Berlin (dapd). Angesichts der Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland ist ein Debatte über mögliche Konsequenzen entbrannt. Der nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte SPD, Grüne und Linke vor voreiligen Schlüssen in der neuen Armutsdebatte. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Deutschland, dagegen rechnet wegen der Vielzahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse mit einer weiteren Zunahme der Armut in Deutschland.
Die Sozialverbände fordern angesichts des wachsenden privaten Reichtums eine Kehrtwende in der Steuerpolitik und gleiche Bildungschancen für Kinder unabhängig vom Einkommen der Eltern. Lindner betonte, die Hälfte der Zahler der Einkommensteuer erbrachten fast deren ganzes Aufkommen. „Die Kuh, die man melken möchte, darf man nicht schlachten. Ich warne vor Robin-Hood-Schnellschüssen“, sagte Lindner der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). Er räumte ein, Menschen mit „normalen Einkommen“ hätten unter hohen Energiepreisen, der kalten Steuerprogression und steigenden Sozialbeiträgen zu leiden. „Hier muss Abhilfe geschaffen werden“, sagte der Partei- und Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen. Wie aus dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervorgeht, besitzen zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens, während die untere Hälfte gerade einmal über rund ein Prozent des Wohlstands verfügt. Der Wirtschaftsflügel der Union wies Forderungen nach einer Vermögenssteuer zurück. Unionsbundestagsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sagte der „Berliner Zeitung“, ein höherer Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer träfe die falschen, nämlich Mittelschicht und Mittelstand. Solche Steuerbeschlüsse könnten auch dazu führen, dass Vermögende aus Deutschland abwanderten. Fuchs sagte, Kapital werde auch investiert und sei daher ein wichtiger Produktionsfaktor. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Deutschland, rechnet wegen der Vielzahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse mit einer weiteren Zunahme der Armut in Deutschland. „Der gigantische Ausbau des Niedriglohnsektors auf inzwischen 23 Prozent aller Beschäftigten zieht eine weitere Zunahme von Armut nach sich, trotz positiver Arbeitsmarktentwicklung“, sagte Schneider der „Passauer Neuen Presse“. Schneider macht als Grund der immer größeren Kluft zwischen Arm und Reich stagnierende Reallöhne und die Steuerpolitik aus. „In den letzten zehn Jahren gab es praktisch eine Stagnation der Reallöhne, aber eine Zunahme der Unternehmensgewinne um 50 Prozent.“ Zudem würden „die obersten Einkommen seit dem Jahr 2000 massiv entlastet“. Spitzensteuersatz und Unternehmenssteuern markierten einen Tiefststand, wohingegen es im sozialpolitischen Bereich eine Umverteilung von unten nach oben gegeben habe. Um gegenzusteuern, fordert Schneider, dort zu „besteuern, wo tatsächlich viel Geld vorhanden ist“. Der Spitzensteuersatz müsse erhöht, die Vermögensteuer wieder aktiviert werden. „Wir haben in Deutschland noch nie eine so starke Konzentration von so viel Reichtum auf so wenige Menschen gehabt“, das sei mit dem Armuts- und Reichtumsbericht nun amtlich.