Gütersloh. Angesichts der zunehmenden Europa-Müdigkeit und der um sich greifenden Euro-Skepsis in den Mitgliedsstaaten setzt sich die Bertelsmann Stiftung dafür ein, die Vision der Vereinigten Staaten von Europa zu verwirklichen. „Um die Legitimationsdefizite zu beseitigen, muss die Währungsunion endlich zu einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wertegemeinschaft ausgebaut werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende Aart De Geus heute auf der Jahrespressekonferenz der Bertelsmann Stiftung.
Trotz der Krise in der Euro-Zone sichere die Gemeinschaftswährung mittel- und langfristig Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung in ganz Europa. Ohne den Euro würde die Union politisch auseinander fallen und hätte im globalen Wettbewerb das Nachsehen, sagte De Geus. Um den Wert Europas und des Euro gerade für die deutsche Volkswirtschaft zu unterstreichen, hatte die Bertelsmann Stiftung am Montag eine aktuelle Studie veröffentlicht. Die Modellrechnung kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland in erheblichem Maße vom Euro profitiert.
Selbst wenn Deutschland einen Großteil seiner Forderungen durch die verschiedenen Euro-Rettungsmaßnahmen abschreiben müsste, überwögen die wirtschaftlichen Vorteile aus der Währungsunion. „Eine Rückkehr zur D-Mark würde erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Die Deutschen würden Einkommen und Arbeitsplätze verlieren“, sagte De Geus. Bereits im Oktober 2012 hatte die Bertelsmann Stiftung vor den weitreichenden Dominoeffekten gewarnt, die ein Euro-Austritt Griechenlands mit sich bringen würde.
Im Rahmen ihrer Internationalisierungsstrategie stellt die Bertelsmann Stiftung ihre Themen zunehmend in einen globalen Kontext. Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Religionsmonitor, der die Wechselwirkungen zwischen Religion, Werten und dem Zusammenhalt in der Gesellschaft genauer beleuchtet. In die Auswertung sind Antworten von 14.000 Menschen aus 13 Ländern eingeflossen. Mit dem Befragungsinstrument wurde deutlich, dass die Zentren hoher Religiosität heute außerhalb Europas liegen: die Türkei (82 Prozent), Brasilien (74 Prozent), Indien (70 Prozent) und die USA (67 Prozent) weisen die größten Anteile derjenigen auf, die angeben „mittel“, „ziemlich“ oder „sehr religiös“ zu sein. In Schweden (28 Prozent) und Israel (31 Prozent) liegt dieser Wert am niedrigsten. Deutschland liegt mit 57 Prozent der Personen, die dies angeben, im Mittelfeld.
Der am vergangenen Wochenende vorgestellte Religionsmonitor verweist auch darauf, dass die Ablehnung des Islam ein Phänomen der westlichen Welt zu sein scheint. So fühlen sich die Menschen in Spanien (60 Prozent), den USA (42 Prozent), der Schweiz (50 Prozent) und Israel (76 Prozent) vom Islam bedroht; deutlich weniger stark dagegen jene in Südkorea (16 Prozent) oder Indien (30 Prozent). In Deutschland hatten 51 Prozent der Bevölkerung angegeben, den Islam eher als Bedrohung zu empfinden. Diese Ergebnisse hatten eine intensive Debatte führender Vertreter der Religionsgemeinschaften und der Politik insbesondere über eine Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung des Islam ausgelöst. „Nur der persönliche Kontakt und der Dialog mit Menschen anderer Glaubensrichtungen führt zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und zu größerer Toleranz“, sagte Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende, auf der Jahrespressekonferenz der Bertelsmann Stiftung.
Die Bertelsmann Stiftung werde sich auch weiterhin für bessere Bildung und mehr Zuwanderung einsetzen, sagte Vorstandsmitglied Jörg Dräger. Zentrales Anliegen der Stiftung sei es, sowohl Leistungsstärke als auch Chancengerechtigkeit des Bildungssystems zu erhöhen. Ziel müsse insbesondere sein, die Zahl der Bildungsverlierer zu verringern. Dazu beitragen soll das Engagement der Stiftung in der Lehrerfortbildung: „Gute Schule ist guter Unterricht, und der wird von guten Lehrern gemacht“, sagte Dräger. An einem gemeinsamen Pilotprojekt der Bertelsmann Stiftung mit dem NRW-Schulministerium, in dessen Rahmen Unterrichtskonzepte für individuelle Förderung entwickelt werden, nehmen rund 20 Gütersloher und Bielefelder Schulen teil. Dräger sprach sich zudem für eine gezieltere Anwerbung qualifizierter Zuwanderer aus und kündigte an, in Kürze ein neues Gesamtkonzept für Zuwanderungssteuerung vorzustellen.
Im Bereich Gesundheit setzt die Bertelsmann Stiftung auf eine umfassende Bürgerinformation und -beteiligung. Mit dem unabhängigen und leicht verständlichen Internetportal www.weisse-liste.de hilft sie bei der Suche nach einem passenden Arzt, Krankenhaus oder Pflegeheim. Die Website www.faktencheck-gesundheit.de zeigt regionale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung auf und hält nützliche Tipps und Hilfen für Patienten bereit. Anfang Mai wird sich der Faktencheck Gesundheit dem Thema „Mandel-Operationen“ widmen. Dabei handelt es sich um die häufigste stationäre Operation im Kindes- und Jugendalter und die häufigste Leistung der Fachabteilungen für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. 2010 wurden 69.000 Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahren im Krankenhaus die Mandeln entfernt.
Im Geschäftsjahr 2012 hat die Bertelsmann Stiftung rund 63 Millionen Euro für ihre gemeinnützigen Projekte ausgegeben. Im laufenden Geschäftsjahr steht ebenfalls ein Etat in ähnlicher
Größenordnung zur Verfügung. Die Bertelsmann Stiftung beschäftigte Ende 2012 insgesamt 328 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; davon 100 in Teilzeit.