Berlin (dapd). Der Leiter des deutschen Tankstellengeschäfts des Mineralölkonzerns Esso, Henning Feller, weist die Verantwortung für hohe Spritpreise zurück. „Autos fahren nicht mit Rohöl, sondern mit Benzin“, sagte Feller der „Bild“-Zeitung (Dienstagausgabe). Deshalb seien die Beschaffungskosten für Kraftstoffe auf dem Weltmarkt ausschlaggebend für die Tankstellenpreise in Deutschland. Erst die Steuern von etwa 90 Cent pro Liter machten Benzin und Diesel teuer. Feller sagte, bei Preissenkungen schaue Esso natürlich auf die Wettbewerber. „Ich kann es mir gar nicht erlauben zu zögern oder gegen den Markt zu schwimmen. Sonst würde ich meine Kunden, die clever und preisbewusst sind, im Handumdrehen verlieren“, sagte er. Zum Vorwurf, dass die Mineralölkonzerne immer einen Grund für Preiserhöhungen fänden, sagte Feller: „Das sind keine Ausreden, sondern volkswirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten.“ Tägliche Preisänderungen erzwinge der hohe Wettbewerbsdruck. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Schlagwort: sagte
Scherbengericht über den Verfassungsschutz
Berlin (dapd). Keine Atempause für den Bundesverfassungsschutz: Auch nach dem Rückzug seines Präsidenten Heinz Fromm hält die Kritik an der Ermittlungsarbeit des Geheimdienstes zur Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) an. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte eine vollständige Überprüfung der Sicherheitsbehörden. Der Vorsitzende des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD) nannte die Löschung von Ermittlungsdaten einen unglaublichen Skandal. Ausschussmitglied Patrick Kurth (FDP) dachte laut über rechtliche Schritte nach. Beim Bundesverfassungsschutz waren noch kurz nach Bekanntwerden der Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU, der bundesweit zehn Tote zur Last gelegt werden, Ordner mit Details zu einer Geheimoperation geschreddert worden, bei der es um den Einsatz von V-Leuten ging. Özdemir sagte dem „Hamburger Abendblatt“: „Der Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene gehört komplett auf den Prüfstand.“ Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die Aufklärung und Erneuerung allein aus der Behörde heraus nicht funktioniere. Stoff für Verschwörungstheoretiker Edathy kündigte an, dass in der Ausschusssitzung am Donnerstag neben Fromm voraussichtlich auch der direkt für die Akten-Vernichtung verantwortliche Referatsleiter als Zeuge gehört werde. „Die skandalöse Vernichtung einschlägiger Akten ist nicht dazu geeignet, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen“, sagte Edathy der „Mitteldeutschen Zeitung“. NSU-Untersuchungsausschussmitglied Kurth sagte dem Blatt: „Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können.“ CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte, der Rücktritt Fromms erledige das Thema keineswegs. „Allein bei persönlichen Konsequenzen für den Präsidenten wird es wohl nicht bleiben können“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstagausgabe). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), forderte im „Hamburger Abendblatt“ Konsequenzen für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Türkische Gemeinde fragt nach Verquickungen mit NSU Hamburgs Leiter der Verfassungsschutzbehörde, Manfred Murck, sprach sich für eine Stärkung der Landesämter aus. „Nicht überall ist eine Zentralisierung der Arbeit fachlich angebracht und effizient“, sagte Murck der Zeitung. „Gerade in vielen operativen Aufgaben sollten künftig eher die vor Ort besser aufgestellten Landesämter gestärkt werden. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fragte, ob es eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab. Nachdem der NSU aufgeflogen sei, habe er noch sehr viele Fragezeichen hinter diesen Verdacht gemacht. „Heute kann ich maximal noch ein Fragezeichen machen. Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane – in den Verfassungsschutz schon gar nicht“, sagte Kolat der „Berliner Zeitung“. dapd (Politik/Politik)
Söder dringt auf Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone
Augsburg (dapd). Bayerns Finanzminister Markus Söder hält die Rettungsbemühungen für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone für gescheitert. „Griechenland kann und will es wohl nicht schaffen“, sagte der CSU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstagausgabe) laut Vorabbericht. „Aus meiner Sicht muss man ein Ausstiegsszenario für Griechenland vorbereiten.“ Söder sagte, Griechenland sei wirtschaftlich kaputt und könne mit dem Euro keinen Neuanfang bewältigen. Die übrigen Länder der Euro-Zone nähmen durch einen Ausstieg der Griechen aus der Gemeinschaftswährung mittlerweile keinen Schaden mehr. „Würde Griechenland heute insolvent gehen, wäre das schlimm für das Land, aber für den Rest Europas wäre das Risiko beherrschbar“, sagte Söder. dapd (Politik/Politik)
Jugendverbände von Union und FDP streiten über die ESM-Abstimmung
Erfurt (dapd-lth). Der Jugendorganisation der FDP hat nach der Abstimmung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) den Austritt der Liberalen aus der schwarz-gelben Koalition gefordert. Die Koalition im Bund müsse umgehend beendet werden, sagte der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen (Julis) Thüringen, Bernhard Kuske, am Montag in Erfurt. Der Landesvorsitzende der Jungen Union (JU) Thüringen, Stefan Gruhner, kritisierte den Vorschlag scharf. Die Liberalen würden bei den Abstimmungen zum ESM und Fiskalpakt nur als Steigbügelhalter dienen, argumentierte Kuske. Die Partei verrate sich damit selbst und ihre Wähler. Die FDP sei in den vergangenen Wochen gezwungen gewesen, liberale Kernpositionen aufzugeben, um die Koalition zu erhalten. Das habe zum Verlust von Wählern beigetragen. In der Opposition könne die FDP wieder als liberales Gegengewicht fungieren. „Das Ende von Schwarz-Gelb bedeutet das Ende der FDP“, sagte der JU-Vorsitzende Gruhner dazu. „Offensichtlich leiden die Julis Thüringen derart an geistiger Umnachtung, dass sie jetzt sogar ein liberales Selbstmordkommando einfordern“. Die Forderungen der Julis seien euroskeptisch und verantwortungslos, sagte er weiter. Gleichzeitig verteidigte Gruhner ESM und Fiskalpakt. Die Abkommen seien besser als die Vorschläge der Opposition weil sie Gegenleistungen von Ländern einforderten, die Hilfe benötigen. Der Fiskalpakt ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der den 25 Teilnehmerstaaten strenge Sparvorgaben auferlegt. Außer Großbritannien und Tschechien wollen alle EU-Staaten mitmachen. dapd (Politik/Politik)
Nach Fromm-Rücktritt Debatte über Geheimdienstchef Sippel
Erfurt (dapd-lth). Der Rücktritt von Geheimdienstchef Heinz Fromm hat die Debatte über seinen Thüringer Amtskollegen Thomas Sippel neu entfacht. CDU und SPD haben unterschiedlich stark den Rücktritt des Behördenchefs aus dem Freistaat gefordert. „Dieser Präsident ist nicht mehr zu halten“, sagte Fraktionschef Uwe Höhn der „Thüringer Allgemeinen“ (Dienstagausgabe). Es sei jetzt an Innenminister Jörg Geibert (CDU), „endlich zu handeln.“ Der innenpolitische Sprecher der CDU, Wolfgang Fiedler, sagte der Zeitung, „dass die Verantwortlichen in Thüringen nun endlich begreifen sollten, was die Stunde geschlagen hat“. Fromm hatte am Montagvormittag Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) um seine Ablösung gebeten. Dieser nahm das Gesuch an. In der vergangenen Woche war der Behördenchef in die Kritik geraten, als öffentlich wurde, dass ein Mitarbeiter seines Amtes Unterlagen über den Thüringer Heimatschutz (THS) kurz nach Auffliegen der Zwickauer Zelle gelöscht hatte. Die NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren Mitglied des THS. Der Sozialdemokrat Fromm war seit Juni 2000 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die Thüringer NSU-Ausschussvorsitzende Dorothea Marx begrüßte den Rücktritt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. „Das findet meine Anerkennung und meinen Respekt“, sagte die SPD-Politikerin der Nachrichtenagentur dapd. Das Vertuschen und Mauern müsse endlich aufhören. „In Zukunft sollten wir uns überlegen, was gemacht werden muss, damit so ein Staat im Staat nicht mehr passieren kann“, sagte sie weiter in Richtung Verfassungsschutz. Außerdem müsse geschaut werden, ob es nicht noch mehr politisch Verantwortliche gibt, die ebenfalls Verantwortung übernehmen müssen. Die Linke wiederholte in diesem Zusammenhang ihre Forderung nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes. „Das Problem ist nicht Herr Fromm, das Problem ist der Verfassungsschutz selbst“, sagte Innenpolitikerin Martina Renner. Aber wenigstens werde mit dem Rücktritt anerkannt, „dass enormer Handlungsbedarf mit Blick auf den Skandal-Laden besteht“. Der grundlegende Widerspruch eines unkontrollierbaren Geheimdienstes, „der eher Gegner als Förderer einer offenen demokratischen Gesellschaft ist, kann nur durch eine strukturell transparent arbeitende Behörde ohne geheimdienstliche Befugnisse gelöst werden“. dapd (Politik/Politik)
Woolworth setzt auf Expansion
Frankfurt (dapd). Die deutsche Kaufhauskette Woolworth will rund zwei Jahre nach ihrer Insolvenz wieder wachsen. Mittel- bis langfristig gebe es Potenzial für 500 Filialen in Deutschland, sagte Woolworth-Geschäftsführer Dieter Schindel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montagausgabe). „Wir wollen dann möglichst in jeder Kleinstadt vertreten sein“, sagte er. Derzeit betreibt die Unternehmensgruppe hierzulande mehr als 200 Standorte. Woolworth setze als Zielgruppe auf ältere Menschen, die ihre Einkäufe gern in der Nachbarschaft erledigten, sagte Schindel weiter. Sämtliche Erträge würden reinvestiert, um die Marke zu stärken. Anders als vor der Insolvenz im April 2009 soll mittlerweile kein Woolworth-Geschäft größer als 2.000 Quadratmeter sein. Die in Unna ansässige Woolworth-Gruppe setzt etwa 400 Millionen Euro pro Jahr um und beschäftigt knapp 5.000 Mitarbeiter. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Gabriel macht sich für die Mindestrente stark
Berlin (dapd). Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich für die Einführung einer Mindestrente ausgesprochen. Allerdings komme es darauf an, was unter diesem „etwas schillernden Begriff“ zu verstehen sei, sagte Gabriel der „Welt am Sonntag“. Wenn damit gemeint sei: „Niemand, der sein Leben lang rentenversichert war und über viele Jahrzehnte gearbeitet hat, darf im Rentenalter auf Sozialhilfeniveau kommen, nur weil er unverschuldet arbeitslos war oder in den Niedriglohnsektor gedrückt wurde – dann bin ich sehr dafür.“ SPD-Fraktionsvize Elke Ferner sprach sich gegen eine Senkung des Rentenbeitragssatzes von aktuell 19,6 auf 19,0 Prozent aus. „Es ist Unsinn, den Beitragssatz in der Rentenversicherung sinken zu lassen“, sagte Ferner der „Rheinischen Post“. Sie forderte, die gesetzliche Schwankungsreserve in der Rentenversicherung anzuheben. „Wir müssen damit rechnen, dass auch Deutschland von der Wirtschaftskrise in Europa erfasst wird“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag. „Wenn wir den Beitragssatz jetzt stabil halten, müssen wir ihn in Krisenzeiten nicht gleich wieder anheben.“ Der rentenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Heinrich Kolb, widersprach Ferner und erklärte: „Die Beitragssenkung ist zwingendes geltendes Recht.“ Nach Kolbs Sichtweise ist der Reserveüberschuss in der Rentenversicherung aus Beitragsmitteln entstanden und muss daher auch an die Beitragszahler zurückgegeben werden. „Alles andere wäre ungerecht“, sagte der FDP-Politiker. dapd (Politik/Politik)
Lautenschläger warnt vor Verwundbarkeit der Banken
München (dapd). Die hiesigen Banken sind nach Ansicht von Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger heute stabiler als noch vor drei Jahren, im Falle einer weiteren Eskalation der Schuldenkrise aber ebenfalls verwundbar. „Die deutschen Institute sind heute widerstandsfähiger als bei der letzten Krise“, sagte die Bundesbankerin dem „Focus“. Insgesamt sei aber keine europäische Bank vor erheblichen Verlusten geschützt, wenn sich die Staatsschuldenkrise dramatisch zuspitze. Im Hinblick auf die Pläne, eine europäische Bankenaufsicht zu etablieren, sagte Lautenschläger: „Ich stelle mir die Frage, ob eine europäische Aufsicht die Staatsschuldenkrise hätte verhindern können.“ Nach Meinung der obersten deutschen Bankenprüferin könne die Aufsicht bei Risiken heute viel früher eingreifen und mache davon auch Gebrauch. Es sei jedoch kaum möglich, jegliche illegale Zockerei zu verhindern. „Auch in Deutschland werden Regeln gebrochen“, sagte Lautenschläger. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Gescheiterte Übernahme enttäuscht Fresenius und Rhön-Klinikum
Bad Homburg/Bad Neustadt (dapd). Die geplatzte Übernahme des Krankenhausbetreibers Rhön-Klinikum durch den Gesundheitskonzern Fresenius sorgt für Frust bei den Beteiligten. „Hier wurde eine große Chance im ersten Anlauf zur gemeinsamen Gestaltung des deutschen Gesundheitsmarktes verpasst“, sagte der Aufsichtsratschef von Rhön-Klinikum, Eugen Münch. „Der Zusammenschluss hätte allen Beteiligten neue Chancen eröffnet.“ Der Großteil der Rhön-Aktionäre habe das Angebot angenommen, sagte Fresenius-Chef Ulf Schneider. „Daher ist es bedauerlich, dass es blockiert wurde, ohne eine konstruktive Alternative aufzuzeigen.“ Die Übernahme der fränkischen Rhön-Klinikum AG durch Fresenius war an der Mindestannahmequote von 90 Prozent der Anteile plus einer Aktie gescheitert. Der hohe Wert rührt aus der Satzung von Rhön-Klinikum, die eine Sperrminorität von zehn Prozent des Kapitals vorsieht. Bis zum Ende der Angebotsfrist am Mittwoch um Mitternacht seien Fresenius lediglich 84,3 Prozent angedient worden, hatte der DAX-Konzern am Freitag im hessischen Bad Homburg mitgeteilt. Fresenius wollte Röhn-Klinikum mit seinem eigenen Klinikbetreiber Helios zum größten privaten Klinikkonzern in Europa verschmelzen. Dafür hatten die Hessen 3,1 Milliarden Euro geboten und dabei auch Unterstützung vom Rhön-Aufsichtsrat erhalten. Kurz vor Ende der Annahmefrist hatte sich jedoch der Rivale Asklepios knapp über fünf Prozent an Rhön-Klinikum gesichert. Rhön-Klinikum erwartet Einbußen durch geplatzten Deal Fresenius-Chef Schneider sagte, die Meldung über die Asklepios-Beteiligung am letzten Tag der Frist habe ein hohes Handelsvolumen ausgelöst und die Annahme und Abwicklung des Fresenius-Angebots beeinträchtigt. Der Konzern werde in den kommenden Tagen eingehend seine Handlungsmöglichkeiten prüfen. Ein Asklepios-Sprecher sagte, die jetzige Situation lasse seinem Unternehmen alle Handlungsmöglichkeiten offen. Mehr gebe es zunächst nicht zu sagen. Nun rechnet Rhön-Klinikum auch mit einem finanziellen Schaden aus dem gescheiterten Geschäft. So seien durch den Prozess etwa Beratungskosten entstanden, Management-Kapazitäten gebunden und operative Weichenstellungen verzögert worden, hieß es. Das werde „Auswirkungen auf die operative Geschäftsentwicklung“ haben, teilte das Unternehmen mit. Wie hoch die Belastungen genau sein werden, lasse sich aber noch nicht sagen. Die kommunalen Krankenhäuser sehen sich durch den geplatzten Deal in ihrer Kritik an Investoren im Gesundheitswesen bestätigt. Der Vorsitzende des Interessenverbands kommunaler Krankenhäuser (IVKK), Bernhard Ziegler, sagte, die Entwicklung zeige die Gefahr einer Abhängigkeit von den Winkelzügen privater Anleger. „Wenn die Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen davon abhängt, welcher Investor sich in welcher Konstellation die größeren Vorteile verspricht, steht es schlecht um unser Gesundheitswesen“, sagte er dem „Tagesspiegel“. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Juden und Muslime kompromisslos für Beschneidung
Berlin (dapd). Nach dem Kölner Beschneidungs-Urteil pochen Juden und Muslime auf die Religionsfreiheit und lehnen Kompromisse ab. „Da gibt es für uns absolut keinen Verhandlungsspielraum“, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, am Wochenende. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime will notfalls das Bundesverfassungsgericht einschalten. Das Kölner Landgericht hatte die rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung gewertet. Die jüdische Religion sieht vor, dass Jungen acht Tage nach der Geburt beschnitten werden. Graumann sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), sollte das Kölner Urteil Schule machen, wäre jüdisches Leben in Deutschland praktisch nicht mehr möglich. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass „das Judentum gefühllos in die Illegalität“ gedrängt werden solle. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Mazyek, sagte dem „Focus“, seine Organisation prüfe gerade, „einen Präzedenzfall zu schaffen“. So solle die Frage der rituellen Beschneidung über den Instanzenweg vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden. Unterstützung erhalten Juden und Muslime von dem SPD-Politiker Reinhold Robbe, dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. „Wenn dieses Urteil Bestand hat, dann haben wir wirklich ein Problem“, sagte Robbe. „Dies würde einen massiven Eingriff in die Religionsfreiheit bedeuten.“ „Religiöse Tradition ist nicht automatisch gut“ Auch der Moralphilosoph Robert Spaemann plädierte dafür, die Grundrechte sorgsam abzuwägen. Wer einen „jahrtausendealten Ritus“ abschaffen wolle, „der hat die Begründungspflicht“, sagte er. Im Gegensatz zur Genitalverstümmlung bei Mädchen sei die rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung nicht gravierend. Die Abwägung der Grundrechte könne deshalb „nur zugunsten der bisherigen Beschneidungspraxis ausgehen“. Dagegen unterstützt der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, das Kölner Urteil. „Das ist ein klares Signal zum Schutz des Kindes“, sagte Ehrmann. „Nur weil etwas religiöse Tradition ist, heißt es noch lange nicht, dass es gut ist.“ Der Bundesverband der niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands empfahl seinen Mitgliedern in einem Schreiben, von rituellen Beschneidungen abzusehen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte der „FAS“, die Kammer werde ihre „Mitglieder nun darauf hinweisen müssen, welches Risiko sie eingehen“. Der stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, Bernd Tillig, empfahl Eltern, die Beschneidung ihrer Söhne bis zu einem Alter hinauszuzögern, in dem sie selbst entscheidungsfähig sind. FDP für Legalisierung der Beschneidung Der FDP-Integrationsexperte Serkan Tören strebt eine gesetzliche Neuregelung an. „Ich setze mich in der FDP-Bundestagsfraktion für ein Gesetz ein, das klarstellt, dass die weltweit etablierte Praxis der Beschneidung auch in Deutschland legal ist“, sagte Tören der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Ungewissheit, vor der nun Tausende muslimische und jüdische Familien stünden, sei nicht hinzunehmen. „Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten sein, kann sich das Land jede weitere Integrationspolitik sparen“, meinte Tören, der selbst Muslim ist. „Ein Verbot der Beschneidung wäre das deutlichste Signal an die Muslime in unserem Land, dass sie kein Teil Deutschlands, ja nicht einmal willkommen sind.“ dapd (Politik/Politik)