Prof. Bruno Hüsgen hat die Dissertation Wortmanns an der HSBI betreut. (Foto: P. Pollmeier/HSBI)
Prof. Bruno Hüsgen hat die Dissertation Wortmanns an der HSBI betreut. (Foto: P. Pollmeier/HSBI)

Von der HSBI zur Uni Bielefeld – „das geht ja auch!“ hat Dr. Martin Wortmann festgestellt

Bielefeld – Wer an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften promoviert, kann es durchaus auch in die Grundlagenforschung einer Universität schaffen. Das zeigt das Beispiel von Dr.-Ing. Martin Wortmann, den es von der HSBI in die Experimentalphysik der Universität Bielefeld verschlagen hat und der nebenbei noch an der HSBI lehrt. Die Geschichte eines Ingenieurs wider Willen, der seine Berufung in der Wissenschaft gefunden hat.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Wissenschaftler von einer Universität an eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) wechseln. Bei Dr.-Ing. Martin Wortmann war es umgekehrt – und das ist eher ungewöhnlich. „Berufliche Lebenswege kann man nicht immer planen, genauso wenig wie wissenschaftliche Erkenntnisse“, sagt Wortmann, heute Postdoc an der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld und Lehrbeauftragter an der Hochschule Bielefeld (HSBI). „Egal, wie viel man arbeitet und wie viel Mühe man sich gibt – wenn man auf neue interessante Zusammenhänge stößt, hat das immer auch mit Glück zu tun. Und auch bei einer Karriere spielt der Zufall mitunter eine große Rolle.“ Mit Zufall allerdings hat Wortmann Laufbahn wenig zu tun. Eher schon mit Interesse, Fleiß und wissenschaftlicher Brillanz. Und damit, dass die HSBI durch ihre starke Vernetzung Türen öffnen kann, von denen manche Talente zunächst gar nicht wissen, dass es sie gibt.

Kein Vorzeigestudent, aber von der Naturwissenschaft begeistert

Eigentlich wollte Martin Wortmann Psychologie studieren. Dafür reichte seine Abiturnote jedoch damals, 2008, nicht aus. Eigentlich betrachtete er die ersten Semester des Bachelorstudiengangs Produktions- und Kunststofftechnik an der damaligen FH Bielefeld und heutigen HSBI lediglich als zweite Wahl – alternativ als halbwegs sinnvoll verbrachte Wartesemester für den Psychologie-Studiengang. Und eigentlich interessierten ihn weniger die Ingenieursfragen als vielmehr die naturwissenschaftlichen. „Aber wie es so kommt, man findet Freunde und bleibt irgendwie dabei“, sagt der 34-Jährige. „Ich war gewiss kein Vorzeigestudent und habe zunächst nur minimalen Aufwand betrieben.“ Für seinen Master wechselte Wortmann dann aber an die Universität Paderborn, um Maschinenbau mit der Vertiefungsrichtung Kunststofftechnik zu studieren. „Für mich war das ein erster Schritt raus aus dem konstruktiven Bereich hin zur Materialwissenschaft“, sagt Wortmann.

Nach dem Master allerdings hatte er trotzdem erst mal „keinen Plan“. Bis zu dieser Weihnachtsfeier 2015: Die AG Bielefelder Kunststofftechnik traf sich zum Glühwein, und Wortmann kam ins Gespräch mit seinem ehemaligen Hochschullehrer Prof. Dr.-Ing. Bruno Hüsgen von der heutigen HSBI. „Aus einer Laune heraus habe ich gefragt, ob ich nicht bei ihm promovieren könne“, erinnert sich Wortmann. Hüsgen darauf: „Eigentlich nicht, aber vielleicht kann man da was machen.“ Und Hüsgen konnte, denn damals gab es schon den 2012 zwischen der Universität Paderborn und der damaligen FH Bielefeld vereinbarten Weg der kooperativen Promotion im Bereich der Kunststofftechnik. Im April nahm Martin Wortmann als Wissenschaftlicher Mitarbeiter seine Forschungstätigkeiten an der FH Bielefeld im Rahmen eines Drittmittelprojektes auf. Seine darauf aufbauende Dissertation wurde gemeinsam von Prof. Dr. Elmar Moritzer von der Uni Paderborn sowie Prof. Dr. Hüsgen betreut. Wortmann begann an der Diffusion in Polymeren und an Nanomaterialien zu forschen, entwickelte neue Projekte, schrieb einen Forschungsantrag nach dem anderen. „Meine Begeisterung für die Wissenschaft entflammte“, erinnert er sich. „Mein Engagement wuchs, und ich habe Ehrgeiz entwickelt.“

Die Publikationsliste wächst und damit Wortmanns Netzwerk

Im zweiten Promotionsjahr kamen Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen hinzu. „Das war enorm wichtig“, erklärt Wortmann. „Publikationen sind die Währung, mit der in der Wissenschaft bezahlt wird. Wie viel veröffentlicht man, in welchen Journals, wie oft wird man zitiert? Darauf schauen alle, danach wird man als Wissenschaftler auch irgendwie bewertet.“ Und Wortmanns Publikationsliste hat heute eine beeindruckende Länge.

Im Experimentalbereich publiziert allerdings niemand allein, denn es muss an verschiedenen teuren Geräten gemessen werden, die längst nicht alle im eigenen Labor stehen. „Also habe ich unter anderem viel mit Leuten von der Chemie-Fakultät in Paderborn und der Physik-Fakultät der Uni Bielefeld zusammengearbeitet“, sagt Wortmann, der Industriepartner einbindet und auch international kooperiert, zum Beispiel mit Forschenden von der University of Hawaii (USA), der Silesian University of Technology (Polen) und der TU Wien (Österreich).  Sein Netzwerk wächst und wächst.

Damit nicht genug: Martin Wortmann beginnt zu lehren. Mühelos. „Ich habe anderen schon immer gerne Sachen erklärt“, sagt er augenzwinkernd. Zunächst vertritt er Professor Hüsgen in dessen Vorlesungen an der FH, später teilt er sich die Vorlesung „Molekulare Werkstoffe“ mit ihm. Schließlich entwickelt er seine eigene Vorlesung nach eigenen Lehrkonzepten, mit besonderem Augenmerk auf intuitiven Visualisierungen, aufwendigen Animationen und einem interaktiven Seminar. „Bis heute stelle ich jedes Mal fest: Mensch, wie doof hast du das denn letztes Semester erklärt. Man lernt immer noch unglaublich viel dazu. Selbst bei Dingen, von denen ich überzeugt war, sie perfekt verstanden zu haben, merke ich immer wieder: Ich kratze nach wie vor an der Oberfläche.“

Eine eigene Vorlesung und der letzte Schritt vom Ingenieur zum Physiker

Längst lappt die Wissenschaft weit in Wortmanns Freizeit hinein. „Ich habe mich nach der eigentlichen Arbeit immer mehr mit Physik beschäftigt, Bücher dazu gelesen, Vorlesungen online angesehen“, erzählt er. „Bis ich mich sogar an der Uni Bielefeld habe beraten lassen, wie es wäre, nebenher noch den Master in Physik zu machen. Schwierig, meinte man. Ich müsse quasi im Bachelor wieder anfangen. Die Ironie dabei: Anderthalb Jahre später saß ich wieder den gleichen Menschen gegenüber – diesmal, um die Zeitplanung für meine eigene Vorlesung im Physik-Master zu besprechen.“

2021, nach fertiggestellter Dissertation („sehr gut“ und vom Verein Kunststoffe in OWL preisgekrönt), war der kurze Weg hinüber zur anderen Seite des Campus Bielefeld ein ganz natürlicher. Wortmann hatte bereits an dem großen gemeinsamen Projekt von FH und Universität mitgewirkt, dem Centrum für interdisziplinäre Materialforschung und Technologieentwicklung (CiMT). Es gab inzwischen zahlreiche gemeinsame Publikationen. „Und da ich ohnehin in die Experimentalphysik wechseln wollte, war es nur naheliegend, mich für eine Postdoc-Stelle in der AG Dünne Schichten & Physik der Nanostrukturen bei Prof. Reiss zu bewerben.“

Magnetokalorischer Effekt, dünne Schichten, Nanomaterialien, Kohlenstoffmikrokügelchen…

Die Promotion an einer HAW kann einen also auch in der Welt der Forschung weit bringen. „In den vergangenen Jahren hat sich die HSBI auf diesem Gebiet stark weiterentwickelt, und viele Professoren haben da eine Menge Arbeit reingesteckt“, findet Martin Wortmann. „Die zahlreichen Kooperationen haben den wissenschaftlichen Output der HSBI positiv beeinflusst.“ Seit zweieinhalb Jahren nun hat er schwerpunktmäßig nicht mehr so viel mit Kunststoffen wie in der Vergangenheit zu tun, sondern mehr mit Metallen. „Wir machen hier Grundlagenforschung für Mikroelektronik und beschäftigen uns mit Nanometer dünnen Schichten“, erläutert Wortmann. Es geht etwa um den magnetokalorischen Effekt, der in Zukunft dafür sorgen könnte, Mikrochips effizienter zu kühlen oder die nächste Generation von umweltschonenden Kühlschränken zu entwickeln.  Außerdem forscht er im Bereich dünner Oxidschichten, die einerseits die Korrosion von Metallen beeinflussen, aber andererseits auch wichtige Anwendungen im Bereich der Mikroelektronik finden. Nebenher arbeitet Wortmann mit verschiedenen Kooperationspartnern an, wie er sagt, „Freizeitprojekten“ wie Kohlenstoffmikrokügelchen, deren Porosität wichtig für die Anwendung in Anoden von Natrium- und Kalium-Ionen-Batterien ist. Oder Polymer-Nanofasern, die künftig in Bereichen wie Medizintechnik oder Filtration eingesetzt werden könnten. In all diesen Feldern arbeitet er neben internationalen Partnern auch heute noch eng mit Forschenden der HSBI zusammen.

„Ich kann sagen, dass ich heute meine Berufung gefunden habe“, sagt Wortmann. „Hätte ich woanders studiert oder promoviert, wäre das sicher nicht so gelaufen.“ Eine Arbeitsgruppe übernehmen, eigene Promovierende betreuen, eigene Gelder beantragen – das sind für ihn die nächsten Schritte in Richtung Junior-Professur. Und dann? „Wenn man sich weltweit für Professuren bewirbt, weiß man nie, wo man vielleicht irgendwann landet. Das wäre okay. Andererseits bin ich jetzt schon sehr lange in Bielefeld und fühle mich hier wohl. Eine Professur an der HSBI wäre deshalb definitiv ein Traum.“ Und das hätte womöglich nicht einmal viel mit Glück zu tun.

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