbildungsangebote für alle Altersgruppen oder Fragen des Wissensmanagements zunehmend an Bedeutung. Wie lässt sich das Wissen ausscheidender älterer Arbeitnehmer sichern und für den Betrieb erhalten? Die Potenziale der Älteren – auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben – zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe.
Zuwanderung junger Menschen schwächt Alterung leicht ab
Die Alterung der Bevölkerung ist an den betrachteten Standorten weniger stark ausgeprägt. Während in Nordrhein-Westfalen mit einem Anstieg des so genannten Medianalters von 44,9 Jahren (2012) auf 47,4 Jahre im Jahr 2030 gerechnet wird, bleiben Paderborn (von 40,7 auf 43,2 Jahre) Osnabrück (von 42,4 auf 44,1 Jahre) und Bielefeld (von 43, auf 43,2 Jahre) vergleichsweise jünger. Der Median ist der Altersscheitelpunkt, der die 50 Prozent jüngeren Einwohner von den 50 Prozent älteren trennt. Der geringere Altersanstieg ist auf die hohe Zuwanderung von jungen Menschen in die Ausbildungs- und Universitätsstädte zurückzuführen und wird beschrieben als positive Bildungswanderung.
Sie zeigt den Zuzug junger Menschen zwischen 18 und 24 Jahren auf der Suche nach Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten. Diese vergleichsweise komfortable Situation sollten die Unternehmen und Kommunen in der Region langfristig nutzbar machen, um Standortund Lebensqualität zu sichern.
Wanderungsbewegungen sind auch international betrachtet zu einem Kernthema der Demographie geworden. Ihre Ausprägung ist je nach landesspezifi schen Gegebenheiten sehr unterschiedlich. Diese Wanderungsbewegungen sind hier vor allem motiviert durch die Suche nach Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Dadurch entsteht in der Gesamtschau eine Menge Bewegung, die sich demographisch im Hinblick auf die Alterung der Gesellschaft und die Stabilität der Bevölkerungszahl auswirkt. In Deutschland zeigt sich seit mehreren Jahren die Tendenz zu steigenden Zu- und Fortzügen und in der Summe dann auch zu einem sehr positiven Wanderungssaldo. Dieser lag 2013 bei 473.000 Personen, die mehr ein- als ausgewandert sind.
Vor allem bezüglich des rückläufi gen Arbeitskräftepotenzials und der zunehmenden Alterung eröffnet diese Entwicklung wichtige Ansatzpunkte für die Unternehmen und ihre Personalrekrutierung. Sie fi ndet zunehmend nicht mehr nur im Inland, sondern auch im Ausland statt. Auf kommunaler Ebene profi tieren vorrangig die großen und größeren Städte mit ihrem Umland. Hier werden auch zukünftig im Schulterschluss mit den Unternehmen die Integrationsaktivitäten, beispielsweise mit Blick auf eine bessere Willkommenskultur, weiter voranzutreiben sein.
In den drei Städten ist der Anteil der potenziellen Erwerbstätigen (Altersgruppe 25 – 44 Jahre) bis 2030 leicht rückläufi g: in Bielefeld von 26,9 auf 26,1 Prozent, in Paderborn von 28,6 auf 27,9 Prozent und in Osnabrück von 29,2 auf 28,2 Prozent. Münster legt leicht zu auf 30,3 Prozent. In Nordrhein-Westfalen wird der Anteil voraussichtlich von 25,1 auf 24,3 Prozent schrumpfen. Der jeweilige Rückgang beim Anteil der 19 – 24jährigen fällt sogar noch etwas stärker aus.
Hinsichtlich des Potenzials an Erwerbstätigen lohnt auch ein Blick auf die Frauenbeschäftigungsquote. Hier ergab eine Auswertung der Bertelsmann Stiftung starke Ost-West-Unterschiede, betrachtet man die am Wohnort als sozialversicherungspfl ichtig beschäftigt gemeldeten Frauen. Ein Grund dafür liegt im lange egalitär geprägten Rollenbild im Osten, während im Westen der Mann als Hauptverdiener galt und teilweise noch gilt.
Die Frauenbeschäftigungsquote liegt 2013 für Nordrhein- Westfalen liegt bei 46,8 Prozent, für Münster bei 46,7 Prozent und Bielefeld bei 46,9 Prozent. Paderborn verzeichnet 46 Prozent und etwas stärker präsentiert sich Osnabrück mit 48,6 Prozent. Auch wenn die Quoten in den letzten Jahren gestiegen sind, besteht weiteres Potenzial, dass die Unternehmen nicht unbeachtet lassen sollten – das Wissen und die Arbeitskraft von Frauen werden volkswirtschaftlich dringend benötigt.
Eine Stadt ist nur so stark wie ihr Umland
Um die Stellung als Arbeitsplatzzentrum im Wettbewerb zu bewahren, ist es wichtig, eine deutliche Profi lierung zu erarbeiten. Die Standortvorteile und -besonderheiten müssen sichtbar sein, wenn weiterhin junge Menschen und Fachkräfte gewonnen werden wollen. Regionale Kooperationen helfen bei der Profi lschärfung. Vor allem die enge Zusammenarbeit von Unternehmen und Bildungsinstitutionen ist wichtig. Sie ermöglicht, Ausbildungsinhalte auf die Bedarfe vor Ort zuzuschneiden, das Know-how der Universitäten und Forschungseinrichtungen einzubeziehen und passgenaue Ausbildungsangebote und Arbeitsangebote für die junge Generation zu gestalten.
Die Kommunen haben vor dem Hintergrund der demographischen Veränderungen hohes Interesse, die jungen Menschen, die durch Ausbildung, Studium und Arbeit in die Region gezogen werden, auch längerfristig zu binden. Deshalb ist es nötig, auch als Wohnstandort attraktiv zu sein und bei den Kriterien, die für eine Familiengründung relevant sind, zu punkten. Dazu gehören soziale und technische Infrastrukturen sowie differenzierte Wohnangebote. Eine Stadt ist dabei nur so stark wie ihr Umland. Attraktivität sichern bedeutet deshalb auch, die ländlicheren Räume in die Entwicklungen einzubeziehen. Digitalisierung oder Breitbandausstattung sind dabei Standortfaktoren, die für Startups ebenso wichtig sind, wie für die Ansiedlung von Bildungseinrichtungen und für Arbeitsformen der Zukunft. Diese Herausforderungen stellen sich Kommunen und Unternehmen gleichermaßen.
Wie sieht die Zukunft meiner Region aus?
Im Online-Portal www.wegweiser-kommune.de der Bertelsmann Stiftung fi ndet jeder Interessierte individuell abrufbare Daten zur Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur aller Städte und Gemeinden mit über 5.000 Einwohnern in Deutschland. Wenn Sie wissen möchten, wie sich der demographische Wandel in verschiedenen Bereichen auswirkt, fi nden Sie auf dem Portal Details und Informationen u.a. zu Bildung, Finanzen, Integration, Soziale Lage, Wirtschaft und Arbeit und können Ihren Blick bis ins Jahr 2030 richten. Der Wegweiser Kommune hat sich zur Aufgabe gemacht, vor allem Kommunen mit Daten, Analysen und Empfehlungen zu unterstützen.