Berlin (dapd). Das vom Bundestag angemahnte Gesetz zur rituellen Beschneidung könnte nach Einschätzung der Regierung letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Damit sei angesichts der emotionalen Debatte zu rechnen, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dem „Spiegel“. Zugleich beklagte der Zentralrat der Juden in Deutschland am Wochenende eine weitverbreitete gesellschaftliche Unkenntnis über rituelle Beschneidungen und warnte davor, dass mit einem Verbot jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland infrage gestellt werde. Hintergrund ist ein Urteil des Kölner Landgerichts, das vor wenigen Wochen die Beschneidung eines Jungen als strafbare Körperverletzung gewertet hatte – trotz Einwilligung der Eltern. Dagegen hatte sich im In- und Ausland Protest erhoben. Schließlich gehört im Judentum die Bescheidung von Jungen in den ersten acht Lebenstagen zur religiösen Identität. Vergangene Woche hatte der Bundestag daher die schwarz-gelbe Regierung aufgefordert, schnell Rechtssicherheit herzustellen und die rituelle Beschneidung grundsätzlich straffrei zu stellen. In der Bevölkerung regt sich allerdings Widerstand. Einer repräsentativen Emnid-Umfrage für den „Focus“ zufolge halten nur 40 Prozent eine gesetzliche Vorgabe für richtig, 48 Prozent sprechen sich dagegen aus. Zugleich machten namhafte Mediziner und Juristen Front gegen eine staatliche Beschneidungs-Erlaubnis. In einem Offenen Brief rufen sie Regierung und Parlament auf, keine vorschnellen Beschlüsse zu fassen. „Das Thema Beschneidung ist zu sensibel für politische Schnellschüsse“, heißt es in dem von einem Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Düsseldorf initiierten Schreiben. Darin wird gemahnt, das Kindeswohl in den Mittelpunkt zu rücken sowie Erkenntnisse der Hirn- und Präventionsforschung zu berücksichtigen. Kritik kam auch vom UN-Kinderhilfswerk Unicef. Dessen Sprecherin Helga Kuhn verlangte, die Unversehrtheit des Kindes in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte zu rücken. Es dürfe bei kommenden politischen und rechtlichen Entscheidungen keinen Rückschritt hinter die Kinderrechtskonventionen der Vereinten Nationen geben, die auch von Deutschland ratifiziert wurden, betonte Kuhn in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, warnte am Sonntag davor, dass der Eindruck entstehen könne, jüdische und muslimische Eltern hätten gegenüber mitteleuropäischen Eltern Defizite in Sachen Kindeswohl. Dies sei jedoch nicht der Fall. Zugleich kritisierte er, dass die Politik die gesellschaftliche Diskussion sehr spät aufgegriffen habe. Zentralratspräsident Dieter Graumann rief die Parlamentarier auf, nicht zu kneifen: Demoskopie sei eine Sache, Verantwortungsbewusstsein etwas anderes, sagte er dem „Focus“. Auch der Leiter der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, Johannes Heil, sieht in der Debatte um die Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen indes ein Beleg dafür, dass Teile der Bevölkerung kritisch einer pluralistischen Gesellschaftsordnung gegenüberstehen. Es sei zunehmend Widerstand zu beobachten, wenn sich diese Pluralität in konkreten Schritten äußere, sagte Heil der Nachrichtenagentur dapd. Dabei spiele es „keine Rolle, ob es um den Bau von Minaretten geht, um das Tragen von Kopftüchern oder eben um die Beschneidung“. Die Bundesjustizministerin warb derweil um Verständnis, dass die angestrebte Regelung länger dauern könnte als viele wollen. „Die Sache ist komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen, wie sich das einige vorstellen“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Auch schließe sie nicht aus, dass das Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht kommt. „Da werden die Richter zu beurteilen haben, ob sie die Grundrechtsabwägung teilen, die wir vornehmen werden.“ Der Grünen-Politiker Fritz Kuhn, Verfechter einer „klaren gesetzlichen Regelung“, sprach sich dafür aus, dass sich der Bundestag ausreichend Zeit für die parlamentarische Debatte nehmen soll. Zudem müsse die Beschneidung von Mädchen verboten bleiben, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Die Vorstandsvorsitzende von „Terre des Femmes“, Irmgard Schewe-Gerigk, warnte indes im Falle einer einseitigen Auslegung vor verfassungsrechtlichen Problemen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, kritisierte am Sonntag auf einer Podiumsdiskussion der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, dass die Bundestagsdebatte zum Thema Beschneidung zu hastig abgelaufen sei. „Wir hätten uns besser mehr Zeit damit gelassen. Mit dem abrupten Ende der parlamentarischen Debatte haben wir eher den Gegnern in die Hände gespielt.“ dapd (Politik/Politik)
Beschneidungs-Gesetz könnte Fall für Karlsruhe werden
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Peer-Michael Preß
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