Frankfurt/Main (dapd). Am 18. Januar 2011 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Völkermordprozess gegen Onesphore R. aus Ruanda eröffnet. Nach zwei Jahren und der Anhörung von 99 Zeugen hat es noch immer kein Urteil gefällt. Der heute 56 Jahre alte Angeklagte soll 1994 in Kiziguro, im Norden seines zentralafrikanischen Heimatlands, ein von Hutu-Milizen begangenes Massaker befehligt haben, bei dem über 1.200 Tutsi-Angehörige starben. Einig sind sich die Prozessbeteiligten in Frankfurt nur darüber: Die schwierigste Aufgabe im Verfahren ist, die Glaubwürdigkeit der Zeugen einzuschätzen. Die von drei Bundesanwälten geführte Anklage hatte dem ruandischen Bauingenieur bei Prozessbeginn die Beteiligung an drei Massentötungen vorgeworfen, bei denen er als Bürgermeister und Kommandeur mehr als 3.700 Landsleute in den Tod geschickt habe. 2012 beschränkte das Gericht den Prozessstoff auf nur einen Tatvorwurf. Wenn bei einzelnen Anklagepunkten die Wahrheitsfindung schwierig ist, sei dieses Vorgehen üblich, sagt ein Sprecher des Generalbundesanwalts: „Bei einer eventuellen Strafzumessung können die Punkte wieder berücksichtigt werden.“ Der Angeklagte wurde 2010 in Deutschland verhaftet Bei dem Genozid in Ruanda starben 1994 nach UN-Angaben rund 800.000 Menschen, oft grausam hingemetzelt. Die meisten Opfer waren Tutsis. „Der Prozess ist ein neues Kapitel deutscher Rechtsprechung, weil die Taten nicht auf unserem Boden geschahen“, sagte Bundesanwalt Thomas Beck bei der Anklageerhebung. Onesphore R. schloss 1985 in Trier sein Studium ab, reiste 2002 erneut nach Deutschland ein, seit 2007 genoss er mit seiner Familie Flüchtlingsstatus. Dann begann Karlsruhe in Ruanda zu ermitteln und verhaftete 2010 in Erlensee bei Frankfurt den Ex-Bürgermeister von Kiziguro. Bei der Fortsetzung am 22. Januar (10.00 Uhr), dem 89. Verhandlungstag, tritt der 100. Zeuge auf. 40 Urkunden, zahllose Fotos und Videos sind in die Beweisaufnahme bereits eingeführt. 23 Zeugen, von denen 21 wegen Beteiligung an dem Völkermord inhaftiert sind, hörte das Gericht per Videoschaltung aus Ruandas Hauptstadt Kigali an. Ein Kommissar des Bundeskriminalamts spürt in dem zentralafrikanischen Land seit Monaten Zeugen auf und kümmert sich um die für eine Anhörung in Deutschland nötigen Formalitäten. Aussagenkontrolle per 3-D-Scan Schauplatz des Massakers, das R. angeordnet haben soll, war die Kirche in Kiziguro, in die sich Tutsis geflüchtet hatten und dort – das ist unstrittig – von Hutus mit Gewehren und Macheten getötet wurden. Das Gericht orientiert sich über den Tatort mit einem 3-D-Laserscan des Gotteshauses. Allein schon mithilfe dieser Technik konnten sich die Prozessbeteiligten bisher mehr als einmal davon überzeugen, dass einem soeben Befragten die von ihm geschilderte Beobachtung von seiner damaligen Position aus nicht möglich war. Gesichtsausdruck und Körperhaltung des Vorsitzenden Richters Thomas Sagebiel während eines Zeugenauftritts sind oft als ein einziger Seufzer zu interpretieren. Das hat einen weiteren Grund: Schilderungen über Blendungen oder Enthauptungen sind schwer auszuhalten. Kaum anzuzweifeln seien allerdings die Aussagen von rund einem Dutzend Zeugen, die Onesphore R. am Tatort gesehen haben wollen – das räumt Verteidigerin Natalie von Wistinghausen ein. Gleichzeitig kritisiert die Anwältin, die Deutschen hätten in Ruanda zu einseitig ermittelt. Traten doch in Frankfurt auch Zeugen auf, die ihren Mandanten entlasten. „Ein Ruander muss aufpassen, was er in Frankfurt aussagt“ Der Marburger Völkerrechtsprofessor Christoph Safferling verfolgt mit Studenten das Frankfurter Verfahren. „In diesem Prozess gibt es Gründe, warum Zeugen die Unwahrheit sagen könnten oder frühere Aussagen abändern“, sagt Safferling. Inzwischen Abgeurteilte könnten einst zum Selbstschutz gemachte Angaben fallen lassen, andere sich vor Strafe schützen wollen. „Überdies hat Ruandas Regierung Interesse an einer Verurteilung des Angeklagten“, sagt der Professor. Die Vereinten Nationen werfen dem jetzigen Tutsi-Präsidenten Paul Kagame selbst Verbrechen vor. „Ein Ruander muss aufpassen, was er in Frankfurt aussagt“, betont Safferling. Sagebiel will die Beweisaufnahme bis April abschließen. Die fünf Richter des Strafschutzsenats müssen dann entscheiden, auf welche Zeugen sie die Wahrheitsfindung stützen können. „Ich beneide das Gericht nicht“, sagt Juraprofessor Safferling. dapd (Politik/Politik)
Zwei Jahre Verhandlung, 100 Zeugen, kein Urteil
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Peer-Michael Preß
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