München/Karlsruhe/Berlin (dapd). Paukenschlag des obersten deutschen Finanzgerichts: Die steuerliche Verschonung bei der Erbschaft von Betriebsvermögen verstößt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) gegen das Grundgesetz. Die seit Januar 2009 geltende Regelung im Erbschaftssteuergesetz stelle eine „verfassungswidrige Überprivilegierung“ dar, heißt es in dem am Mittwoch in München veröffentlichten Beschluss. Damit werde das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes verletzt. Der BFH legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht vor, das nun endgültig über die Verfassungsmäßigkeit der Regelung entscheiden muss. Das Bundesfinanzministerium hält die Erbschaftssteuer allerdings trotz der gegenteiligen Einschätzung des Bundesfinanzhofs für grundgesetzkonform. „Wir sind der Auffassung, dass die Regelungen zur Erbschaftssteuer, wo bestimmte Teile des Unternehmensvermögens verschont werden, verfassungsgemäß sind“, sagte die Sprecherin des Bundesfinanzministeriums, Marianne Kothé, am Mittwoch in Berlin. Dies habe das Bundesverfassungsgericht mehrmals bestätigt. Sie sei zuversichtlich, „dass die geltende Rechtslage Bestand haben wird“. SPD und Grüne forderten hingegen die Bundesregierung zu einer sofortigen Reform der Erbschaftssteuer auf. Der BFH entschied, dass die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen sowie Anteilen an Kapitalgesellschaften eine Bevorzugung darstelle, die durch Gründe des Gemeinwohls nicht ausreichend gerechtfertigt sei. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer „typischerweise die Betriebsfortführung gefährde“, betonten die Finanzrichter. Es gehe weit über das verfassungsrechtlich Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen. Die angenommenen Verfassungsverstöße führen aus Sicht des BFH zu einer „durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung“. Dadurch würden diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende Besteuerung verletzt. Schlupflöcher schließen Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, forderte die Bundesregierung auf, die Erbschaftsteuer „wieder verfassungskonform zu machen“. Er verlangte von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) „einen umgehenden Vorschlag“ für eine Novellierung des Erbschaftsteuerrechts. Auch NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) sagte: „Jetzt muss sich auch die Bundesregierung bewegen und Schlupflöcher schließen – etwa wenn Reiche ihr Privatvermögen in einer Firma verstecken und sich damit ungerechte Steuervorteile verschaffen.“ Die Obfrau der Grünen im Finanzausschuss des Bundestages, Lisa Paus, betonte, es könne nicht sein, dass durch legale Steuertricks gerade die sehr hohen Vermögen völlig von der Steuer befreit würden. Die aktuellen Regelungen begünstigten nicht nur Familienbetriebe. „Wir fordern eine gerechte Erbschaftssteuer, die auch millionenhohe Erbschaften und Schenkungen umfasst, unabhängig von der Rechtsform, in der das Vermögen steckt“, sagte Paus. Die Schlupflöcher seien „so groß, dass dem jährlich vererbten Vermögen von über 230 Milliarden Euro weniger als fünf Milliarden Euro Steuereinnahmen entgegen stehen“. Das müsse sich ändern. Nach Ansicht von FDP-Fraktionsvize Volker Wissing zeigt das BFH-Urteil, dass auch eine Vermögenssteuer verfassungswidrig wäre. Der Beschluss des Bundesfinanzhofs sei nicht nur „eine Ohrfeige“ für den ehemaligen SPD-Finanzminister und derzeitigen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der das Gesetz mit zu verantworten habe. Es sei auch „eine kalte Dusche für die Anhänger der Vermögenssteuer bei SPD und Grünen“. Deren Behauptung, man könne Betriebsvermögen ganz einfach schonen, sei wieder einmal widerlegt worden. (AZ: BFH II R 9/11) dapd (Politik/Politik)
Bundesfinanzhof rügt Erbschaftssteuerrecht
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Peer-Michael Preß
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