Das HANSE-Berufskolleg in Lemgo bekam internationalen Besuch aus England, Griechenland und Spanien. Gemeinsam mit ihren deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern machten sich die Gäste auf eine spannende interkulturelle Reise im ostwestfälischen Umland bis hin zum römisch-germanischen Erinnerungsraum in Xanten – einige Funde haben sie besonders begeistert: gemeinsame Traditionen, Wurzeln und Zukunftsperspektiven.
Ende November besuchten insgesamt 17 Schülerinnen und Schüler aus England, Griechenland und Spanien, begleitet von jeweils zwei Lehrkräften, ihre deutschen Kooperationspartner im Rahmen des EU-geförderten Austauschprojektes „EUROPE – knowing the past, living in the present and creating the future“. Der spannenden Woche sind bereits zahlreiche Unterrichtsstunden vorausgegangen, in welchen Schülerinnen und Schüler des Wirtschaftsgymnasiums und der Höheren Handelsschule im Sinne eines interkulturellen Austausches auf Englisch Informationen über die einzelnen Programmpunkte zusammengetragen und in Präsentationen aufgearbeitet haben. Vor unter anderem englischen Gästen in deren Landessprache zu sprechen, weckte in so mancher Schülerin und manchem Schüler eine enorm produktive Nervosität. „Wenn die Gäste schon so weite Wege auf sich nehmen, soll auch alles stimmen“, erklärte eine Schülerin, während sie ihre inhaltlichen um letzte lautsprachliche Notizen ergänzte.
„Wir als Schule sind stolz darauf, in diesem Jahr sogar zwei Europa-Projekte bewilligt bekommen zu haben. Es sind tolle Gelegenheiten, an denen unsere Schülerinnen und Schüler neue Menschen und Kulturen kennenlernen können. Es ist dieser Austausch, der zu einem engeren europäischen Miteinander der kommenden Generationen beitragen wird“, freut sich die Schulleiterin des HANSE-Berufskollegs Susanne Tietje-Groß.
In der Tat gestaltete sich das mit Spannung erwartete erste Aufeinandertreffen zwischen den jugendlichen Gästen und Gastebern äußerst herzlich. Nach einem ersten Kennenlern-Bingo erkannten die Schülerinnen und Schüler erste überregionale Gemeinsamkeiten in der Freizeitgestaltung, dem Modegeschmack oder anderen Interessensbereichen. Die anfängliche Anspannung war verflogen und von Tag zu Tag traten die einzelnen Ländergruppen mehr und mehr zusammen.
Der erste Tag stand dabei ganz im Zeichen Lemgos. Die Schülerinnen und Schüler wuchsen sprachlich trotz ungewohntem Publikum während ihrer Präsentationen über sich hinaus und stellten sowohl ihre Schulen, als auch ihre Heimatstadt Lemgo vor. Es ist vor allem die Vielseitigkeit Lemgos, mit denen die Schülerinnen und Schüler des HANSE-Berufskollegs die internationalen Gäste inhaltlich begeisterten. Zugleich erhielten die Gastgeber einen ersten interessanten Eindruck von den Orten, die sie wiederum ihrerseits als Gäste in den einzelnen Partnerländern besuchen werden. „Es ist für die junge Generation wichtig, internationale Kontakte zu knüpfen und die vermeintliche Andersartigkeit als Chance und Stärke eines geeinten Europas zu erkennen“, schilderte der stellvertretende Schulleiter Bernd Wolter im Rahmen seiner Willkommensrede. Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihren internationalen Gästen einen ersten theoretischen Einblick in Lemgo präsentierten, wurde dieses Wissen direkt in die Praxis überführt, indem sich die große Projektgruppe mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf den Weg in die Lemgoer Altstadt begab. Durch das Fachwerk der Mittelstraße, die imponierende Architektur St. Nicolais oder auch die erschreckende Geschichte des Hexenbürgermeisterhauses trotzte die europäische Gruppe auch dem stärker werdenden Herbstregen – doch gerade dieser trug ebenso dazu bei, dass die Gäste in voller Authentizität das Wohlgefühl eines herbstlichen Heißgetränkes in dem Café Vielfalt erfahren konnten.
Am folgenden Tag fuhr die Gruppe nach Xanten, um dort die kulturelle Annäherung durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen anhand der römisch-germanischen Siedlungsgeschichte kennenzulernen. Bereits auf der Fahrt vertiefte sich der Eindruck von Seiten der Schülerinnen und Schüler, dass trotz unterschiedlicher Landessprachen und Herkunft so etwas wie eine pan-europäische Verbindung besteht. Woran sollte man dies besser erkennen, als an dem gemeinsamen Musikgeschmack während der Busfahrt von Lemgo nach Xanten? An dem Ziel angekommen, erhielten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich anfangs frei über das malerische Gelände des archäologischen Parks zu bewegen, der exakt den Ausmaßen der antiken römischen Siedlung entsprach. Auf vermeintlich römischem Hoheitsgebiet auch germanische Kultureinflüsse wiederzufinden, überraschte und regte direkt zur Diskussion über heutige Kultur- und Landesgrenzen an.
Der Donnerstag begann mit einem spannenden Erfahrungsaustausch am HANSE-Berufskolleg. Auch die internationalen Gäste haben in den letzten Jahren die Rolle der Bundesrepublik im Rahmen der Migrationsbewegungen in den Medien verfolgt. Aus diesem Anlass haben sich die koordinierenden Lehrkräfte dafür entschieden, einen offenen Gesprächstisch mit Schülerinnen und Schülern, die eine Fluchterfahrung auf ihrem Weg nach Deutschland machen mussten, ins Leben zu rufen. „Wie man bei all dem Leid, das viele der Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg nach Europa bzw. Deutschland erfahren mussten, immer noch so lebensfroh und freundlich bleiben kann, ist einfach phänomenal“, trägt ein Schüler dem fast 1 ½ -stündigen Austausch Rechnung.
Nach dieser eindrücklichen Erfahrung besuchte die internationale Gruppe am letzten Exkursionstag schließlich zwei wichtige Säulen der ostwestfälischen Erinnerungskultur: Das Hermannsdenkmal und die Externsteine. Trotz widriger Witterungsverhältnisse war die Silhouette von Arminius gut und zugleich für die internationalen Gäste begeisternd erkennbar. Dass die martialisch-nationalistische Statue zur Überraschung aller (selbst der lippischen) Schüler*innen nicht etwa nach Rom, sondern im verqueren Geiste der sogenannten „Erbfeindschaft“ nach Frankreich blickte, bot den kopfschüttelnden Jugendlichen eine tolle Gelegenheit, um auch über heutige anti-europäische Tendenzen mitsamt ihren Konsequenzen zu diskutieren. „Es ist traurig, dass viele Leute selbst heute nicht aus der Geschichte lernen und immer wieder dieselben Fehler machen“, so eine Schülerin betroffen. Der Weg führte die Reisegruppe ferner zu den Externsteinen, die sich für die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg durch den örtlichen Wald völlig unerwartet in der Natur präsentierten. Dass scheinbar bereits früher eine starke Faszination von den Externsteinen ausging und dabei sowohl von Mönchen des Mittelalters spirituell aufgeladen wie auch rasseideologisch von den Nationalsozialisten missbraucht wurde, konnte an dem Naturdenkmal von den Schülerinnen und Schülern hervorragend herausgearbeitet werden.
Erneut in Lemgo angekommen, schloss sich am Abend das sogenannte Abschlussdinner in einem örtlichen Restaurant an. Hier hatten Schülerinnen und Schüler wie auch Kolleginnen und Kollegen noch einmal die Gelegenheit, sich über das Erlebte, aber auch im privaten Kreis unterhalten zu können. Dass das vor allem die Schülerinnen und Schüler intensiv nutzten und sich dabei über etwaige Sprachbarrieren völlig frei hinwegbewegt wurde, unterstrich erneut den großen Wert und zugleich die große Bedeutung eines solchen internationalen Projekts. Wo sich schließlich Kolleginnen und Kollegen mit Handschlag voneinander verabschiedeten, tauschten die Schülerinnen und Schüler Instagram-Profile aus – so hat schließlich jede Generation ihre ganz eigene Art, dem Gegenüber eine gute Heimreise zu wünschen und die Vorfreude auf die nächsten Treffen in Spanien, Griechenland und England über alle Ländergrenzen hinweg aufrecht zu erhalten.