Bielefeld – Die 24-jährige iranische Studentin Parnia Ali Nejad ist für ihr ehrenamtliches Engagement und ihre herausragenden Leistungen im Studium der Sozialen Arbeit an der Hochschule Bielefeld ausgezeichnet worden. Seit 2019 in Deutschland, setzt sie sich für Geflüchtete und Migrant:innen ein und gründete kürzlich den Verein Ham Korsi.
„Herzlich willkommen im Sprachcafé, such‘ dir gerne schon mal einen Platz“, begrüßt Parnia Ali Nejad mit einem Lächeln die junge Frau, die den Raum im Jugendzentrum Kamp in Bielefeld betritt. Es ist Freitagnachmittag, mehrere Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 27 Jahren sitzen bereits zusammen um einen großen Tisch und unterhalten sich – in einem bunten Mix aus Ukrainisch, Arabisch, Persisch, Englisch und Deutsch. Trotz ihrer unterschiedlichen Muttersprachen haben sie alle eines gemeinsam: Die Flucht oder Migration aus ihrem Heimatland und ihr Wunsch, sich schnell in Deutschland zurechtzufinden. Das Sprachcafé, das Ali Nejad ins Leben gerufen hat, bietet genau das: eine niedrigschwellige Plattform zum Deutschlernen für Geflüchtete und Migrant:innen, aber auch Raum für wichtige gesellschaftliche Diskussionen. Das heutige Thema: Der Christopher Street Day, der am nächsten Tag in der Bielefelder Innenstadt stattfindet.
„Das Sprachcafé soll den Teilnehmenden helfen, im Alltag anzukommen und sie auch mit Themen in Berührung bringen, die sie bisher eventuell nicht kannten“, so Ali Nejad. Die 24-Jährige, die selbst 2019 aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, studiert Soziale Arbeit an der Hochschule Bielefeld (HSBI). Neben ihrem Engagement im Sprachcafé arbeitet sie als Pflegeassistentin für Menschen mit Behinderung, betreibt den Verein Ham Korsi, der unter anderem das Sprachcafé anbietet, und engagiert sich politisch. „Ich habe von meinem eigenen Schicksal gelernt, dass es wichtig ist, sich gegen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten einzusetzen“, sagt sie.
DAAD-Preis für ehrenamtliches Engagement
Dieses vielfältige Engagement blieb auch ihrer Dozentin Prof. Dr. Erika Schulze nicht verborgen. Prof. Dr. Schulze lehrt am Fachbereich Sozialwesen der HSBI und kennt Ali Nejad aus verschiedenen Lehrveranstaltungen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Claus Melter nominierte sie die Studentin für den Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Der mit 1.000 Euro dotierte Preis wird seit über 20 Jahren an deutschen Hochschulen verliehen und würdigt die Leistungen und das Engagement internationaler Studierender. „Frau Ali Nejad zeigte von Anfang an durch ihre konstruktiven und reflektierten Beiträge in meinen Seminaren eine außergewöhnliche Leistung. Ihr Notendurchschnitt von 1,0 macht deutlich, dass sie dies auch in allen anderen Lehrveranstaltungen zeigt. Hinzu kommen ihre beindruckenden ehrenamtlichen Aktivitäten“, erklärt Prof. Dr. Schulze.
Die eigene Geschichte als Ursache der Motivation für das soziale Engagement
Der Motor ihres sozialen Engagements ist dabei ihre eigene Geschichte: Als Angehörige der Bahá’í-Glaubensgemeinschaft – einer religiösen Minderheit im Iran – wurde sie in ihrem Heimatland verfolgt, der Zugang zu Bildung, Arbeit und Eigentum blieb ihr verwehrt. Ihre Flucht nach Deutschland ermöglichte ihr, den Wunsch nach einem Studium zu verwirklichen und sich für andere einzusetzen. „Als ich in Deutschland ankam, hatte ich zunächst gemischte Gefühle. Es gab Freude und Angst. Im Iran war ich es gewohnt, für meine Freiheit und Rechte kämpfen zu müssen. Hier in Deutschland war es plötzlich anders“, erinnert sie sich. „Anfangs war es zum Beispiel eine ungewohnte Situation, dass ich mich als Frau in der Stadt frei bewegen darf und die Möglichkeit habe, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Aber genau diese Möglichkeit, hier frei zu leben und zu studieren, hat mir Mut gegeben.“
Gründung des Vereins Ham Korsi
Ihre Erfahrungen haben sie motiviert, anderen zu helfen, denen es ähnlich geht. Diese Motivation verstärkte sich, als die „Frauen, Leben, Freiheit“-Demonstrationen im Iran begannen: „Die mutigen Frauen und Männer, die auf den Straßen ihre Rechte einforderten, inspirierten mich. Obwohl ich nicht dort sein konnte, wollte ich hier etwas bewegen und kam auf die Idee für einen Verein.“ Der Verein Ham Korsi, den sie zusammen mit ihrer Kommilitonin Talina Connolly gegründet hat, bietet vielfältige Unterstützung für Geflüchtete und Migrant:innen in Bielefeld. „Das Sprachcafé war unsere erste große Initiative“, erzählt Ali Nejad. „Viele unserer Teilnehmenden freuen sich, wenn sie hier schlichtweg erfahren, wie sie zum Rathaus gehen oder einen Arzttermin vereinbaren können. Gleichzeitig können sie ihre Deutschkenntnisse verbessern und Kontakte knüpfen.“ Auch Begleitung bei Behördengängen, bürokratische Hilfen und die Vermittlung an spezialisierte Beratungsstellen gehören zum Angebot des Vereins. „Wir versuchen, die Aufgaben und Angebote an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten. Wichtig ist uns bei unserer Arbeit, keinen Unterschied zwischen Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten und EU-Ländern zu machen“, ergänzt Talina Connolly.
Im Jugendzentrum Kamp in Bielefeld nimmt der Verein mittlerweile einen festen Platz ein. Hier finden regelmäßig das Sprachcafé und Beratungssitzungen statt, die besonders durch die Mehrsprachigkeit des Teams bereichert werden. „Wir arbeiten zu zweit in dem Verein und sprechen zusammen sechs verschiedene Sprachen, aber wir sind auch ständig auf der Suche nach neuen Mitstreiterinnen und Mitstreitern“, sagt Ali Nejad.
Unterstützt wurden die beiden Studentinnen bei der Gründung von ihren Dozent:innen der HSBI. Ali Nejad: „Anfangs war der Verein nur eine Idee. Ohne die Hilfe unserer Dozentinnen und Dozenten an der HSBI, die uns von Beginn an unterstützt und angeleitet haben, könnten wir heute nicht so vielen Menschen helfen.“
Der Weg zur Sozialen Arbeit
Ursprünglich wollte Ali Nejad in Deutschland Musik studieren, da sie im Iran ein Musikabitur abgeschlossen hat. Doch die hohen Kosten für Musikunterricht und -instrumente in Deutschland machten dies unmöglich. Stattdessen fand sie ihre Berufung im Studium der Sozialen Arbeit. „Die Arbeit mit Menschen, die unter schwierigen Bedingungen leben, motiviert mich“, erklärt sie. „Das Wissen und die Fähigkeiten, die ich während meines Studiums an der der HSBI lerne, möchte ich nutzen, um das Leben anderer Menschen zu verbessern.“
Obwohl sie noch nicht genau weiß, in welcher Einrichtung sie nach ihrem Studium arbeiten wird, ist sie sich sicher: Als zukünftige Sozialarbeiterin möchte sie einen Unterschied machen, sei es im beruflichen Rahmen oder im Alltag und dabei „Menschen und Kulturen kennenlernen und sich gegen Ungerechtigkeiten einsetzen“.