Es fehlt an Tatkraft

Berlin (dapd). Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) wirft den Europäern mangelnde Entschlusskraft bei der Bewältigung der Schuldenkrise vor. Die Krise sei nur der äußere Ausdruck der Handlungsfähigkeit, die gegenwärtig Europa kennzeichne, sagte Schmidt am Dienstagabend in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“. Bereits Ende 2008 beim Einsetzen der Weltfinanzkrise habe es international Beschlüsse etwa zur Regulierung der Finanzmärkte gegeben, die besonders durch die USA, aber auch durch die Europäer nicht umgesetzt worden seien. Alle Rettungsschirme hätten sich als unzureichend herausgestellt.

Es sei nicht die erforderliche Tatkraft aufgebracht worden. Die mangelnde Entschlusskraft der Europäer erklärte Schmidt unter anderem mit der gescheiterten europäischen Verfassung. Wäre diese zustande gekommen, wäre die Lage jetzt nicht so ernst, befand Schmidt. Der Lissabon-Vertrag sei nur ein schwacher Abglanz der Verfassung. Es fehle an geregelten Rechtsgrundlagen für gemeinsame Handeln. Die Europäer hätten noch nicht wirklich begriffen, wie sehr sie auf gemeinsames Handeln angewiesen seien, wenn sie ihren Einfluss in der Welt halten wollen. Für eine deutsche Führungsrolle sieht Schmidt die Geschichte als Handicap. Der fabrikmäßige Mord an Millionen Juden und der Zweite Weltkrieg – das wiege im Unterbewusstsein der europäischen Völker noch so schwer, dass es eine Führung Europas durch Deutschland ausschließe. Die gegenwärtige Krise Europas wertete der Altkanzler als Schuldenkrise und nicht als Krise des Euro. Auch Deutschland habe sich stärker verschuldet, als es nach dem europäischen Stabilitätspakt gedurft hätte. Schmidt bescheinigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) taktisches Geschick in ihrer Politik, verwies aber zugleich darauf, dass sie erst nach 1989 zur Europäerin werden konnte. Anders sei dies bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). „Schäuble ist ein geborener Europäer, das ist Frau Merkel nicht“, sagte Schmidt. Zugleich stärkte Schmidt dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel für dessen Vorstoß zur Vergemeinschaftung der Schulden im Euro-Raum den Rücken. „Im Prinzip hat er Recht“, sagte Schmidt. Man sollte es als Regel nicht aufstellen, aber in der gegenwärtigen Situation sei dies „beinahe unausweichlich“ Der ehemalige Kanzler warnte zugleich davor, über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu spekulieren. Es sei zwar ein Fehler gewesen, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Man könne aber geschehene Geschichte nicht ungeschehen machen. Mit Spott reagierte Schmidt auf die Forderung des bayerischen Finanzminister Markus Söder (CSU), mit einem Griechenland-Austritt aus der Euro-Zone eine Exempel zu statuieren. „Scheint ein besonders großer Fachmann zu sein“, sagte Schmidt dazu lapidar. Schmidt äußerte zugleich zu seiner Partei, der SPD. Seine Aussage, dass Ex-Finanzminister Peer Steinbrück zum Kanzler befähigt sei, gelte weiter. Jedoch will der 93-Jährige nicht offen für Steinbrück werben. „Ich bin kein Propagandachef für Steinbrück“, betonte Schmidt. „Sehr skeptisch“ sieht der einstige Kanzler Forderungen, den Kanzlerkandidaten 2013 in der SPD per Mitgliederentscheid zu küren. Schmidt outete sich auch als Gegner einer Frauenquote. Er lobte ferner die Amtsführung von Bundespräsident Joachim Gauck, geißelte den Ausstieg aus der Kernenergie als „unüberlegt“ und zeigte sich enttäuscht, dass US-Präsident Barack Obama zwei zentrale Wahlversprechen – den Truppenabzug aus Afghanistan und die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantanamo – nicht eingehalten habe. Schmidt sprach auch über seine neue Lebensgefährtin Ruth Loah, gab sich diesbezüglich aber wortkarg. „Es war eine selbstverständliche Entwicklung. Wir waren aneinader gewöhnt seit Jahrzehnten“, sagte der 93-Jährige über seine 14 Jahre jüngere Partnerin. Sie rauche ebenso wie er, beide lebten aber nicht unter einem Dach. Das würde die Dinge komplizierter machen, sagte Schmidt, ohne ins Detail zu gehen. Im September will Schmidt mit ihr auf der Hurtigroute von Bergen ans Nordkap fahren. Mit Glück wollte der Altkanzler seinen Gemütszustand nicht beschrieben wissen. „Glück ist ein sehr relatier Begriff“, befand Schmidt.

Veröffentlicht von

Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.