Frankfurt/Main (dapd-hes). Nach einer Flucht, die fast ihr halbes Leben dauerte, stehen die 79 Jahre alte Sonja Suder und der 70-jährige Christian Gauger am Freitag in einem Terrorismusprozess vor dem Frankfurter Landgericht. Die Staatsanwaltschaft klagt die beiden an, 1977 als Mitglieder der Revolutionären Zellen zwei Sprengstoffanschläge auf deutsche Firmen verübt zu haben, die im Urangeschäft mit Südafrika standen. Wegen Beteiligung an der Vorbereitung des Überfalls auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975, bei dem drei Menschen starben, steht Suder zudem aber auch wegen Mordes vor Gericht. Für den Prozess sind die zwei betagten Angeklagten nach langer Zeit wieder gemeinsam zurück in Frankfurt. Sie waren 1978 Richtung Frankreich geflohen. Um die 80 Jahre alte Untersuchungshäftlinge gab es in der Vergangenheit meist nur in Verbindung mit Verfahren wegen NS–Verbrechen, wie ein Sprecher des hessischen Justizministeriums anmerkt. Suder sitzt derzeit im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim. „Sie ist momentan die älteste Untersuchungsgefangene in Hessen“, sagt der Justizsprecher. Suders Lebensgefährte Gauger, der an den Folgen eines früheren Herzstillstands leidet, wurde inzwischen aus dem Justizkrankenhaus Kassel entlassen und ist nicht mehr inhaftiert. Für die jetzt schon bis ins Jahr 2013 anberaumten Prozesstermine hat das Landgericht mit Rücksicht auf Alter und Gesundheit der Angeklagten für jeden Verhandlungstag zweimal 90 Minuten angesetzt. Im September 2011 wurden Suder und Gauger von Paris nach Deutschland ausgeliefert. 33 Jahre zuvor waren die beiden aus der Bundesrepublik geflohen: Eines Augustabends fuhren sie mit ihrer grünen Citroën-Ente von Frankfurt aus an die französische Grenze, stellten das Auto ab und gingen zu Fuß und mit etwas Erspartem auf die andere Seite. Tags zuvor wollte Gauger bemerkt haben, dass sie beim Aufbau ihres Flohmarktstands am Mainufer aus einem Wagen heraus überwacht wurden. Fest steht, dass sie schon damals verdächtigt wurden, im Juni 1978 im Königssaal des Heidelberger Schlosses Feuer gelegt zu haben, um gegen die Abrisspolitik der Stadt zu protestieren. Auch diese Brandstiftung wird nun in Frankfurt verhandelt. Mit falschen Schweizer Pässen lebte das Paar zunächst im nordfranzösischen Lille, „später dann in Paris“, wie Suders Anwalt Detlef Hartmann berichtet. Auch in der Seine-Metropole bestritten Suder und Gauger ihren Lebensunterhalt durch Flohmarktverkäufe. Im Jahr 2000 flog dann ihre Identität auf, aber dem deutschen Auslieferungsbegehren entsprachen die französischen Behörden nicht, weil sie die Tatvorwürfe als verjährt ansahen. Unter ihren richtigen Namen lebten beide dann im Pariser Vorort Saint-Denis in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kontakt zu ihren Familien in Deutschland hatten sie die ganze Zeit über gehalten. 2007 erließ die Frankfurter Staatsanwaltschaft dann einen europäischen Haftbefehl, vier Jahre später wurde das Paar nach Deutschland überstellt. Die Anklage in dem nun beginnenden Verfahren stützt sich auch auf die Zeugenaussagen des Exterroristen Hans-Joachim Klein und des ebenfalls mit den Revolutionären Zellen in Verbindung gebrachten Hermann Feiling. Wegen dreifachen Mords bei seiner Teilnahme am OPEC-Überfall 1975 in Wien ist Klein 2001 auf Grundlage einer Kronzeugenregelung zu nur neun Jahren Haft verurteilt worden, 2003 wurde er auf Bewährung entlassen. Der 64-Jährige lebt heute in der Normandie und belastet vor allem Sonja Suder. Aussagen wird möglicherweise auch Feiling, der 1978 beim Hantieren mit einer Bombe in seiner Heidelberger Studentenbude beide Beine und sein Augenlicht verlor. Noch am Morgen nach der Notoperation verhörten ihn im Krankenhaus Ermittlungsbeamte und setzten die wochenlangen Befragungen später in einer Polizeikaserne fort. Suders Anwalt spricht von Ermittlungen „unter folterähnlichen Bedingungen“ und zweifelt auch die Brauchbarkeit von Klein als Zeuge an. Selbst die Staatsanwaltschaft, sagt Hartmann, weise in ihrer Anklageschrift gegen Suder und Gauger auf Kleins „wechselndes Aussageverhalten“ hin. Bei einem Haftprüfungstermin lehnte es das Frankfurter Oberlandesgericht im Mai ab, Suder auf freien Fuß zu setzen. Die 79-Jährige sei „aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters besonders haftempfindlich“ und müsse damit rechnen, nach einer Verurteilung den Großteil ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen, hieß es zur Begründung. Daher bestehe ein „besonders hoher Fluchtanreiz“. Die frühere Medizinstudentin Suder darf in Preungesheim zweimal im Monat Besuch empfangen. Ihr jetzt mitangeklagter Lebensgefährte Christian Gauger nutze jeden dieser Termine, sagt Rechtsanwalt Hartmann. dapd (Politik/Politik)
Ende einer langen Flucht
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Peer-Michael Preß
Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de Alle Beiträge von Peer-Michael Preß anzeigen