Osnabrück/Hannover (dapd). Untergang der Demokratie oder des Euro? – Unmittelbar vor der mit Spannung erwarteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM bekräftigen Gegner und Befürworter des Projekts ihre Positionen. Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sagte, die von ihr vertretenen 37.000 Kläger sähen die Kontrollrechte des Bundestages in Gefahr.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warnte davor, die demokratische Legitimation der Entscheidung für den ESM in Zweifel zu ziehen.
Die Karlsruher Richter entscheiden über Eilanträge gegen die am 29. Juni vom Bundestag beschlossenen Zustimmungsgesetze zum ESM-Vertrag und auch zum Fiskalpakt, der den Euro-Staaten eine strengere Haushaltsdisziplin auferlegt. Die Kläger, unter ihnen auch der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler und die Linke im Bundestag, halten die eingegangenen Haftungsrisiken für nicht verantwortbar.
Däubler-Gmelin fordert Obergrenze bei Schuldenhaftung
Däubler-Gmelin sagte, die von ihr vertretenen Kläger sorgten sich, dass „die Gestaltungs- und Kontrollrechte des von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Bundestags auf die EU-Kommission und die EZB übergehen“. Diese Rechte seien zentral für die parlamentarische Demokratie. Die Bürger müssten abstimmen können, bevor das Recht über die Verwendung von Steuergeldern an diese EU-Gremien übertragen werde. Das habe das Bundesverfassungsgericht in früheren Urteilen auch so gesehen. „Wir erwarten schon, dass Karlsruhe bei der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung bleibt“, sagte Däubler-Gmelin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Bei der Schuldenhaftung müsse es eine Obergrenze geben.
Der Bundesregierung warf sie Heuchelei vor. „Die Bundeskanzlerin ist jetzt plötzlich nicht mehr dagegen, dass Deutschland unbeschränkt zur Haftung herangezogen werden kann, obwohl sie früher immer dagegen gewettert hat“, sagte die SPD-Politikerin.
Schulz betont demokratische Legitimation von Parlamenten
Europa-Parlamentspräsident Schulz kritisierte dagegen die Vorstellung, Demokratie gebe es nur bei einer direkten Beteiligung der Bürger. „Wenn ein Parlament mitwirkt, ist auch die Bevölkerung beteiligt“, sagte Schulz der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, parlamentarische Entscheidung als nicht demokratisch legitimiert hinzustellen.“ Bundestag und Bundesrat hätten beim ESM mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt.
Schulz sagte, ein großes Demokratiedefizit bestehe darin, dass das Europa-Parlament „teilweise systematisch an den Rand gedrängt“ worden sei. Eine Bankenunion dürfe nicht am Europäischen Parlament vorbei auf die Beine gestellt werden. Die Arbeit der bisherigen Bankenaufsicht in London und die Tätigkeit der EZB müsse so kombiniert werden, dass das Parlament mit am Tisch sitze.
Allianz-Chefvolkswirt vermisst Alternative der ESM-Kritiker
Nach Ansicht des Chefvolkswirts des Versicherungskonzerns Allianz, Michael Heise, wird sich ein Ja des Bundesverfassungsgerichts zum ESM positiv auf den Markt für Staatsanleihen auswirken. „Die Zinsen, die hoch verschuldete Staaten zahlen müssen, werden voraussichtlich leicht sinken“, sagte Heise der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der ESM werde helfen, hoch verschuldete Staaten zu stabilisieren. Das Zinsniveau für deutsche Staatsanleihen könne hingegen leicht steigen. Ein Nein der Verfassungsrichter wäre seiner Ansicht nach gefährlich. „Die Kritiker des ESM bieten keine Alternative“, sagte Heise. „Wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, wird der Euro nicht stabil bleiben.“