Gütersloh. Die Briten stimmten vor kurzem mehrheitlich für den „Brexit“ und US-Präsident Trump kündigte im Januar das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP auf: Sich wirtschaftlich abzuschotten scheint aktuell weltweit im Trend zu liegen. In dieser Atmosphäre könnte auch das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan scheitern. Dabei hätten beide Seiten etwas davon – aber nur, wenn sie es wirklich ernst meinen. Dies bezeugt zumindest eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung.
Innovationen und Wirtschaftsimpulse
Elektronik, Autos, Computer oder Roboter: Immer wieder kommen zahlreiche innovative Produkte aus Japan. Der Inselstaat ist Sitz von Weltunternehmen wie Toyota, Sony, Canon oder Fujitsu. Doch Japan ist gerade mächtig unter Druck: Die Gesellschaft ist überaltert, der Staat hoch verschuldet und das Wirtschafswachstum stagniert. Die Regierung unter Shinzo Abe versucht, mit einem Reformprogramm der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Neue Freihandelsabkommen sind ein zentraler Bestandteil von „Abenomics“.
Aktuell verhandeln die EU und Japan über ein solches Abkommen und es könnte noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Beide Seiten haben ein natürliches Interesse aneinander: Der asiatische Staat ist der weltweit sechstgrößte Handelspartner der EU. Umgekehrt steht die EU für Japan an dritter Stelle. Das gegenseitige Handelsvolumen belief sich 2016 auf rund 125 Milliarden Euro. Es könnte aber noch mehr sein, denn auf beiden Seiten bestehen noch immer Handelshemmnisse. Mit einem Freihandelsabkommen ließen sich Zölle und sogenannte nicht-tarifäre Barrieren reduzieren. Die Folge: Es könnten erhebliche Wohlfahrtsgewinne erzielt werden, die etwa 10 bis 12 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens vollständig spürbar wären. Doch alles kommt auf die Art des Abkommens an.
Chancen einer allseitigen BIP-Steigerung
Gegenwärtig scheint ein europäisch-japanisches Freihandelsabkommen, das die nicht-tarifären Barrieren nur ansatzweise abbaut, am wahrscheinlichsten. In diesem konservativen Szenario fielen die ökonomischen Effekte auf beiden Seiten gering aus: Japan könnte seine Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund neun Milliarden Euro steigern. Das entspricht 0,23 Prozent des japanischen BIP von 2014, dem Basisjahr für die Modellrechnungen unserer Studie. Für die EU beliefen sich die BIP-Zuwächse auf etwa elf Milliarden Euro, also 0,1 Prozent des BIP von 2014. Die einzelnen Mitgliedsstaaten würden sehr unterschiedlich profitieren: Deutschland könnte mit 3,4 Milliarden Euro, etwa 0,1 Prozent des deutschen BIP von 2014, die höchsten absoluten Zuwächse verbuchen. Bei einigen süd- und osteuropäischen Ländern wie Griechenland oder Rumänien lägen die Effekte dagegen bei gerade einmal 0,02 Prozent. Allerdings würden für kein EU-Mitglied negative Gesamteffekte entstehen. Was die einzelnen Wirtschaftssektoren angeht, so würden in Deutschland vor allem die Pharma- und Computerindustrie, die Elektronikbranche und die optische Industrie profitieren und ihre Wertschöpfung um 0,81 beziehungsweise 2,16 Prozent steigern.
Ein ambitioniertes Freihandelsabkommen dagegen brächte sowohl der EU als auch Japan deutliche Wohlfahrtsgewinne. In dieser Art von Abkommen würden die nicht-tarifären Handelsbarrieren so reduziert, wie im Durchschnitt aller existierenden Freihandelsabkommen. So würde das BIP Japans um etwa 1,6 Prozent höher ausfallen. Die EU könnte ebenfalls mit größeren BIP-Zuwächsen rechnen. Die Effekte würden sich von etwa 0,1 Prozent, wie beispielsweise in Griechenland und Rumänien, bis hin zu 1,4 Prozent für Irland erstrecken. Deutschland könnte immerhin einen BIP-Zuwachs von rund 0,7 Prozent, etwa 20 Milliarden Euro, erzielen. Pharma- und Computerindustrie, Elektronikbranche und optische Industrie würden auch in diesem Szenario besonders profitieren und ihre Wertschöpfung um 5,6 beziehungsweise 14,74 Prozent steigern.
Ob ein ambitioniertes Freihandelsabkommen überhaupt realisierbar ist, hängt vom politischen Willen der EU und Japans ab. Hier wären auf beiden Seiten deutlich größere Zugeständnisse notwendig als bei der konservativen Freihandelsvariante. Unsere Berechnungen zeigen jedoch: Es würde sich aus ökonomischer Sicht lohnen.
Freihandelsabkommen mit Signalwirkung
Abgesehen von den ökonomischen Effekten sollte die strategische Bedeutung eines europäisch-japanischen Freihandelsabkommens nicht unterschätzt werden: In Zeiten des kommenden „Brexit“ und eines US-Präsidenten, der die Wirtschaft seines Landes zunehmend abschotten will, könnte das Abkommen eine wichtige politische Botschaft für wirtschaftliche Kooperation und freien Handel senden. Die EU und Japan sollten allerdings schnell handeln und versuchen, die Verhandlungen tatsächlich noch in diesem Jahr abzuschließen, betont Cora Jungbluth, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Denn China habe sich bereits in Position gebracht, um im internationalen Freihandel künftig stärker mitzureden, und könnte versuchen, das Vakuum, das die USA hinterlassen, im eigenen Sinn zu füllen. Eine solche Entwicklung dürfte weder im europäischen noch im japanischen Interesse sein.