Nachhaltige Textilien auf Bestellung sind das Produkt von fast52: ein idealer Anknüpfungspunkt für das interdisziplinäre Team von InCamS@BI, um die Produktion des Textilherstellers punktuell noch nachhaltiger zu machen. (Foto: P. Pollmeier/HSBI)
Nachhaltige Textilien auf Bestellung sind das Produkt von fast52: ein idealer Anknüpfungspunkt für das interdisziplinäre Team von InCamS@BI, um die Produktion des Textilherstellers punktuell noch nachhaltiger zu machen. (Foto: P. Pollmeier/HSBI)

Textilindustrie geht nachhaltig – das beweisen das HSBI-Transferprojekt InCamS@BI und die fast52 GmbH aus Bielefeld

Bielefeld – Ein interdisziplinäres Team der HSBI war beim lokalen Textilhersteller fast52 zu Besuch und hat zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Zusammenarbeit gefunden. Das Unternehmen arbeitet bereits nachhaltig: Es stellt Kleidung on demand her, spart Ressourcen ein und produziert fair. Trotzdem will fast52 noch nachhaltiger werden – mit Unterstützung des Projekts InCamS@BI.

Die Wände sind mit ausgedruckten Designentwürfen von Trikots, Jacken und Hosen verziert, auf einer Kleiderstange hängen Outdoorjacken, Mäntel und Langarmshirts in bunten Farben, Mitarbeitende sitzen am Bildschirm und bearbeiten u.a. 3-D-Visualisierungen. Mittendrin: Technologiescouts und Forschende aus dem Projekt InCamS@BI. Der Innovation Campus for Sustainable Solutions, wie InCamS@BI ausgeschrieben heißt, ist ein Transferprojekt von Hochschule Bielefeld (HSBI) und Universität Bielefeld. Die interdisziplinäre Gruppe bekommt heute einen Einblick in die Produktion des Textilunternehmens fast52 aus Bielefeld-Sennestadt.

Was das Unternehmen für InCamS@BI so spannend macht? Die Textilien bestehen hauptsächlich aus nachhaltig hergestellten Materialien, die zum Beispiel aus PET-Flaschen erzeugt werden, und werden ausschließlich on demand – nah am Bedarf von Handel und User produziert. Und dennoch möchte fast52 noch nachhaltiger werden. Am Ende des Besuchstages haben sich zwei Ansatzpunkte herauskristallisiert, an denen mit den Forschenden der HSBI weitergearbeitet wird: Den wirtschaftspsychologischen Ansatz begleitet Doktorandin Eliza Starke. Der andere Ansatz betrifft die mögliche Wiederverwertung der textilen Kunststoffe – Chemiker Dr. Matthias Pieper nimmt an diesem Tag schon die ersten Stoffproben mit in die Hochschule.

Globale Herausforderungen der Textilindustrie – und wie man sie bewältigt
Aber der Reihe nach: Die globale Textilindustrie hat mit vielen Herausforderungen zu kämpfen: Konsumentinnen und Konsumenten erwarten heute eine enorme Variantenvielfalt: Fast alles muss in diversen Größen und Farben bereitgehalten werden. Wer im Wettbewerb bestehen will, muss zudem am besten jede Woche neue Ware anbieten. Eine Sommer- und eine Winterkollektion – das war gestern. Damit nicht genug: Der Wettbewerb ist hart, die Preissensibilität der Verbraucher insbesondere in den entwickelten Märkten extrem. Deswegen werden zahlreiche Produkte nach wie vor in Ländern mit niedrigen Arbeitskosten produziert und müssen dann über große Distanzen in ihre Zielmärkte transportiert werden. Welche Produkte am Ende zum Verkaufsrenner werden und welche verramscht oder gar vernichtet werden müssen – das ist die Wette, auf die sich das Management der großen Textilunternehmen unter den aktuellen Gegebenheiten immer wieder einlässt. Ausgeklügelte Marketing-, Vertriebs- und Logistiksysteme sollen helfen, das Geschäft dennoch planbar zu halten. All das jedoch ist oft wenig nachhaltig, denn es begünstigt den Einsatz von Materialien, die die Umwelt belasten, und führt nicht selten zu einer Verschwendung von Rohstoffen und Energie.

Ralf Kelber kennt diese Probleme. Der geschäftsführende Gesellschafter von fast 52 ist ein „alter Hase“ in der Textilbranche und hat sich mit seinem 2016 gegründeten Startup für einen anderen Weg entschieden: „Wir produzieren aktuell schwerpunktmäßig Sport-, Freizeit- und Corporatekleidung, aber wir stellen nur das her, was auch tatsächlich bestellt und verkauft ist. Der Handel plant bei Aufträgen und Warenbeständen mit maximal zwei, drei Wochen Vorlauf und nicht mit den sechs bis neun Monaten, die die großen Textilhersteller brauchen, die in Übersee produzieren.“ On demand nennt man das. Und damit die Kunden ihre Ware zeitnah bekommen, produziert fast52 ausschließlich regional. Kelber: „Uns schwebte ein einfaches, skalierbares System vor, das ökonomisch wettbewerbsfähige Produkte durch gute Qualität und eine Minimierung der Verschwendung erzielt.“

fast52: Recycelte Rohmaterialien, keine Abwässer, faire Arbeitsbedingungen
Dass fast52 damit per se schon mal ziemlich nachhaltig am Markt aktiv war, stand für das Management zunächst gar nicht im Zentrum. „Es wurde aber ein zunehmend wichtiges Verkaufsargument“, erklärt Kelber, „zumal wir in der Produktion recycelte und recycelbare Materialien einsetzen und mit einer Technologie arbeiten, bei der keine Abwässer anfallen. Unsere Ausgangsmaterialien sind Polyester oder Polyestermischmaterialien, die in einem sogenannten Sublimationsdruckverfahren bedruckt und vor Ort unter gesunden und fairen Arbeitsbedingungen vollstufig gefertigt werden.“

An diesem Punkt möchte fast52 aber, wie erwähnt, nicht stehenbleiben. Kelber hat deswegen das Team von InCamS@BI eingeladen, um von außen auf potenzielle Herausforderungen und mögliche „Stellhebel“ zu schauen, die fast52 noch nachhaltiger machen können. Das passt gut, denn im Fokus des Hochschulprojekts stehen insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe (OWL), die Kunststoffe herstellen, verarbeiten oder nutzen. InCamS@BI, das im Rahmen der Bund-Länder Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert wird, hat Personal, Zeit und entsprechende Ausstattung, um Probleme der Marktteilnehmer zu erfassen, zu analysieren und Lösungsideen zu entwickeln. Zum ersten Besuch kommen deswegen ganz verschiedene HSBI-Expertinnen und -Experten zu fast52, darunter Forschende aus der Kunststofftechnik, der Werkstoffprüfung, der Zirkulären Wertschöpfung, der Wirtschaftspsychologie, dem Wirtschaftsrecht und dem Innovationsmanagement. 

Die Vorschriften der EU werden deutlich strenger werden
Kristin Maoro, Referentin für Wirtschaftsrecht bei InCamS@BI, schätzt die Situation für ihr Fachgebiet so ein: „Im Kampf um Klimaneutralität gelten nur für einen begrenzten Teil der in der EU vermarkteten Produkte Mindestanforderungen. Aber: Unter anderem durch die neue EU-Ökodesign-Verordnung, die die derzeit geltende EU-Ökodesign-Richtlinie ablösen soll, wird der Regelungsbereich künftig erheblich erweitert. Dann werden auch Textilien strengeren Anforderungen an nachhaltige Produktion, Haltbarkeit und Kreislauffähigkeit unterliegen. Ähnliche Konsequenzen wird die Verabschiedung der sich im Gesetzgebungsprozess befindlichen EU-Lieferkettenrichtlinie haben. fast52 ist mit der nachhaltigen und fairen Produktion der Textilien Vorreiter und bereits weiter als es die Gesetze aktuell vorsehen.“

Aber vielleicht können andere Disziplinen weiterhelfen, fast52 noch nachhaltiger zu machen? Im Eingangsbereich des neuen Firmenstandortes im Stadtteil Sennestadt ist das fast52-Angebot ausgestellt: individuelle Bekleidung und Serienartikel für Sport und Outdoor, Corporate- sowie Home-and-Living-Produkte. Kundinnen und Kunden können die Artikel beim Händler bestellen. Dieser hält einen deutlich reduzierten Warenbestand vor, nutzt ein Onlinetool, um den bedarfsorientierten Auftrag an fast52 weiterzuleiten. Wenn eine Handballmannschaft also 17 Trikotsätze bestellt, werden diese zunächst designt – individuell, in den Vereinsfarben, mit Namen, Nummern und allem, was dazugehört – und dann in der bestellten Anzahl produziert. Dabei kommt ein das spezielle Sublimationsdruckverfahren zum Einsatz …

Weltweit wird heute nur ein Prozent ausgedienter Textilien wieder als Textilien verwertet
Beim Gang durch die verschiedenen Räume will die Hochschulgruppe zunächst diesen Herstellungsprozess nachvollziehen, um so vielleicht auf gute Ideen für noch mehr Nachhaltigkeit bei fast52 zu kommen: Im Designcenter werden die Produkte in 3-D visualisiert, sodass die Kunden sich ihr Produkt ansehen und es zur Produktion freigeben können. Um sowohl das für das Druckverfahren benötigte Papier als auch den Stoff möglichst effizient zu nutzen, werden die einzelnen Schnittmusterteile so bedruckt, dass am Schluss möglichst wenig Verschnitt übrigbleibt. Für die erwähnten 17 Trikots und Hosen werden ungefähr 30 Meter des Papiers gebraucht. Von der Konsistenz her erinnert es ein bisschen an Backpapier. Nun wird es auf großen Plottern mit der jeweiligen Grundfarbe und den Designelementen bedruckt. Die Druckfahnen wiederum werden weitergeleitet an Maschinen, die im nächsten Raum arbeiten und Kalander heißen. Sie dampfen die wasserbasierte Tinte in nur 40 Sekunden vom Papier auf den Stoff. Je nach Kleidungsstück handelt es sich dabei beispielsweise um einfaches Polyester, wie bei einem Trikot, oder auch um einen dreilagigen Stoff für eine Winterjacke. Ein Laser- oder Messercutter schneidet anschließend die einzelnen Teile aus: Ärmel, Krägen, Oberteile. Und dann muss alles „nur noch“ zusammengenäht werden.

Vorher noch wird allerdings der Verschnitt sortenrein getrennt. Ein Teil der Stoffe wird ausgefasert und als Füllmaterial für Kissen und Jacken verwendet. Was übrig bleibt, wird zurzeit nur gelagert. Noch weiß niemand bei fast52, wie man diese Reste sinnvoll nutzen kann. Denn: Wenn es sich um 100 Prozent Polyester oder Polyamid handelt, kann der Stoff zwar recycelt werden – aber nur, wenn er weiß und nicht gefärbt oder bedruckt ist. Eine traurige Zahl: Laut der Europäischen Kommission wird Schätzungen zufolge weltweit weniger als ein Prozent aller Textilien zu neuen Textilien recycelt.

Der Traum vom Pfandsystem für Textilien
An dieser Stelle jedoch kommen Technologiescout und Chemiker Dr. Matthias Pieper und seine Kollegen Prof. Dr. Bruno Hüsgen und Prof. Dr. Christoph Jaroschek aus der InCamS@BI-Forschungsgruppe Kunststofftechnik und Werkstoffprüfung ins Spiel. Pieper: „Ich sehe bei fast52 Anknüpfungspunkte in den Bereichen Recycling sowie Druckfarben und deren Entfernung. Um das Material kreislauffähig zu gestalten, ist es wichtig, Textilreste und Rückläufer zu recyceln. Dabei müssen verschiedene Fragen beachtet werden: Wie kann das Polymer entfärbt werden? Gibt es bei den Farbstoffen Alternativen, die eine kreislauffähige Handhabung vereinfachen? Welches Recyclingverfahren ist das geeignetste? Wir wollen Antworten auf diese Fragen finden, indem wir die von fast52 verwendeten Stoffe und Farben untersuchen und die Eignung der verschiedenen möglichen Recyclingverfahren für dieses spezielle Problem betrachten.“

Bei fast52 denkt man auch über ein Pfandsystem für Textilien nach. Ralf Kelber fragt sich: „Wie können wir nicht mehr reparierbare Kleidungsstücke zurücknehmen? Was passiert mit Einzelteilen aus Kunststoff wie Reißverschlüssen, Schnallen und Knöpfen?“ Womöglich lassen sich diese wieder zu Granulat verarbeiten und in Spritzgießmaschinen neu zusammenfügen. Noch eine Idee, an der InCamS@BI arbeiten kann.

Rohstoffe, Lebensdauer, CO2-Verbrauch – Nachhaltigkeitsbewertungen sind ein komplexes Unterfangen
Weiter geht es in die Nähhalle: Es pfeift und zischt, man hört die rund 15 von 50 Nähmaschinen tickern. Hier werden die Zuschnitte zusammengenäht, die Produkte auf Qualität überprüft und anschließend verpackt. Die Gruppe ist am Ende des Rundgangs. Katharina Schnatmann, Technologiescout der Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung, hat direkt ein paar Ideen aus ihrem Fachgebiet: „Ich sehe hier Anknüpfungspunkte im Ansatz der Lebensdauerverlängerung der Textilen als Alternative zum Recycling. Hierzu müssten zunächst die Qualität und die Eigenschaften der zurückführbaren Kleidung geprüft werden. Darüber hinaus ist die Bewertung der Ausgangssituation auf Grundlage einer CO2- Bilanzierung wichtig, um Verbesserungspotenziale abzuleiten und Lösungen, wie beispielsweise ein Energiekonzept, zu erarbeiten.“

Neben Schnatmann steht Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp, Mentorin der InCamS@BI-Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung und Leiterin des Instituts für Technische Energie-Systeme (ITES) an der HSBI. Auch sie zieht nach dem Besuch ein positives Fazit: „fast52 ist in Bezug auf die lokale Wertschöpfungskette, besonders im Branchenvergleich, schon heute nachhaltig aufgestellt. Eine Nachhaltigkeitsbewertung auf Grundlage der Materialien und der Produktionsprozesse ist aus unserer Sicht jedoch aktuell schwierig und bedarf einer genaueren Analyse. Das Unternehmen besitzt aber viel Potential für die Umsetzung von weiteren Optimierungen.“

Bewusstsein schärfen für nachhaltiges Kaufverhalten – das Feld der Wirtschaftspsychologin
Auch aus wirtschaftspsychologischer Sicht war der Termin spannend: Eliza Starke, die als Referentin in der Forschungsgruppe Wirtschaftspsychologie forscht, sieht zahlreiche Ansatzpunkte: „fast52 ist ein Unternehmen, das bereits in seiner Vision die Nachhaltigkeit im Produktlebenszyklus verankert hat. Neben der Produktentwicklung hin zur zirkulären Wertschöpfung ist es von entscheidender Bedeutung, das Augenmerk der Kundinnen und Kunden auf die Nachhaltigkeit von fast52 zu lenken. Gezielte Marketingmaßnahmen können dabei helfen, das Entscheidungsverhalten der Zielgruppen nachhaltiger zu gestalten und sich als fast52 gleichzeitig klar abzugrenzen von Unternehmen, die Greenwashing praktizieren. Aus wirtschaftspsychologischer Perspektive lässt sich beispielsweise untersuchen, welche Werbebotschaft am effektivsten ist, um das Verbraucherverhalten in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken.“ Das passt zu den Gedanken von Ralf Kelber. Er möchte wissen, wie fast52 die Markenkommunikation aufstellen müsste, um das Bewusstsein von Kundinnen und Kunden für Nachhaltigkeit zu schärfen und diese dann auch zur Rückgabe alter Produkte zu motivieren.

Herausforderung für den InCamS@BI-Chemiker: Wie können Farbe und Stoff getrennt werden?
Was bei diesem ersten Treffen zwischen InCamS@BI und fast52 erörtert wurde, muss jetzt natürlich noch auf Praxistauglichkeit hin abgeklopft werden. Den Anfang machen hier Starke und Pieper. Die Wirtschaftspsychologin legt ihren Fokus in den kommenden Wochen auf die Entwicklung einer passenden Markenkommunikation. Der Chemiker wird sich mit der Trennung von Farbe und Textil beschäftigen, damit am Ende aus Verschnitt und zurückgegebenen alten Textilien wieder Rohstoff für neu zu produzierende Ware entstehen kann.

Geschäftsführer Ralf Kelber geht mit den Wissenschaftlern noch einmal in die Halle und übergibt Matthias Pieper Schnittreste aus der Produktion – verpackt in das Papier, das für den Sublimationsdruck genutzt wurde. Pieper: „Ich gehe jetzt erst einmal in die Literaturrecherche und in die genaue Analyse der Proben. Unter anderem kann ich mir vorstellen, verschiedene Lösungsmittel auszuprobieren, die in einem geschlossenen Kreislauf arbeiten, also immer wiederverwendet werden können. Am Ende sollte ein Verfahren stehen, dass Farbe und Textil trennt, ohne die Umwelt zu belasten.“ So könnte es für fast52 weitergehen Richtung Nachhaltigkeit.

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WIR Redaktion

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