Vorsicht bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen: In Zeiten schlechter Mitgliederzahlen versuchen Gewerkschaften vermehrt, für ihre Mitglieder Vorteile in Tarifverträgen zu verankern. So zahlt die Arbeiterwohlfahrt gut 500 Euro jährliche Sonderzahlung nur an Verdimitglieder. Zudem erhalten die organisierten Mitarbeiter 2 Tage mehr Urlaub (die sogenannten Verditage).
Die AWO ist aber bei weitem nicht das einzige Beispiel, bei dem eine Gewerkschaft seine Mitglieder durch sog. Differenzierungsklauseln besserstellt. Nur die TRANSNET-Mitglieder erhalten beispielsweise bei der Deutschen Bahn Zuschüsse für Weiterbildung. Den Mitgliedern der NGG darf Coca-Cola nicht betriebsbedingt kündigen. Der IG Metall-Bezirk NRW hat schon 2004 erklärt, möglichst keine Tarifverträge mehr ohne „Mitglieder-Bonus“ abschließen zu wollen. Das BAG hält diese „einfachen“ Differenzierungsklauseln durchaus für zulässig. Es zeichnen sich aber Grenzen ab:
Eine Maschinenbaufirma aus Porta Westfalica schlitterte 2009 in die Krise. Die IG – Metall schloss mit dem Unternehmen einen Firmentarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Auf Grundlage dieses Tarifvertrages verzichteten alle Mitarbeiter im Jahr 2009 auf rund einen Monatslohn. Im Gegenzug durfte das Unternehmen einen wesentlichen Personalabbau in den folgenden 2 Jahren nur noch mit Zustimmung der Gewerkschaft durchführen.
Dieses Opfer rettete die Arbeitsplätze nicht. Das Unternehmen sah sich schon Ende 2009 veranlasst, die Beschäftigtenzahl am Standort Porta-Westfalica zu halbieren. Der Betriebsrat vereinbarte einen Interessenausgleich mit Namensliste. Der ebenfalls abgeschlossene Sozialplan regelte die Abfindung und den möglichen Wechsel der betroffenen Mitarbeiter in eine Transfergesellschaft. Schließlich vereinbarte das Unternehmen mit der IG-Metall einen Sozialtarifvertrag. Mit diesem Sozialtarifvertrag verschaffte die Gewerkschaft ihren Mitgliedern zusätzliche wirtschaftliche Vorteile i.H.v. annähernd 3 Bruttomonatslöhnen. Im Gegenzug erteilte die IG-Metall die für den Personalabbau erforderliche Zustimmung.
Dem LAG Hamm war das (deutlich) zu viel. Es hielt die zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder vereinbarten Boni aufgrund ihrer Höhe zum ganz überwiegenden Teil für unzulässig. Zwar seien einfache Differenzierungsklauseln nicht zu beanstanden. In der konkreten Ausgestaltung stellten sie nach Ansicht des LAG aber einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der nicht organisierten Mitarbeiter dar. Die Koalitionsfreiheit umfasse eben auch das Recht des Einzelnen einer Gewerkschaft fernzubleiben. Das Grundrecht schütze davor, dass ein Beitrittszwang auf die nicht Organisierten ausgeübt werde. Die Grenze liege dort, wo die Nachteile der Nichtorganisierten so groß würden, dass ein Nichtbeitritt zur Gewerkschaft keine vernünftige Entscheidung mehr wäre.
Diese Grenze war für das LAG Hamm bei einem Vorteil von fast 3 Bruttomonatsentgelten überschritten.
Das LAG verurteilte das Unternehmen zur Zahlung auch an nichtorganisierte Mitarbeiter (LAG Hamm Urt. vom 12.06.12).
Das LAG München sieht die Rechtslage anders. Nokia Siemens schloss Anfang 2012 den Münchener Betrieb. Gemeinsam kämpften alle Mitarbeiter um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Die IG-Metall verhandelte hier für ihre Mitglieder bis zu 10.000 Euro mehr Abfindung und 10 % höhere Leistungen in der Transfergesellschaft.
Auch dort klagten die nicht organisierten Mitglieder gegen das Unternehmen. Das LAG München hatte gegen die Vorgehensweise der Gewerkschaft keine Bedenken und wies die Klagen ab (LAG München Urt. vom 16.10.13. Der NDR berichtete über beide Verfahren in der Panoramasendung vom 14.02.13).
Beide Verfahren sind noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG entscheidet.
Bis dahin ist unbedingt Vorsicht bei der Vereinbarung von Extrawürsten für Gewerkschaftsmitgliedern geboten.