Bielefeld – Als er mit 21 Jahren nach Sachsen-Anhalt kam, sprach er kein Wort Deutsch. In Köthen erlebte er Rassismus, an der FH Bielefeld war die Unterstützung groß. Hier war Felix Ayuk einer der ersten internationalen Studierenden im Studiengang Elektrotechnik des ehemaligen Fachbereichs Elektro- und Informationstechnik. Seit Oktober 2022 ist er Professor an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Dies ist seine außergewöhnliche Geschichte.
„Ich wusste schon in der Grundschule, dass ich Lehrer werden würde“, sagt Felix Ntui Ayuk. „Meine Eltern gaben mir Geld mit fürs Mittagessen, aber davon habe ich lieber Kreide gekauft. So konnte ich nach Schulschluss Mathegleichungen an der Tafel lösen.“ Die Investition hat sich gelohnt: Noch heute liebt es Ayuk, mit Kreide auf einer Tafel zu schreiben. Und er ist nicht nur Lehrer geworden, sondern hat es zum Professor gebracht – allerdings 5000 Kilometer nördlich von Buea, jener Stadt im Westen Kameruns, in der er einst die Schulbank drückte. Doch der Weg von dort nach Bielefeld und schließlich an die Rheinische Fachhochschule Köln war kein Spaziergang.
Der 48-jährige frischgebackene Professor für Elektrotechnik erinnert sich an sein Schlüsselerlebnis: „Ich hatte mich als Physikstudent an der Universität von Buea eingeschrieben, der einzigen rein englischsprachigen Uni in Kamerun“, erzählt Ayuk. „Und da war dieser Dozent, der für ein physikalisches Problem diesen absolut faszinierenden Lösungsansatz hatte. Die Studierenden waren von seinen Methoden verblüfft. Da wusste ich: Genau das will ich auch – junge Menschen für Naturwissenschaften begeistern.“
Dabei stand für Felix Ayuk zu dem Zeitpunkt bereits fest, dass er im Ausland studieren wollte. Er wartete nur noch darauf, dass das dafür benötigte Visum bewilligt würde. Für Deutschland hat er sich aus einem ganz pragmatischen Grund entschieden: Die hiesigen Studiengebühren würde er sich leisten können.
Ausgrenzung und rassistische Anfeindungen prägten Ayuks erste Jahre in Deutschland
Und so reiste Ayuk 1996 nach Köthen bei Magdeburg – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Aber nicht nur aufgrund der Sprachbarriere war das Ankommen für ihn nicht leicht: „Die Menschen waren sehr verschlossen, sodass ich außerhalb des Sprachunterrichts nur wenig Deutsch üben konnte“, sagt Ayuk. „Anfangs hatte ich eigentlich nur Kontakt zu Landsleuten.“ Trotzdem büffelte er fleißig weiter Vokabeln und Grammatik, erreichte das Niveau C1, mit dem man im Alltag problemlos zurechtkommt, und schloss die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang mit Bravour ab.
Ayuk war froh, seinem Berufswunsch wieder ein Stück näher gekommen zu sein. Er entschied sich für die Hochschule Anhalt, quasi direkt vor seiner Haustür, und schrieb sich im Studiengang Elektrotechnik ein. Dort lief es gut – aber draußen nicht. „An einem Abend wollte ich gemeinsam mit fünf Freunden in eine Disko“, erzählt Ayuk. „Wir sind an der Tür abgewiesen worden. Aber das Schlimme passierte danach: Eine Gruppe von Leuten, die wir nicht kannten, hat uns angegriffen. Sie waren sehr gewalttätig. Ein Freund von mir und auch ich selbst wurden dabei verletzt.“ Für Ayuk war klar: In Köthen wollte er nicht bleiben.
Umsteigen in Bielefeld – das gab den Anstoß für eine Neuorientierung in NRW
Und dann half der Zufall: „In den Semesterferien bin ich regelmäßig mit dem Zug nach Wuppertal gefahren“, berichtet Ayuk. „Dort hatte ich einen Ferienjob. In Bielefeld musste ich immer umsteigen und hatte anderthalb Stunden Wartezeit. Anstatt am Bahnhof zu sitzen, bin ich in der Stadt spazieren gegangen. Irgendetwas hat mich einfach jedes Mal an Bielefeld fasziniert.“ Warum sollte er es also nicht hier versuchen?
Gesagt, getan. 1998 nahm Felix Ayuk an der Fachhochschule Bielefeld (FH) ein Studium der Elektrotechnik auf. „Meine Erfahrungen in Bielefeld waren einfach anders als in Köthen. Plötzlich hatte ich Freunde aus der ganzen Welt“, sagt er. Im damaligen PC 69, dem heutigen „Lokschuppen“, fand Ayuk einen guten Job, mit dem er das alles finanzieren konnte. Er beendete das Studium erfolgreich und legte an der Universität Siegen eine Promotion nach. Anschließend arbeitete er zehn Jahre als Fehleranalyseingenieur in der Halbleiterindustrie. „Und dann ging tatsächlich mein Berufstraum in Erfüllung“, erzählt Ayuk. Die Rheinischen Fachhochschule Köln suchte einen Professor für Elektrotechnik – und er setzte sich gegen alle anderen Bewerber durch. Im Bewerbungsgespräch punktete er mit seiner Arbeitserfahrung aus der Industrie und seiner Fähigkeit, Theorie und Praxis miteinander zu verzahnen. Seit Oktober 2022 kann er nun Bachelorstudierende für sein Lieblingsthema begeistern – so wie ihn damals sein Physikdozent in Buea in den Bann gezogen hatte.
„Für uns ist das eine Bestätigung, in der Lehre und der Organisation ziemlich viel richtig gemacht zu haben“, freut sich Rüdiger Schultheis, Professor für Elektrotechnik und Kommunikationstechnik sowie Studiengangleiter der Elektrotechnik an der FH Bielefeld, der Felix Ayuks schon als Student in Bielefeld betreute. „Tatsächlich war er einer der ersten internationalen Studenten in der Elektrotechnik bei uns im Haus. Wir hatten zwar noch keine Erfahrung auf dem Gebiet, aber es gab eine bestimmte Willkommenskultur und auf jeden Fall Unterstützung für internationale Studierende.“ Ayuk kann das bestätigen: „Die Professoren hatten immer ein offenes Ohr, und die Kommilitonen lachten nie, wenn ich beim Deutschsprechen grammatikalische Fehler gemacht habe. Ich habe eine Atmosphäre erlebt, die das Studium erleichterte.“
„Ich richte meine Vorlesungen so aus, dass der Schwächste zufrieden herausgehen kann“
Felix Ayuks Migrations-Erfahrungen fließen auch in seinen Lehrstil ein. So hat er bei der Vorbereitung seiner Vorlesung immer das unterschiedliche Fachwissen und die persönlichen Hintergründe der Studierenden im Blick. „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“, sagt er. „Ich richte meine Vorlesungen so aus, dass der Schwächste zufrieden herausgehen kann.“
Die Verbindung der Theorie mit der praktischen Anwendung ist ihm besonders wichtig. Um fachliche Konzepte zu vermitteln, nutzt Ayuk Beispiele aus dem Alltag und schafft Raum für praxisorientierte Übungen. „In meiner Heimat läuft das in der Regel ganz anders“, sagt Ayuk. „Da ist es normal, Absolventen von Ingenieuruniversitäten zu begegnen, die noch nie einen Transistor in der Hand hatten.“
Und wie reagieren die afrikanischen Studierenden auf ihren neuen Professor? „Sie sind stolz darauf, dass ich Kameruner bin, vor allem natürlich die Kameruner selbst. Denn sie wissen: Wenn er es schafft, kann ich es auch.“ Aber eigentlich sollte das für alle Studierenden gelten, egal welcher Herkunft. „Vor allem den ganz jungen kann ich nur raten: Gebt eure Träume nicht auf! Deutschland ist eines der wenigen Länder der Erde, in dem eine Geschichte wie meine möglich ist.“