Zum nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurf eines originären Unternehmensstrafrechts.
Bereits im Mai des vergangenen Jahres hat NRW Justizminister Kutschaty den Gesetzesentwurf „Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden” (VerbStrG-E) vorgelegt. Auf der Justizministerkonferenz Ende 2013 hat dieser Entwurf parteiübergreifend viel Zuspruch erfahren. Die Große Koalition hat im Koalitionsvertrag bereits einen Prüfauftrag festgeschrieben und sich für die Strafbarkeit „multinationaler Konzerne“ ausgesprochen. Nach den Plänen von NRW Justizminister Kutschaty soll der Gesetzesentwurf schon Ende 2014 dem Bundesrat vorgelegt werden. Sofern die große Koalition den Entwurf befürwortet, könnte ein originäres Strafrecht für Unternehmen bereits in naher Zukunft Wirklichkeit werden.
Dies ist insofern bedenklich, als der Entwurf eine deutliche Verschärfung der bereits heute geltenden Regeln vorsieht. Bislang sind Gesetzesverstöße von Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht geregelt. Erst im vergangenen Jahr wurde hier der Bußgeldrahmen für vorsätzliche Straftaten auf 10 Mio. Euro erhöht. Darüber hinaus ist es bereits heute möglich, im Wege des Verfalls Dasjenige einzuziehen, was das Unternehmen durch einen Rechtsverstoß erlangt hat. Hier findet das Bruttoprinzip Anwendung, d.h. eine Anrechnung der getätigten Aufwendungen findet nicht statt.
Diese Gesetzeslage geht den Befürwortern eines Unternehmensstrafrechts jedoch nicht weit genug. Nach dem Gesetzesentwurf soll ein originäres Unternehmensstrafrecht geschaffen werden. Unternehmen sollen wie natürliche Personen Adressaten des staatlichen Schuldvorwurfs und der damit verbunden strafrechtlichen Sanktion werden. Im Strafrecht gilt das Legalitätsprinzip, d.h. Rechtsverstöße müssen grundsätzlich verfolgt und sanktioniert werden. Dies wäre eine ernstzunehmende Intensivierung der Strafverfolgung, denn nach bislang geltendem Ordnungswidrigkeitenrecht steht es im Ermessen der Ermittlungsbehörden, inwieweit eine Strafverfolgung gegen Unternehmen stattfinden soll. Dies eröffnet im Einzelfall gute Möglichkeiten, einen maßvollen Verfahrensabschluss zu erreichen.
Darüber hinaus soll die Strafdrohung gegen Unternehmen stark angehoben werden. Der Entwurf sieht Geldstrafen in Höhe eines Jahresertrages bzw. in Höhe von bis zu 10 % des Jahresumsatzes vor. Maßgeblich ist der weltweite Umsatz eines Unternehmens. Eine Bewährungsstrafe soll möglich sein. Verurteilungen können auch öffentlich bekannt gemacht werden. Hier soll bewusst eine Prangerwirkung erzeugt werden, die dem deutschen Strafrecht bisher aus guten Gründen fremd ist. Schließlich droht auch der Ausschluss des Unternehmens von Subventionen und öffentlichen Aufträgen. Als letztes Mittel soll die Möglichkeit bestehen, einen Verband bzw. ein Unternehmen ganz aufzulösen.
Diese Maßnahmen knüpfen zum einen an ein strafbares Verhalten von Organen, Geschäftsführern oder leitenden Personen an. Es genügt aber zum anderen bereits das strafbare Verhalten irgendeines Mitarbeiters, sofern die im Unternehmen Verantwortlichen zumutbare Aufsichtsmaßnahmen unterlassen haben. Der Begriff der zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen ist noch völlig unbestimmt. Im heute geltenden § 130 OWiG ist lediglich von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen die Rede. Es liegt auf der Hand, dass das Zumutbare in der Regel weit über das Erforderliche hinausgeht. Erklärtes Ziel des Gesetzesentwurfes ist es, Anreize für die Schaffung eines möglichst umfangreichen Compliance Managements zu setzen. De facto wird die Exkulpation eines Unternehmens selbst bei bestehenden Compliance-Strukturen großen Schwierigkeiten begegnen. Der Wortsinn der Norm ist bislang einfach zu weit gefasst.
Auch prozessual sind weitreichende Änderungen vorgesehen. Die Verfahrensregeln der Strafprozessordnung wären vollumfänglich anwendbar. Dies könnte beispielsweise in manchen Fällen eine umfangreiche Telekommunikationsüberwachung des gesamten Unternehmens ermöglichen. Im Gegenzug sollen Unternehmen als Beschuldigte gelten und sich dementsprechend verteidigen können. Ob diese Vorstellung in der Praxis bestand haben kann, ist äußerst zweifelhaft. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass Unternehmen aufgrund des faktischen Drucks so gut wie immer mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Die Verteidigungsrechte sind demgegenüber nicht effektiv. Darüber hinaus wären die Unternehmen in einer Situation, in der sie ihre Unschuld beweisen müssten, indem sie darlegen, alle zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen ergriffen zu haben. Die Unschuldsvermutung würde de facto abgeschafft.
Die Einführung eines Unternehmensstrafrechts wäre deshalb ein dogmatischer Paradigmenwechsel und der Entwurf begegnet in der jetzigen Fassung tiefgreifenden Bedenken. Daher haben sich der Deutsche Anwaltsverein und der Bundesverband der Deutschen Industrie klar gegen den Entwurf positioniert. Der Bundesverband der Unternehmensjuristen hat einen eigenen Gesetzesentwurf entwickelt, nach dem die Sanktionierung von Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht verbleiben soll. Ob bzw. in welcher Form das Gesetzesvorhaben Bundesrat und Bundestag passieren wird, lässt sich gegenwärtig nicht sicher prognostizieren. Der Appell, welcher mit dem Entwurf an die Unternehmen gerichtet wird, sollte allerdings in keinem Fall verkannt werden. Unternehmen sollen effektiv dafür sorgen, dass Regelverstöße aus dem Unternehmen heraus verhindert werden oder die strafrechtlichen Konsequenzen tragen. Adressaten sind dabei nicht nur die multinationalen Konzerne. Zielsetzung des Gesetzgebers ist es, „insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Rahmenbedingungen darin zu bestärken, interne Kontrollsysteme sowie Ethik- und Compliance-Programme zu entwickeln“ (Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, S.4).
Zum Abschluss noch ein kleiner Hoffnungsschimmer, der gegen eine zeitnahe Verabschiedung des Gesetzesvorhabens spricht: Nach dem Entwurf sollen neben Unternehmen auch Vereine und politische Parteien der Strafbarkeit unterfallen. Die Parteien in Bundestag und Bundesrat müssten nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf also ihre eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit verabschieden. Erfahrungsgemäß wird ein solcher Prozess länger dauern. Als Beispiel dient hier die UN-Konvention gegen Korruption. Die Bundesrepublik hat das Übereinkommen am 9. Dezember 2003 unterzeichnet, es aber bis heute nicht ratifiziert. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft mit Staaten wie Syrien, Sudan und Nord Korea. Für eine Ratifizierung bedurfte es nämlich einer Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB). Ein entsprechender Gesetzesentwurf hat im Februar den Bundestag passiert, für die Verschärfung ihrer eigenen Strafbarkeit benötigten die Abgeordneten also lediglich etwas mehr als 10 Jahre. Begründet wurden die Verzögerungen häufig mit „erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken“. Dabei ist die Verschärfung der Abgeordnetenbestechung rechtsdogmatisch betrachtet eine Kleinigkeit im Vergleich zur Einführung eines echten Verbandsstrafrechts, dem auch die politischen Parteien unterworfen wären. Letzteres ist tatsächlich bedenklich, nicht nur aus verfassungsrechtlicher Sicht.