Abschluss der IHK-Begegnungswoche in der Volksbank Bielefeld-Gütersloh
Gütersloh – Europa wird heute mit einer Vielzahl geopolitischer und wirtschaftlicher Herausforderungen konfrontiert. Welche das sind und wie Lösungsansätze aussehen könnten, war das zentrale Thema beim wirtschaftspolitischen Abend zum Abschluss der 19. Internationalen IHK-Begegnungswoche „Ostwestfalen meets Europe“.
Rund 80 Gäste verfolgten am Mittwochabend (14. Juni) im Veranstaltungsraum der Gütersloher Zentrale der Volksbank Bielefeld-Gütersloh eine informative und interessante Diskussion über Europa im Spannungsfeld internationaler Konflikte und zunehmendem Protektionismus.
Keynote-Speaker des Abends war Rolf Nikel, deutscher Botschafter a. D. in Polen und Vizepräsident der Denkfabrik „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.“ in Berlin, der in seiner Rede ein realistisches, aber auch sehr düsteres Bild der weltweiten Entwicklung zeichnete. In der anschließenden von Tim Donsbach moderierten Podiumsdiskussion mit Vertretern der regionalen Wirtschaft ging es dann auch um die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Unternehmen in Ostwestfalen.
Ulrich Scheppan, Vorstandsmitglied der Volksbank Bielefeld-Gütersloh, sagte in seiner Begrüßungsrede: „Ostwestfalen ist ein Powerhouse des Exports. Genau deshalb begleiten unsere Spezialisten mehr als 200 international handelnde Firmenkunden äußerst intensiv.“ Als überzeugter Europäer betrachte er aber einige Entwicklungen mit großer Sorge. Kluges, koordiniertes und dialogorientiertes Handeln sei gefragt. „Europa muss politisch und wirtschaftlich einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der aktuellen Herausforderungen leisten. Doch das geht nur, wenn es geeint und entschlossen handelt“, so Scheppan weiter.
Rolf Nikel, der von 2014 bis 2020 deutscher Botschafter in Polen war, stimmte Scheppan zu und betonte in seinem Vortrag, dass Europa seinen Platz in der Welt neu definieren müsse, denn der geopolitische und ökonomische Wettbewerb nehme zu. Eine enge Abstimmung mit den USA sei deshalb unabdingbar. Nikel schilderte die Auswirkungen der Konfrontation der Supermächte, skizzierte und sezierte die Krisen und disruptiven Transformationsprozesse, denen sich Europa aktiv stellen müsse. Für die 27 Staaten der EU gehe es um „Sein oder Nichtsein“. Im Vordergrund stehe aber der Machtkampf mit China. „Noch ist er nicht militärisch. Wir bewegen uns aber auf einen Kalten Krieg 2.0 zu“, so Nikel. Der ehemalige Diplomat forderte, dass sich die EU jetzt ändern müsse. „Wir befinden uns in einer Multikrisensituation, wie wir sie noch nicht erlebt haben.“ Wichtig sei auch, dass Deutschland sich selbst verteidigen könne. Rolf Nikel: „Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind allerdings kein Sondervermögen, sondern Schulden.“
Dass Europa insgesamt eine aktivere Rolle übernehmen sollte und vom Reden endlich zum Handeln kommen muss, wurde auch in der anschließenden intensiven Diskussionsrunde deutlich. „Geopolitik ist mittlerweile Teil des Risikomanagements in unserem Unternehmen. Das war vor einigen Jahren noch nicht so“, hob Angelika Schindler-Obenhaus, CEO von Gerry Weber International hervor. Das Haller Modeunternehmen verkauft 90 Prozent seiner Produkte in Europa. Ein Drittel der Ware wird heute noch in China produziert. Doch auch darüber mache man sich Gedanken. „Ich sehe mit Sorge, dass Europa nicht verstanden hat, dass wir irgendwann keine Rolle mehr spielen. Den Unternehmen werden zu viele Steine in den Weg gelegt“, so Schindler-Obenhaus.
Kai Ristau, Leiter Internationaler Vertrieb von Beckhoff Automation in Verl, sieht die Welt im Umbruch: „Wir erleben ein deutliches Gegengewicht aus dem Osten und auch aus den USA. Europa muss sich neu erfinden.“ Man habe sich in der Vergangenheit in eine zu große Abhängigkeit begeben. Wie flexibel Unternehmen heute sein müssen, erklärte Ristau dann an einem Beispiel: „Bei Beckhoff stellen wir uns jetzt auf die nahe Zukunft so ein, dass wir erstmals unsere Produkte entwicklungstechnisch für die USA und China mit Bauteilen bestücken, die auf den jeweiligen Märkten nicht auf Sanktionslisten landen.“
Für Claas in Harsewinkel ist Europa nicht nur ein wichtiger Produktionsstandort, sondern auch ein bedeutender Absatzmarkt. „Die Hälfte unserer Produkte wird hier verkauft“, sagte Christian Radons, Executive Vice President von Claas in der Diskussion. Deutschland habe die Energiekrise gut überstanden, sei also dazu in der Lage, in der Krise zu reagieren. Jetzt müsse sich Europa auf Kernkompetenzen konzentrieren und sich fragen, was uns einzigartig mache. „Wir brauchen in Zukunft mehr Flexibilität und wir unterschätzen die Digitalisierung“, so Radons. China sei wesentlich schneller.
„Wir leiden nicht an einem Strategiemangel, sondern an der Umsetzung der Strategie. Europa ist aber unsere große Chance“, lautete das Fazit von Rolf Nikel. Dringend erforderlich sei jetzt ein vorausschauendes Handeln – und Deutschland müsse die Führung übernehmen.
Den Schlusspunkt setzte Götz Dörmann, Geschäftsführer international der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, der gemeinsam mit IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke an der Abschlussveranstaltung teilnahm. Europa sei das richtige Thema der insgesamt 35 Vorträge der IHK-Begegnungswoche gewesen. Europa bedeute Frieden, wirtschaftliche Stabilität, Plan- und Rechtssicherheit und sei darüber hinaus ein Anker für die Unternehmen in OWL.