Als Physikerin, Professorin, MExLab-Gründerin und zukünftige Präsidentin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt beschäftigt sich Prof. Dr. Cornelia Denz nicht nur mit rein physikalischen Problemstellungen. Ihr persönliches Herzensthema ist auch die Geschlechterforschung in der Physik. Mit dem Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland spricht sie über Frauen in der Physik, die Berufswahlentscheidungen von Jugendlichen und das Aufbrechen von Strukturen und Rollenbildern
„Wir können nicht immer sagen, dass sich die Strukturen ändern müssen. Wir müssen auch aufstehen und selbst etwas ändern.“ Worte, die sich wie ein Leitsatz durch Prof. Dr. Cornelia Denz Berufsalltag ziehen. Nach ihrem Studium der Physik, der Promotion und Habilitation führte ihr Weg sie an die Westfälische Wilhelms Universität Münster. Dort leitet sie nicht nur einen Lehrstuhl in Experimentalphysik mit Schwerpunkt Photonik. Ein weiteres Herzensthema von Cornelia Denz ist die Geschlechterforschung in der Physik. Warum kennen wir mehr berühmte Physiker als Physikerinnen? Warum wählen weniger Mädchen Physik als Studienfach? Und wie können Schülerinnen für die Physik begeistert werden? Diesen Fragen widmet sich Prof. Dr. Cornelia Denz nicht nur wissenschaftlich sondern auch ganz praktisch. Gemeinsam mit Kolleg:innen ihres Fachbereichs gründete sie vor 20 Jahren Münsters Experimentierlabor, kurz MExLab Physik. Jugendlichen die Physik praktisch näherbringen, Berufsfelder aufzeigen und das naturwissenschaftlich-technische Selbstbewusstsein stärken – diese Ziele werden seit Jahren mit Erfolg verfolgt. Zwischen Hörsaal, Labor und ihrem zukünftigen Amt als erste weibliche Präsidentin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hat das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland Prof. Dr. Cornelia Denz getroffen und ihren spannenden Gedanken zugehört. Viele Erfahrungen lassen sie reflektiert über Diversität und Vielfalt, Rollenbilder und Vorurteile, die Sichtbarkeit von Frauen und die Bedeutung der Pubertät für das naturwissenschaftliche Interesse von Jugendlichen sprechen. Cornelia Denz ist bereits die zehnte Frau, die das Kompetenzzentrum Frau und Beruf im Rahmen der Interviewreihe „Vorbildfrauen im Münsterland“ vorstellt. Das gesamte Interview ist auf der Webseite des Kompetenzzentrums abrufbar.
Wie kam es zu dem Schwerpunkt der Geschlechterforschung?
Es war für mich immer schon ein Herzensthema, meine Begeisterung an der Physik zu teilen und Mädchen für physikalische Themen zu interessieren. Dieses Anliegen hat sich bereits während meiner Zeit in Darmstadt entwickelt. Dort habe ich als Studentin in den 80er Jahren viele Angebote genutzt, die sich mit der beruflichen Entwicklung von Frauen beschäftigen. Die TU Darmstadt war auch in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften aktiv und hat Rednerinnen aus Deutschland und Europa eingeladen, die über Frauenrechte, Feminismus und ähnliche Themen referiert haben. So konnte ich die Situation von Frauen in der Physik reflektieren und mit anderen Ideen zur Gleichstellung entwickeln. Eine Erste war es, Frauen in der Physik sichtbarer zu machen. Dass dies wichtig ist, zeigt ein kleiner Test, den alle in ihrem Umfeld machen können. Fragt man, welche berühmten Persönlichkeiten jemand aus der Physik kennt, denken die meisten Menschen sofort an Newton, Einstein oder Heisenberg. Fragt man explizit nach Frauen, dann fällt den meisten nur Marie Curie ein. Überlegt man nun einmal wie Physik funktioniert – man stellt Thesen auf, überprüft sie mit mathematischen Berechnungen und Experimenten und schließt daraus Folgerungen – fällt auf, dass immer viele kluge Köpfe an diesem Prozess beteiligt sind. In einem Seminar unter meiner Leitung haben wir recherchiert, welche Errungenschaften Frauen zur Physik beigetragen haben. Wir wurden in allen Gebieten über die Jahrhunderte bis heute fündig. Daraus entstand eine Ausstellung, die die Physikerinnen in den verschiedenen Zeitaltern von der Antike bis zur Neuzeit vorstellte. Das Thema ist enorm gut angekommen und aus unserer Ausstellung an der TU Darmstadt ist damals eine deutschlandweite Wanderausstellung geworden. Aus dieser Initiative haben wir ein ganz anderes Verständnis über die Leistungen von Frauen in der Physik gewonnen: Frauen sind nicht sichtbar, weil sie entweder im Lauf der Geschichte schlichtweg vergessen wurden, ihr Anteil an Arbeiten verleugnet wurde oder sich Männer die Arbeiten von Frauen angeeignet haben.
Hier in Münster haben Sie das Thema verstärkt fortgeführt. Wie genau?
Es kam dann schnell die Idee, dieses Thema größer zu machen und selbst aktiv zu werden. Der Fachbereich Physik und die Universität haben uns dazu ermutigt und dabei unterstützt, ein Hands-on Experimentierlabor zu gründen, das in seiner Ausrichtung ein besonderes Augenmerk auf Mädchen hat. Entstanden ist Münsters Experimentierlabor Physik, die Keimzelle für das heute immer noch bestehende MExLab. Wir sind mit einem Programm gestartet, um Mädchen zu fördern. Unsere ersten Kurse hatten das Ziel, gemeinsam mit Mädchen zu experimentieren, ihnen die Teamarbeit in der Physik zu zeigen und ein modernes Bild der Physik zu vermitteln. Mittlerweile hat sich das MExLab weiterentwickelt und ausgeweitet, aber der ursprüngliche Gedanke ist geblieben: Mädchen und Jungs mit viel Spaß zu zeigen, dass die Physik interdisziplinär, vielfältig und zukunftsträchtig ist, und für Frauen genauso geeignet und offen ist wie für Männer. Sicherlich gab es auf Ihrem Berufsweg einige Momente, wo Sie eine von wenigen oder auch die einzige Frau im Arbeitsumfeld waren. Wie empfinden Sie das?
Zunächst einmal habe ich es meist nicht als dramatisch empfunden, eine unter Wenigen zu sein. Solange dies mit Akzeptanz und Wertschätzung einhergeht, ist es erst einmal kein Problem. Es gibt immer Situationen, in den Menschen in der Minderheit sind. Kritisch wird es aber dann, wenn Kompetenzen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe in Frage gestellt werden oder abwertende Bemerkungen fallen. Diese Situationen passieren immer mal wieder auf allen Karrierestufen und auf verschiedene Weise – mal subtiler, mal offensiver. Ich habe über die Zeit gemerkt, dass Männer und Frauen in Konkurrenzsituationen mit verschiedenen Mitteln und Methoden kämpfen. Da kommt es vor, dass auch sexistische Bemerkungen fallen. Die Frage, die sich alle Personen in solchen diskriminierenden Situationen stellen müssen, ist, wie man damit umgeht. Hier muss im Grunde jede Person ihren eigenen Weg finden. Über die Jahre bin ich in dieser Hinsicht direkter und mutiger geworden. Wenn Beleidigungen im Raum stehen wie „Eine Frau kann das nicht“ oder wenn Frauen abschätzend behandelt werden, dann reagiere ich direkt drauf. Ich bin nicht die Schlagfertigste, aber ich habe mir angewöhnt, direkt zu sagen, was nicht geht. Ein Weg für mich ist es auch, Humor einzusetzen. Humor kann helfen, dass die Person selbst oder auch das Umfeld merkt, dass eine – oft ungewollte, aber dennoch missachtende – Diskriminierung erfolgt ist. Natürlich gibt es viel ernsthaftere Situationen, die auch heute noch viel zu häufig vorkommen. Wir bemerken, dass Frauen in Führungspositionen viel eher stark kritisiert oder sogar schneller entlassen werden und männliche Führungskräfte geringere Konsequenzen bei Fehltritten erfahren. Hier sind selbstverständlich ernsthafte Antworten gefordert. In Alltagssituationen ermöglicht meiner Meinung nach aber eine humorvolle Antwort meist mehr Einsichten aller Beteiligten ohne zu sehr den mahnenden Finger zu heben.
Im Mai dieses Jahres werden Sie Präsidentin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, kurz PTB. Was genau macht die PTB?
Die PTB ist eine einzigartige Institution in Deutschland. Sie setzt präzise und hochgenaue Standards für alle Bereiche der Messtechnik – der Metrologie. Dies ist für unseren Alltag von großer Wichtigkeit. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Definition der Zeit, die heute über eine Naturkonstante, die Schwingung eines Cäsium-Atoms, bestimmt wird. Die PTB hat so genaue Uhren, dass sie die Zeit in ganz Deutschland auf das genaueste bestimmt. So hat eine Atomuhr in der PTB im Laufe eines Jahres nur eine Abweichung von wenigen Milliardstel Sekunden relativ zu einer idealen Uhr. Selbst beste Quarzarmbanduhren irren sich dagegen pro Monat um ein paar Sekunden. Die Atomuhr wird dann mit vielen Uhren beispielsweise in unseren Städten, mit Bahnhöfen und Flughäfen gekoppelt, damit diese exakt die Zeit anzeigen. All das gilt auch für Längen, Gewichte, elektrische Felder, Temperaturen und viele andere Messgrößen unserer modernen Welt. Auch digitale Computerdaten gehören dazu. Daher ist ein großer Bereich in der internationalen Metrologie die Forschung, um neue Messverfahren für die wichtigen Präzisionsmessungen der Zukunft zu entwickeln. Wie aktuell die Metrologie ist, sieht man am Beispiel von intelligenten „Smart Cities“, in denen viele Daten der Infrastruktur vernetzt sind oder auch ganz plakativ am autonomen Fahren. Ein selbstfahrendes Auto kann die Welt um uns herum „sehen“, da es Detektoren, Kameras, Wärmesensoren und Bildverarbeitungsverfahren besitzt, die Daten liefern, welche wiederum von künstlich intelligenter Software analysiert werden. Die Herausforderung der Zukunft ist es, nicht nur die Messung der Daten zu standardisieren und die entsprechenden Geräte zu kalibrieren, sondern auch zu schauen, wie der Computeralgorithmus diese Daten verarbeitet. Der Softwarecode eines Algorithmus ist ein sehr mächtiges System und kann beeinflussen, was eine Messung letztlich ergibt. Dies ist ein weltweites Problem, und wir müssen dafür sorgen, dass wir auch für solche Szenarien weltweit verlässliche Standards definieren. Die PTB forscht einerseits gemeinsam mit anderen Metrologieeinrichtungen weltweit an der Lösung dieser Aufgaben. Sie stellt aber auch Messverfahren für Abgleiche von Geräten für Unternehmen und Behörden bereit. Die PTB hat damit ein spannendes Portfolio von Aufgaben, von exzellenter Forschung an neuen gesellschaftlich wichtigen technologischen Herausforderungen bis hin zu den gesetzlichen Aufgaben der Weitergabe verlässlicher Messungen. Ich freue mich besonders, dass in hervorragenden Fachabteilungen engagierte Teams gemeinsam an der nächsten Generation präziser und genauer Messtechnik arbeiten – und das mit viel Leidenschaft.
Sie sind die erste weibliche Präsidentin dieser Bundesanstalt. Was bedeutet das für Sie?
Zunächst einmal freue ich mich persönlich sehr, eine Einrichtung, die so forschungsstark ist und gleichzeitig zu wichtigen Themen der Gesellschaft von ganz konkret morgen beiträgt, leiten zu dürfen. Ich hätte mir keine schönere Aufgabe für die nächsten Jahre wünschen können, in der ich meine Begeisterung für Physik mit dem Management einer großen Einrichtung verbinden kann. Meine Ernennung zeigt aber auch, dass Behörden wie das Bundeswirtschaftsministerium, das mich benannt hat, Frauen in diesen Führungsrollen sehen. Dass vermehrt Frauen in leitende Funktionen in naturwissenschaftlich-technischen Einrichtungen berufen werden, ist ein schönes Signal. „Die Erste“ zu sein, bedeutet aber auch, dass man genauer beobachtet und an den Handlungen gemessen wird. Ich erlebe bislang viel Zuspruch und sehe, dass meine Ernennung auch nach innen in die PTB eine positive Wirkung hat. Es gibt schon heute exzellente Abteilungs- und Fachbereichsleiterinnen in der PTB, und viele junge Frauen, die in Zukunft eine Karriereentwicklung dort sehen. Diese will ich gerne unterstützen. Für mich bedeutet daher meine Berufung auch, zu zeigen, dass die PTB für alle offen ist und Entfaltungsmöglichkeiten für alle bietet. Dieses Bild möchte ich verstärken und die PTB weiter als vielfältigen Ort entwickeln, der gemeinsam mit den weltweit besten Köpfen mit Genauigkeit, Objektivität und Leidenschaft die Messkunst von morgen gestaltet.
Das Thema Gleichstellung wird für Sie also auch ein zentrales Führungsthema sein?
Ich denke, alle großen Forschungseinrichtungen in Deutschland haben sich bisher zu wenig mit dem Thema Gleichstellung und Diversität auseinandergesetzt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Menschen verschiedenster nationaler Herkunft und Hautfarben, verschiedener geschlechtlicher Identitäten oder sexueller Orientierung genauso wie verschiedener Alter, körperlicher und psychischer Fähigkeiten, religiöser Anschauungen oder sozialer Herkünfte einen Platz in unseren Einrichtungen finden und alle gemeinsam die Aufgaben voranbringen. Wir können aber aus vielen internationalen Beispielen lernen und unsere interne Kultur verändern. Schließlich brauchen wir die besten Köpfe, um weltweit konkurrieren zu können.
Was würden Sie, aus all den vielen Erfahrungen, die Sie gesammelt haben, anderen Frauen und Mädchen mit auf den Weg geben?
Jedes Mädchen und jede junge Frau sollte mutig sein, das zu tun, was sie wirklich mag. Sie sollte sich mit denen vernetzen, die ähnliche Interessen haben und Verbündete suchen, die sie unterstützen. Wir alle fühlen uns in einem Umfeld wohler, in dem wir Bestätigung erfahren. Und nur in einem solchen Umfeld können wir uns auch hervorragend entwickeln.
Zum Hintergrund
Das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland sensibilisiert und unterstützt kleine und mittlere Betriebe der Region dabei, Strukturen einer frauen- und familienfördernden Personalpolitik zu etablieren. Das Projekt wird von der Handwerkskammer Münster getragen und kooperiert mit dem Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster. Als eines von 16 Kompetenzzentren in NRW wird auch das Projekt im Münsterland vom Landesministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung sowie aus dem EFRE-Fonds der EU gefördert.