Brüssel (dapd). Der Ökonom Jörg Krämer und drei weitere Fachkollegen haben nach eigenen Worten keine Angst, dass ihre Prognosen die Eurokrise weiter anheizen oder die Finanzmärkte verunsichern könnten. „Das wäre Selbstüberschätzung: Wir Volkswirte sind nur Beobachter, nicht Treiber der Krise“, sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank im dapd-Gespräch. Die Aufgabe des von ihm geführten Krisenteams bei Medienanfragen beschreibt er nüchtern: „Wir sagen ungeschminkt die Wahrheit, ohne aber alarmistisch zu sein.“ Ähnlich äußerte sich der BWL-Professor und Fondsmanager Max Otte. „Die Fakten müssen raus, aber eingeordnet werden“, sagte er der dapd. „Für selbsterfüllende Prophezeiungen bin ich nicht wichtig genug.“ Mehr Sorge bereitet Otte die Qualität der öffentlichen Diskussion über die Eurokrise: „Je mehr Ökonomen wir haben, desto schlechter wird die Debatte und desto exotischer werden die Prognosen. Der Lärm nimmt zu.“ Nach Einschätzung des Chefvolkswirts der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, Heiner Flassbeck, verarbeiten die Finanzmärkte „unendlich viele Informationen zur gleichen Zeit“, weshalb weder sein Urteil noch das eines anderen Ökonomen für Krisenentwicklungen ausschlaggebend sei. Reue nach einem seiner Interviews habe er daher noch nie empfunden. Der Vizedirektor des Brüsseler Thinktanks Bruegel, Guntram Wolff, gab sich ebenfalls gelassen. „Angst vor Marktreaktionen habe ich eigentlich nicht“, sagte er im dapd-Interview. Allerdings würde der promovierte Volkswirt nach eigenem Beteuern auch nie geheime, marktrelevante Informationen an Journalisten weitergeben. Grundsätzlich sei sein Forschungsinstitut stets um wissenschaftlich fundierte Analysen bemüht, sagte Wolff: „Wir klopfen keine populistischen Sprüche, sondern versuchen, konstruktive Lösungen anzubieten.“ dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
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Dulger plädiert für eine Umgestaltung des Tarifsystems
Magdeburg (dapd). Der neue Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, hat sich für eine Umgestaltung des Tarifsystems ausgesprochen. Er halte eine Flexibilisierung der Tarifverträge für notwendig, sagte Dulger am Freitag in Magdeburg. Die Arbeitswelt verändere sich ständig. Dem bisherigen Tarifsystem und den dahinter stehenden Denkmustern seien noch immer die Ursprünge der Massenfertigung der 1950er Jahre anzumerken. In jedem Unternehmen gebe es unterschiedliche Bedürfnisse, daher seien moderne Tarifverträge nötig. Mit betrieblichen Öffnungsklauseln müssten in einzelnen Betrieben im Dialog mit den Betriebsräten neue Arbeitsbedingungen ausgehandelt werden können. Von einer modernen Zeitgestaltung profitierten auch die Arbeitnehmer. Dulger wurde auf einer Mitgliederversammlung in Magdeburg vom Vorstand des Verbandes einstimmig für zwei Jahre an die Spitze von Gesamtmetall gewählt. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Heidelberger ProMinent-Gruppe und war bisher Verhandlungsführer und Vorsitzender von Südwestmetall. Er löst Martin Kannegiesser ab, der zwölf Jahre an der Verbandsspitze stand. Kannegiesser, der zum Ehrenpräsidenten gewählt wurde, sprach sich angesichts der abflauenden Konjunktur für eine Rückkehr zu den gelockerten Kurzarbeitsregeln von 2009 aus. „Eine konjunkturelle Abschwächung werden wir auf jeden Fall bekommen“, sagte er der Zeitung „Neue Westfälische“ (Freitagausgabe). Niemand wisse, ob die Schwächephase nur vorübergehend oder länger andauernd sei. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 hatte die damalige große Koalition aus Union und SPD Sonderregelungen eingeführt und etwa den Zeitraum für den Bezug von Kurzarbeitergeld verlängert. Damit wurde eine Entlassungswelle verhindert. Die Regelungen wurden Anfang 2012 wegen der besseren Wirtschaftslage aber teilweise zurückgenommen. Dulger kündigte an, dass er den „guten und ausgewogenen Dialog“ mit den Gewerkschaften fortführen wolle. Er freue sich auf die Herausforderungen des neuen Amtes. Dulger bezeichnete die Metall- und Elektroindustrie als das Herz der Wirtschaft. In der Branche gebe es rund 3,6 Millionen Beschäftigte in 23.430 Betrieben. Der 48-jährige Dulger ist promovierter Ingenieur. 2001 hatte er gemeinsam mit seinem Bruder die von seinem Vater 1960 gegründete Firma ProMinent Dosiertechnik übernommen. Die Firma beschäftigt neben 600 Mitarbeitern am Stammsitz Heidelberg weitere 1.700 weltweit. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Der Generationswechsel beim Versandhauskonzern Otto beginnt
Hamburg (dapd). Der Versandhauskonzern Otto leitet den Generationswechsel innerhalb der Gründerfamilie ein: Am 1. Oktober tritt der 37 Jahre alte Enkel von Firmengründer Werner Otto, Benjamin Otto, in den Konzern ein. Der studierte Ökonom wird als Geschäftsführer eine Tochtergesellschaft im Onlinebereich leiten, wie ein Firmensprecher am Freitag sagte. Damit arbeitet Otto in der Hierarchie direkt unterhalb des Vorstandes und soll offenbar auf die Führung des 53.000-Mitarbeiter-Konzerns vorbereitet werden. „Jetzt fühle ich mich der Verantwortung gewachsen, in der Otto Gruppe tätig zu sein“, sagte er in einem Interview für die Belegschaft. Benjamin Otto ist der Sohn von Michael Otto, dem ältesten Sohn von Werner Otto. Der 69 Jahre alte Michael Otto war von 1981 bis 2007 Vorstandsvorsitzender des Konzerns, seitdem leitet er den Aufsichtsrat. Benjamin Otto hatte nach dem Studium über zehn Jahre eine von ihm gegründete Haustechnikfirma geführt. Zuletzt hatte er das Silicon Valley besucht, um sich über die kommenden Trends des Internetgeschäftes zu informieren. Der Gründerenkel sagte, es sei ihm klar, „als Familienmitglied unter besonderer Beobachtung der künftigen Kollegen zu stehen“. Seine Erfahrung als Firmenchef habe ihn gelehrt, „sehr fordernd, aber auch harmonisch und motivierend mit Mitarbeitern umzugehen“. Auf der fachlichen Seite bringe er Wissen mit „etwa mit Medientechnik und IT sowie über meine Beteiligungen mit E-Commerce- und Internet-Start-ups“. Otto ist nach eigenen Angaben „als Investor und Business Angel im Venture-Capital-Bereich tätig und an Start-ups wie dem Restposten-Reseller Returbo.de und dem Versicherungsmakler Friendsurance.de beteiligt“. Benjamin Otto wird an der schwächsten Stelle des Konzerns eingesetzt: dem Kampf gegen die Onlinekonkurrenz. Obwohl Otto das Internetgeschäft massiv ausgebaut hatte, gerät der Konzern immer mehr unter Druck von jungen Konkurrenten wie dem Schuhversender Zalando oder Amazon. Jetzt soll Vize-Vorstandschef Rainer Hillebrand diesen Angriff aus dem Internet abwehren. Benjamin Otto arbeitet direkt Hillebrand zu. Dass er 2016 Vorstandschef wird – dann geht der amtierende Vorstandsvorsitzende Hans-Otto Schrader voraussichtlich in Pension – glaubt Benjamin Otto nicht: „Ich weiß natürlich darum, dass man meinen Einstieg ins Unternehmen sofort mit der Frage verbindet, wann ich womöglich Herrn Schrader als Vorstandsvorsitzenden beerbe. Das ist für mich selbstverständlich erst mal gar kein Thema“, sagte er. Zunächst wolle er die ihm übertragene Tochterfirma zum Erfolg führen, alles andere „wird sich in den nächsten Jahren ergeben“. Sein Vater Michael Otto war ab 1971 zehn Jahre im Konzern, ehe er Chef wurde. Benjamin Otto besserte schon als Schüler und Student sein Einkommen mit bestbezahlten DJ-Einsätzen auf. In den 90er Jahren organisierte er Musikveranstaltungen in Hamburg und auf Sylt. Nach einer Lehre zum Bankkaufmann absolvierte er ein Wirtschaftsstudium an der European Business School in London. Nach beruflichen Stationen in Buenos Aires und Madrid gründete er 2002 ein Unternehmen für intelligente Haustechnik für private und gewerbliche Gebäude und machte daraus eine Unternehmensgruppe, die in den Bereichen Haustechnik, Medientechnik, Immobilienentwicklung und Leasing aktiv ist. Otto gilt als begeisterter Sportler. Der Otto-Konzern wurde 1949 von Werner Otto in Hamburg gegründet. Heute gehören neben dem Versandhaus auch Ketten wie Bon Prix oder Sport Scheck sowie der Lieferdienst Hermes zum Unternehmen. Der Umsatz betrug 2011 rund 11,6 Milliarden Euro. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Vom Findelkind zum Vizekanzler
Berlin (dapd). Philipp Rösler weiß weder wo, noch wann er genau geboren ist. Er kennt seine leiblichen Eltern nicht. Sein Geburtsdatum wurde im Waisenhaus auf den 24. Februar 1973 festgelegt. In den Wirren des Vietnamkriegs wurde der kleine Junge in diesem Waisenhaus in dem Dorf Knanh Hung abgegeben. Das Findelkind wurde von der deutschen Familie Rösler adoptiert, die ihm den Vornamen Philipp gab und ihm eine ordentliche Bildung angedeihen ließ. Der junge Mann studierte Medizin und promovierte über ein kardiologisches Thema. Vietnamesisch lernte er nicht. 1992 trat er in die FDP ein, 2000 ließ er sich katholisch taufen. Er wurde Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, vorübergehend Gesundheitsminister der Bundesrepublik Deutschland. Jetzt ist er FDP-Bundesvorsitzender. Und Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Als solcher reist Philipp Rösler am späten Montagabend dienstlich in sein Geburtsland. Nein, er besucht nicht das Dorf mit dem Waisenhaus. Da war er schon 2006, privat. Damals war es schwierig genug, das südvietnamesische Dorf zu finden, das nach dem Sieg des Nordens umbenannt worden ist, genau wie die einstige Hauptstadt Saigon, die heute Ho-Chi-Min-Stadt heißt. Es gelang ihm erst, als er eine alte amerikanische Landkarte, auf der der alte Name des Dorfes noch verzeichnet war, mit einer aktuellen verglich. Röslers Programm umfasst Gespräche mit der vietnamesischen Regierung, er wird begleitet von Wirtschaftsbossen, denen er in dem aufstrebenden Land Türen zu öffnen versucht. Er besucht Produktionsstätten von Bosch und von Siemens – eben das, was die Aufgabe eines Wirtschaftsministers bei Auslandsreisen ist. Aber er eröffnet auch die Internationale Deutsche Schule in Ho-Chi-Minh-Stadt. Und auf dem Rückflug nach Deutschland macht er noch einen Tag Station in Thailand. Am Freitag wird er in Berlin zurückerwartet. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Abenteuer Zukunftsplanung
Hamburg (dapd). Flavio Mota schmiedet Pläne. Der Bauingenieur möchte einen Job als Projektleiter finden, sich eine Existenz in Deutschland aufbauen, hier eine Familie gründen. „In meiner Heimat Portugal kann man keine Zukunftspläne machen“, sagt der 35-Jährige, der vor zwei Jahren von Porto nach Hamburg ausgewandert ist. Wer in Portugal überhaupt einen Job finde, müsse immer fürchten, ihn vielleicht schon im nächsten Monat wieder zu verlieren. „Die staatliche Unterstützung reicht dann gerade so, um zu überleben. Viele wohnen mit 35 oder sogar 40 noch bei ihren Eltern – weil es einfach nicht anders geht“, sagt Mota. Besonders für junge Leute sei diese ewige Unsicherheit sehr belastend. Für Bauingenieure stehen die Chancen auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt besonders schlecht. „Die Finanzkrise hat diese Branche hart getroffen, da der Staat als erstes die Ausgaben für öffentliche Bauprojekte gekürzt hat“, berichtet der Portugiese. Viele seiner Kommilitonen seien daher nach dem Abschluss nach Brasilien oder Afrika ausgewandert. „Diese Länder sind nichts für mich. Aber ich habe in Portugal immer wieder Berichte darüber gehört, dass in Deutschland besonders Ingenieure dringend gesucht werden“, sagt der 35-Jährige. Eine Freundin, die bereits vor ein paar Jahren ihr berufliches Glück in Stuttgart gefunden hatte, lud Flavio Mota ein, sie doch einmal zu besuchen und sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt umzuschauen. „Verliere keine Zeit“, mahnte sie ihn. Diesem Credo folgten in den vergangenen Jahren immer mehr seiner Landsleute: Machten sich 2006 noch 5.640 Menschen von Portugal nach Deutschland auf, verzeichnete die Bundesrepublik nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2011 schon 9.038 Einwanderer aus dem südeuropäischen Land. „Für mich war es einfach ein Abenteuer“ Mota hatte Glück: Auf Anhieb ergatterte er eine Stelle bei einem Projekt in Hamburg – das Unternehmen arbeitet unter anderem mit portugiesischen Firmen zusammen und konnte die Sprachkenntnisse des Auswanderers gut gebrauchen. „Mir war eigentlich am Anfang gar nicht klar, was ich da mache, dass ich Portugal nun wirklich verlasse. Es war für mich einfach ein Abenteuer“, beschreibt Mota seine Gefühle. Der Job lief gut, bald wurde er für ein weiteres Projekt nach Rotterdam versetzt. Doch inzwischen hatte der Portugiese in Hamburg bereits Wurzeln geschlagen, viele Freunde gefunden, sich in eine Deutsche verliebt – die nächste Versetzung nach Norwegen schlug er daher aus und kehrte ohne Job zurück in die Hansestadt. Da sein Arbeitsvertrag über ein portugiesisches Unternehmen geführt worden war, erhält er hier keine finanzielle Unterstützung. Seit Anfang des Jahres besucht Flavio Mota in Hamburg einen Deutsch-Integrationskurs und schreibt fleißig Bewerbungen – bislang erfolglos. „Mir ist klargeworden, wie wichtig gute Deutschkenntnisse sind, um auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren zu können“, sagt er. Das betone er auch gegenüber Freunden und Bekannten aus der Heimat, die ihn in jüngster Zeit vermehrt kontaktieren und sich über die Zukunftschancen in Deutschland informieren wollen. „Viele sehen im Fernsehen Berichte über deutsche Firmen, die Portugiesen einstellen wollen. Aber ohne Vorbereitung ist es trotzdem schwer“, sagt Mota. Aus Fehlern lernen Viele seiner Freunde in Portugal machten sich Sorgen um ihre Zukunft. „Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Leute inzwischen auch wieder mehr Hoffnung schöpfen“, sagt Mota. Aus den Fehlern, die in der Vergangenheit gemacht wurden, könne sein Land lernen und so gestärkt aus der Krise hervorgehen – da ist er sich sicher. „Ich finde, meine Landsleute sollten stolzer sein auf Portugal“, sagt Mota. Die Portugiesen sähen oft nur die negativen Seiten und verglichen sich mit erfolgreicheren Ländern wie Frankreich oder Deutschland. Dabei habe sein Land viel mehr zu bieten als gute Fußballer. „Wir sind ein sehr freundliches Volk, mit viel Sinn für die Familie. Das Klima in Portugal ist toll und die Küche einzigartig. Diese Dinge weiß man leider oft erst zu schätzen, wenn man nicht mehr da ist“, sagt der 35-Jährige nachdenklich. Trotzdem – für ihn kommt eine Rückkehr nach Portugal nicht mehr infrage. „Ich möchte auf jeden Fall hierbleiben – ich fühle mich in Deutschland sehr wohl“, sagt der 35-Jährige. Wenn er hier wie geplant eine Familie gründe, wolle er seinen Kindern außerdem nicht zumuten, eines Tages mit ihm in ein für sie fremdes Land auszuwandern. Auch wenn seine Auswandererkarriere gerade etwas stockt, ist der Portugiese guter Dinge, bald wieder ein Engagement in Deutschland zu finden. Seine Eltern hätten seine Entscheidung akzeptiert – auch wenn seine Mutter am Telefon immer noch oft weine um ihren Sohn und um die zukünftigen Enkel, die sie wohl nur sehr selten sehen wird. Und nicht nur auf ihren Flavio wird sie in Zukunft höchstwahrscheinlich verzichten müssen: „Eine meiner beiden Schwestern ist Biologin und findet in Portugal seit Monaten keinen Job. Jetzt wandert sie mit ihrem Mann nach Angola aus“, berichtet Mota. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Porsches Rückkehr nach Osnabrück weckt Erinnerungen
Osnabrück (dapd-nrd). Die Rückkehr von Porsche nach Osnabrück weckt Erinnerungen, die bei Klaus Ulrich schon lange verblasst waren. Wenn am kommenden Mittwoch der Produktionsstart des Porsche Boxster gefeiert wird, dann leuchten sie wieder in den buntesten Farben. Der 57-Jährige wird sich im Osnabrücker Volkswagen-Werk daran erinnern, wie er hier vor 39 Jahren als Kfz-Mechaniker am VW-Porsche schraubte.
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Mehr Geld für die Bundeswehr
Berlin (dapd). Die Bundeswehr kann im kommenden Jahr mit deutlich mehr Geld rechnen. Vor allem wegen steigender Personalkosten soll der Wehretat entgegen ursprünglicher Sparpläne um 1,4 Milliarden auf knapp 33,3 Milliarden Euro steigen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich am Mittwoch in der Haushaltsdebatte des Bundestages zufrieden und versicherte, bei internationalen Einsätzen werde es „keine Abstriche“ geben. Die Opposition rügte den Minister indes wegen einer aus ihrer Sicht mangelhaften Vorbereitung der Bundeswehrreform und verlangte einen stärkeren Ausstieg aus Rüstungsprojekten. SPD-Wehrexperte Rainer Arnold machte de Maizière verantwortlich für die schlechte Stimmung in der Truppe. Wenn 90 Prozent der Soldaten sagten, dass die Reform nachjustiert werden müsse, dann sollten beim Verteidigungsminister „die Alarmglocken schrillen“, sagte er. De Maizière entgegnete, wenn 5.000 von 6.400 Dienststellen neu geplant werden, schaffe das Unsicherheit. Zugleich versprach er mehr Transparenz und größere Einbindung der Führungskräfte. Für Arnold müssen derweil umstrittene Standortentscheidungen noch einmal auf den Prüfstand. Ferner verlangte er ein Attraktivitätsprogramm bis 2020. Ein Jahr nach dem Ende der Wehrpflicht zog de Maizière eine positive Bilanz der Nachwuchsgewinnung. „Die Zahlen stimmen mich zuversichtlich“, sagte er. Doch mahnte er, den Dienst an der Waffe gesellschaftlich stärker anzuerkennen als bisher. Schließlich leisteten die Soldaten einen Dienst, der im tiefsten Interesse Deutschlands stehe und auch das Leben kosten könne. „Ihm gebührt daher die Wertschätzung des ganzen Landes. Darin erhielt er die Unterstützung der Koalitionsfraktionen. Mit deutlichem Widerstand im Parlament – auch in den Reihen von Schwarz-Gelb – muss der Verteidigungsminister hingegen bei der Beschaffung von Kampfdrohnen rechnen. Dafür hatte sich der neue Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, ausgesprochen und damit die Linie von de Maizière verfolgt. FDP-Haushälter Jürgen Koppelin appellierte an den Ressortchef, Müllner in die Schranken zu weisen. Zudem brauche es aus Sicht von FDP und Grünen eine „ethische Debatte“ zum Einsatz bewaffneter Drohnen. Der Grünen-Wehrexperte Omid Nouripour rief de Maizière auf, sich vor einer solchen Diskussion nicht zu drücken. Angesichts der jüngsten Panne beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) sprach sich Koppelin dafür aus, diesen Geheimdienst abzuschaffen. „Der MAD ist überflüssig“, sagte er und betonte, die Bundeswehr könne auf dieses Relikt des Kalten Krieges verzichten. Am Dienstag war im NSU-Untersuchungsausschuss bekanntgeworden, dass der MAD versucht haben soll, den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos 1995 während seiner Zeit als Wehrdienstleistender als Informanten zu werben. Die Linke sprach sich dafür aus, den Wehretat grundsätzlich zu kürzen. Nach wie vor werde an heute überflüssigen Rüstungsgütern festgehalten, kritisierte die Haushaltsexpertin der Fraktion, Gesine Lötzsch. Offenbar werde die Rüstungsindustrie als politischer Großspender bedacht. Der Grünen-Politiker Tobias Lindner fügte hinzu, der Wehretat leiste keinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. „Überflüssige Fähigkeiten“ sollten daher abgeschafft werden, das treffe auch auf die nukleare Teilhabe zu. Dem schloss sich der Linke-Wehrexperte Paul Schäfer an. Die Koalition stellte sich vor den Minister, stützte die Reform und verteidigte die Ausrichtung der Bundeswehr auf eine Armee im Einsatz. Dazu gehörten letztlich auch Drohnen, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Ernst-Reinhard Beck (CDU). Schließlich könne man nicht die Augen vor dem technologischen Fortschritt verschließen. Sonst würde man heute noch „mit Steinschleudern“ kämpfen. dapd (Politik/Politik)
Von Angst, Flucht und einer neuen Heimat
Friedland/Salzgitter (dapd-nrd). In Budapest brechen im Oktober 1956 Unruhen aus. Bürger erheben sich gegen die kommunistische Regierung und die sowjetische Besatzungsmacht. Der damals 14-jährige Ferenc Jovari bekommt in seinem Heimatort Körmend an der österreichischen Grenze nur Gerüchte davon mit. „Es wurde ja nicht richtig darüber berichtet“, sagt er. „Ab dem 5. November, einem Montag, gab es dann in den Geschäften nichts mehr zu kaufen“, erinnert er sich. In dem Jugendlichen reift der Gedanke, abzuhauen. „Ich wollte nach Deutschland.“ Ferenc Jovari ist einer von rund 6.700 Ungarn, die bis Jahresende 1956 in die Bundesrepublik flüchten. Für die meisten ist das Grenzdurchgangslager Friedland ihre erste Station. In einem Interview für das dort geplante Museum erinnert sich Jovari in Salzgitter vor der Kamera an die Flucht, das Leben im Lager und seine Integration. Die Geschichte des heute im rheinländischen Meckenheim lebenden Ungarnflüchtlings wird vom Verein „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation“ aufgezeichnet. Geschichte aus persönlicher Perspektive Zusammen mit anderen Zeitzeugenberichten sollen die Erlebnisse in der Ausstellung in Friedland erzählt werden. Salzgitter ist die erste Station, bei der die Zeitzeugen von Redakteurin Sonja Lüning und ihren Kollegen in dem mobilen Aufnahmestudio „Jahrhundertbus“ interviewt werden. Schicksale der von 1945 bis heute zunächst im Grenzdurchgangslager Friedland Aufgenommenen will das Historiker-Team nachzeichnen – unter ihnen Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler. „Lebenswege und Erinnerungen werden das Herzstück der Ausstellung im Museum Friedland sein“, betont der Projektleiter des niedersächsischen Innenministerium, Oliver Krüger. Der Verein, mit dem das Innenministerium für das Projekt kooperiert, wird die Interviews aber nicht nur für das Museum aufbereiten. Auch im Online-Archiv „Gedächtnis der Nation“, bei dem Zeitzeugen zu Alltagserfahrungen und zentralen Momenten der deutschen Geschichte befragt werden, solle ein Teil der Videos zugänglich gemacht werden, sagt Redakteurin Lüning. Zäsur noch immer präsent Lebhaft schildert Ferenc Jovari die Flucht über die ungarische Grenze. Die Nacht, die eine Zäsur in seinem Lebenslauf bedeutet, ist ihm noch immer in Details präsent: „Ich bin gerannt, gerannt, gerannt“, sagt er. Ein Grenzsoldat habe ihm plötzlich im Wald „Servus“ zugerufen. „Servus ist aber auch ungarisch“, betont der 70-Jährige. Das habe ihn irritiert. Glücklicherweise sei es aber doch ein Österreicher gewesen. Über Graz sei er mit dem Zug am Nikolausabend nach Friedland gekommen. Einquartiert in einer Blechbaracke habe er dort als Jüngster, der ohne Eltern kam, seine ersten Tage in Deutschland gefristet. „Das war stinklangweilig“, sagt er. „Es gab einfach nichts zu tun.“ Erst Ende Januar sei er von einer deutschen Familie aufgenommen worden. Erst Platt, dann Hessisch, dann Deutsch „Wenn ein junger Mensch in so kurzer Zeit so viele Eindrücke verarbeiten muss, selektiert er“, antwortet Jovari auf die Frage von Redakteurin Lüning, ob er auch Unschönes in Friedland erlebt habe. Aber soweit er sich erinnere, hätten die Deutschen die Ungarn freundlich empfangen. „Ich wurde reich mit Schokolade beschenkt“, betont Jovari. Wie und wo er Deutsch gelernt habe, will Lüning wissen. Zunächst kaum, antwortet der 70-Jährige fast akzentfrei. „Aber ich hätte es von Anfang gerne“, fügt er hinzu. In Friedland habe er ein kleines Wörterbuch bekommen – mit gerade einmal 120 Vokabeln. Und da seine späteren Pflegeeltern in Norddeutschland wohnten, habe er zunächst nur Platt-, aber kein Hochdeutsch mitbekommen. Und als er nach Hessen gezogen sei, „wurde halt hessisch gebabbelt“, sagt er. Erst lange Zeit nach seiner Lehre zum Gold- und Silberschmied habe er „anständiges Hochdeutsch“ gelernt. Heute ist das Grenzdurchgangslager ein Zentrum für Integration. „Noch immer kommen jährlich rund 2.500 Spätaussiedler. Außerdem werden besondere Flüchtlingsgruppen aufgenommen – zuletzt Libyer“, sagt Projektleiter Oliver Krüger. Diese würden in Integrationskursen in Friedland auf ihr Leben in Deutschland vorbereitet. Nach fast 56 Jahren in Deutschland fühlt ich aber auch Ferenc Jovari nach eigenem Bekunden voll integriert. „Im Herzen bin ich Ungar, aber im Rheinland bin ich zu Hause“, sagt er. dapd (Politik/Politik)
Ströbele will wieder in den Bundestag
Berlin (dapd-bln). Hans-Christian Ströbele will einem Zeitungsbericht zufolge im Herbst 2013 erneut für den Bundestag kandidieren. „Ich will mich nochmal bei euch bewerben“, zitierte „die tageszeitung“ den 74-Jährigen in ihrer Online-Ausgabe . Ströbele sagte dies demnach am Dienstagabend vor Mitgliedern seines Berliner Bezirksverbandes Friedrichhain-Kreuzberg. Zugleich bekannte Ströbele erstmalig öffentlich, dass bei ihm im Sommer Prostatakrebs diagnostiziert wurde. Die Krankheit sei aber heilbar, sagte er dem Bericht zufolge. Er sei von einer Genesung bis Ende November überzeugt und wolle sich dann seiner Kandidatur widmen. dapd (Politik/Politik)
Ex-Verfassungsschützer bestreitet Beteiligung an Kasseler NSU-Mord
Berlin (dapd). Der ehemalige Verfassungsschutzbeamte Andreas T. weist weiter jegliche Beteiligung an dem Kassler Mord der Terrorzelle NSU von sich. Er sei 2006 aus privaten Gründen am Tatort gewesen und habe von dem Mord nichts mitbekommen, beteuerte T. am Dienstag vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin. Auch sei er weder heute ein Rechtsextremer, noch sei er in der Vergangenheit einer gewesen. Die Rolle des Staatsschützers warf Fragen auf, da dieser lange zu seiner Anwesenheit am Tatort am 6. April 2006 geschwiegen hatte und bei ihm Material gefunden wurde, das auf rechtsextremes Gedankengut hinwies. Die Ermittlungen erhärteten den Verdacht gegen den ehemaligen Staatsschützer aber nicht, das Verfahren wurde 2007 eingestellt. Auch als das Verfahren 2012 noch einmal aufgerollt wurde, konnten keine Hinweise für eine Tatbeteiligung gefunden werden. Hintergrund ist die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Die Terroristen zogen mehr als 13 Jahre unbehelligt von den Sicherheitsbehörden durch die Bundesrepublik und sollen zehn Menschen ermordet haben. Der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sagte nach der Befragung T.s, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Ex-Verfassungsschützers an dem Mord. Trotzdem gebe es weiterhin viele Unklarheiten. So glaube er nicht, dass T. als einziger am Tatort, einem Internet-Café in der Kasseler Nordstadt, nichts von dem Mord bemerkt habe. Zudem werfe sein Kontakt zu einem V-Mann aus der rechten Szene nach der Tat Fragen auf. Auch Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) machte deutlich, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bereits ergeben hätten, dass es keine Tatbeteiligung T.s gegeben habe. Er betonte jedoch auch, der Zeuge habe mit seinem Verhalten selbst zu den Irritationen beigetragen. dapd (Politik/Politik)