Ausstellung KI und Fotografie bei den „Nachtansichten“ im Bielefelder WDR-Studio: (v.l.) Die ausstellenden Studierenden und Absolvent:innen Emil Dietrich, Vanessa Fengler und Jon Grote mit Ausstellungskurator Prof. Adrian Sauer (Foto: HSBI)
Ausstellung KI und Fotografie bei den „Nachtansichten“ im Bielefelder WDR-Studio: (v.l.) Die ausstellenden Studierenden und Absolvent:innen Emil Dietrich, Vanessa Fengler und Jon Grote mit Ausstellungskurator Prof. Adrian Sauer (Foto: HSBI)

Ausstellung KI und Fotografie bei den „Nachtansichten“:

Im WDR-Studio Bielefeld stellen HSBI-Studierende und Absolvent:innen ihre Arbeiten vor

Bielefeld – Wer an KI und Fotografie denkt, der verbindet damit in der Regel einen brillanten Farbenrausch, strahlende hybride Welten, fantastische Mischwesen oder verrückt morphende Motive. Die Ausstellung „Schön und wahr?“ im Bielefelder Studio des WDR im Rahmen der diesjährigen „Nachtansichten“ bricht mit diesen Erwartungen. „Stattdessen können die Besucher quasi einen Blick in den Maschinenraum der KI-gesteuerten Bildgenerierung werfen“, sagt Adrian Sauer, der die Schau kuratiert hat.

Sauer ist seit 2023 Professor für Fotografie und generative Bildsysteme an der HSBI – und ein Fotokünstler, der sich vor allem für die technischen Hintergründe und die kritische Reflexion der Entstehung von Bildern interessiert. KI bildet das nächste Level der Auseinandersetzung – für den Professor wie für die Studierenden. „Für die Ausstellung im WDR-Studio habe ich dazu fünf künstlerische Positionen zusammengestellt, vertreten von Studierenden und Absolvent:innen aus dem Fachbereich Gestaltung der HSBI“, sagt Sauer. „Wir haben die Inhalte gemeinsam mit dem WDR-Team diskutiert. Medienschaffende sind ja durch KI auch verunsichert – zurecht, denn sie stehen vor einem Zeitenwandel. Zu sehen, wie der akademische Nachwuchs sich dem stellt, erweist sich hier bestimmt als erkenntnisreich.“

Aus 2D wird 3D – und wie sieht es eigentlich aus, wenn die KI noch „nachdenkt“?
Zum Beispiel Emil Dietrich. Der Fashion- und Beauty-Fotograf präsentiert in der Ausstellung Teile seiner Bachelorarbeit „Interdependence“. Seine Modeaufnahmen verwandelt er dabei mithilfe der Rendering-Technik „3D-Gaussian Splatting“ in dynamische Szenen, bei denen die Kamera um die Models herumzukurven scheint. Deren hyperurbanes Styling, getoppt von provokanter Garderobe aus dem Hause Balenciaga, gerät in sinnfälligen Bezug zu den Hintergründen: ikonische Locations des Arm-aber-sexy-Berlins wie Bahnhof Zoo, die Plattenbauten Marzahns oder das Tempelhofer Feld. Eine satirische Umarmung des Hauptstadt-Styles mit all seinen (Schmuddel-)Ecken, Kanten und Fransen.

Auch Jon Grote, HSBI-Master-Student und mittlerweile -Dozent, unternimmt eine kalkulierte Understatement-Übung. Er arbeitet mit Stable Diffusion, dem vielgenutzten Deep-Learning-Text-zu-Bild-Generator, dem man witzige schriftliche Aufgaben stellen kann wie: „Foto eines Meerschweinchens, das unter Wasser Tee trinkt“ – und dann bekommt man tatsächlich genau dieses Bild. Grote interessiert sich jedoch nicht für die zweifellos erstaunlichen Endergebnisse von Prompts, sondern für die Zwischenstände. In diesen Bildwelten möchte man gerne schon etwas erkennen, aber es gelingt nicht. denn die KI rechnet noch. Wie abstrakte Gemälde sehen diese Prints aus, die genau einen Moment der Bildgenerierung festhalten. Das Programm scheint im Trüben zu fischen – für den Betrachter ist es ein Verwirrspiel. „Das sind Einblicke in die Funktionsweise von KI, die man als normaler Nutzer dieser Open-Source-Software nicht bekommt“, erläutert Adrian Sauer. „Die KI beginnt immer mit einem grauen Rauschen, ohne Information, und nähert sich dann Schritt für Schritt der Aufgabenlösung weiter an – bis sie glaubt, etwas Passendes zu erkennen. Genau das zeigt Grote – und erschafft daraus etwas ganz Eigenes.“

Ein Prompt von 1971 – und ein Videospiel-Abenteuer in der Bielefelder Innenstadt
Um eine kunsthistorische Einordnung bemüht sich der Studierende Marvin Krullmann, der sich mit dem Erfinder der Generativen Fotografie, Gottfried Jäger, beschäftigt hat. Jäger erlernte in den 50er Jahren in Bielefeld das Fotografiehandwerk und wurde 1972 Professor für Fotografie/Film an der damaligen Fachhochschule Bielefeld mit den Lehrgebieten Künstlerische Grundlagen der Fotografie, Fotografik und Generative Bildsysteme. Krullmanns Bezugspunkt ist Jägers serielle Arbeit „Arndtstraße“ von 1971. Die funktionierte nämlich schon damals als Prompt: „Stelle dich an jede Häuserecke der Arndtstraße und mache jeweils ein Foto des diagonal gegenüberliegenden Eckhauses!“ Marvin Krullmann hat diesen Ansatz auf die Generative KI übertragen. In der Ausstellung können die Besucher nun wie in einem Videospiel die Arndtstraße ablaufen. Doch etwas ist faul in der Bielefelder Innenstadt: Bei jedem Schritt verändert sich das Bild vollständig. Denn Krullmann hat für die imaginierte Stadtansicht sämtliche Google-Street-View-Daten von Bielefeld herunterladen und seine eigene KI darauf trainiert. Was ist echt? Was ist generiert? Das bleibt faszinierend offen bei diesem Spaziergang durch lediglich scheinbar bekanntes Terrain.

Modeln in Landschaften à la Böckstiegel – und Filter aufs Bild legen, bis es kracht
Auch die Fotografin und HSBI-Absolventin Vanessa Fengler ist auf den Spuren berühmter Vorgänger gewandelt. Sie hat sich mit Werk von Vincent Böckstiegel auseinandergesetzt, der dieses Jahr 100 geworden wäre. Der Sohn des Künstlers Peter August Böckstiegel hat sowohl Mode- als auch Landschaftsaufnahmen hinterlassen. Fengler nutzt letztere, um spekulative KI-Landschaften als Hintergründe für ihre eigenen Modefotografien zu generieren.

Bachelor-Absolvent Lukas Stolle schließlich dreht an digitalen Filtern – und ist damit in der Ausstellung am nächsten dran an der Lebensrealität so vieler Menschen, die ihre Handyfotos stets schöner machen wollen als sie live ausgegeben werden. Was aber passiert, wenn man den praktischen Beauty-Filter doppelt angewendet, dreimal, viermal, 19-mal …?

Wo bleibt die Intelligenz von KI – und befriedigt uns das wirklich?
Adrian Sauer ermuntert dazu, sich von der Brillanz KI-generierter Fotografie nicht überwältigen zu lassen: „Ganz viele KI-Produkte, die wir heute benutzen, sind nach wie vor Statistik mit sehr viel Rechenleistung. Von etwas, das man intelligent nennen kann, sind wir dagegen noch ziemlich weit entfernt.“ Die Programme hätten einen beeindruckenden Stand erreicht im Hinblick auf das, was Automatisierung leisten kann. „Man kann sich heute vieler Standardaufgaben entledigen, die Ergebnisse haben eine überraschende Qualität und großen Detailreichtum. Wir haben verstanden, was möglich ist. Aber ist es das, was wir uns wirklich wünschen? Unser Bedürfnis nach menschlicher Kommunikation befriedigt KI jedenfalls noch nicht.“

Auf einen Blick:

Schön und wahr? Fotografie und KI – Ausstellung mit Arbeiten aus der HSBI

Bilder, Animationen, Fotografien, Videos und ein Computerspiel von Vanessa Fengler, Emil Dietrich, Jon Grote, Marvin Krullmann und Lukas Stolle. Die Künstler:innen sind an dem Abend anwesend und führen selbst durch die Ausstellung. Es gibt Wasser, Wein und Snacks.

26. April 2025, 18 bis 24 Uhr
WDR | Studio Bielefeld
Lortzingstr. 4, 33604 Bielefeld

Veröffentlicht von

WIR Redaktion

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