Bielefeld – Die Technische Prüf- und Überwachungsgesellschaft (TPÜ) aus Paderborn betreut für acht Monate einen Praktikanten aus Edmonton in Kanada. Vermittelt wurde das Praktikum von der HSBI im Rahmen des Alberta-OWL Konsortiums. Nicht nur Praktikant Neil Fider profitiert von dem internationalen Austauschprogramm, sondern auch Studierende der HSBI, die im Gegenzug für ein Auslandssemester nach Kanada gehen können, und nicht zuletzt die TPÜ selbst. Weitere Praktikumsplätze in ostwestfälischen Unternehmen werden gesucht.
Mit leisem Rattern schließt sich das Rolltor. In der langgestreckten Halle wird es dämmrig, fast dunkel. Dann leuchtet ein Scheinwerfer auf, und am anderen Ende der Halle sind schemenhaft Umrisse zu erkennen. „Das funktioniert schon mal.“ Neil Fider ist zufrieden. Der Scheinwerfer ist eigentlich ein Beamer und wichtiger Bestandteil eines Versuchsaufbaus, die Halle gehört der Technischen Prüf- und Überwachungsgesellschaft (TPÜ) und steht in Paderborn. Hier absolviert Neil Fider gerade ein achtmonatiges Praktikum, vermittelt von der Hochschule Bielefeld (HSBI). Und zwar vom International Office, denn der Maschinenbau-Student ist für sein Praktikum extra aus Edmonton in Kanada angereist. „Für mich ist ein Auslandspraktikum eine großartige Möglichkeit, Erfahrungen in einer völlig neuen Umgebung zu sammeln“, sagt Fider.
International Office der HSBI bietet Studien- UND Praktikumsplätze für Studierende aus Kanada an
An seiner Heimat-Uni, der University of Alberta, erfuhr der 20-Jährige vom Alberta-OWL Konsortium, einer seit 2018 bestehenden Kooperation des OWL-Hochschulnetzwerks (das sind neben der HSBI die TH OWL sowie die Universitäten Bielefeld und Paderborn) mit vier kanadischen Hochschulen in Edmonton, Alberta (University of Alberta, MacEwan University, Concordia University of Edmonton und Northern Alberta Institute of Technology), koordiniert durch das Campus OWL Verbindungsbüro in New York. „Neben Studienplätzen bieten wir auch Praktikumsplätze bei uns im Haus und in Kooperation mit regionalen Unternehmen an. Dabei profitieren wir von dem bestehenden umfangreichen Netzwerk an Praxispartnern der HSBI, und seitens der kanadischen Partner und Studierenden gibt es großes Interesse an Praktikumsmöglichkeiten“, erzählt Vanessa Schaut vom International Office der HSBI, zuständig für die Organisation der durch die HSBI angebotenen Praktika im Rahmen des Konsortiums.
Als Dr.-Ing. Marcus Berg davon hörte, war für den Geschäftsführer der TPÜ klar: „Wir sind dabei!“ Gute Erfahrungen mit der HSBI hatte er bereits als Kooperationspartner im praxisintegrierten Bachelorstudiengang Maschinenbau gesammelt, und die Betreuung von Praktikant:innen sieht Berg als Teil seiner gesellschaftlichen Verantwortung als Unternehmer. Zumal im internationalen Rahmen, denn das Austausch-Programm beruht auf Gegenseitigkeit: „Wenn wir Studien- und Praktikumsplätze anbieten, können wir im Gegenzug ebenso viele Studierende nach Kanada schicken“, erläutert Vanessa Schaut. Und Berg ergänzt: „Unsere Leute kommen dann mit internationalen Erfahrungen zurück. Das ist gut für die Region, und was gut für die Region ist, ist gut für uns als Unternehmen.“
Pionierarbeit zum Sehen von Verkehrsteilnehmern bei Dämmerung und Dunkelheit
Für Marcus Berg hat die Betreuung von Praktikant:innen aber auch ganz unmittelbare Vorteile: „Mit ihnen können wir Projekte bearbeiten, für die wir im Tagesgeschäft keine Zeit haben oder die sich wirtschaftlich nicht rechnen.“ Wie das von Heinrich Meyer, der als praxisintegrierter Student der damals noch Fachhochschule genannten HSBI bei der TPÜ angefangen hat, inzwischen dort auch Prüfingenieur ist und derzeit berufsbegleitend seinen Master macht. Für seine Masterarbeit untersucht er das Reaktionsvermögen in Dämmerung und Dunkelheit. „Mich interessiert, wie sehr sich die Wahrnehmung von Objekten in der Nacht verändert“, erklärt Meyer. Wichtig ist das etwa bei der Begutachtung von Unfällen durch Sachverständige. „Hätte zum Beispiel der Autofahrer den Fußgänger früher sehen und so den Unfall vermeiden können?“ Die Einschätzung hat oft gravierende Folgen bis hin zu Gefängnisstrafen für die Unfallverursacher.
Allerdings: „Das derzeit übliche Modell für die Bewertung beruht tatsächlich noch auf Studien, die im 2. Weltkrieg im Auftrag des US-amerikanischen Militärs angefertigt wurden“, hat Meyer herausgefunden. Und diese Studien haben Schwächen, angefangen mit der vorausgesetzten Reaktionszeit von sechs Sekunden. „Bei einem Unfall bleibt oft nur eine halbe Sekunde, um zu reagieren“, weiß Marcus Berg, selbst auch Sachverständiger. Also beschloss Heinrich Meyer, eine neue Grundlage zu schaffen und Daten nach realistischen Parametern zu erheben. „Ich habe sozusagen einen speziellen Sehtest für die Dämmerung entwickelt“, erklärt Meyer. Und hier kommt Praktikant Neil Fider ins Spiel.
Praktikant schreibt Software für einen Versuch bei der TPÜ
Während Meyer die Sehaufgaben für die Probanden definiert und einen Anforderungskatalog für die EDV erstellt hat, hat Fider die Software für den Versuchsaufbau geschrieben und die Hardware eingerichtet. Genau deswegen hatte er sich für das Praktikum bei der TPÜ entschieden: „Mich hat die Möglichkeit zur Forschung stark interessiert.“ Im ersten Monat bedeutete das vor allem: Programmieren lernen. „Eine völlig neue Erfahrung für mich“, bekennt Fider. Er fuchste sich in das Thema ein, testete, modifizierte und programmierte die Software schließlich so, dass sie die verschiedenen Sehaufgaben erzeugt. Fider schaltet den Beamer ein, der prompt die entsprechenden Bilder an die Wand wirft. Heinrich Meyer freut sich: „Jetzt brauchen wir nur noch die Probanden.“
Neil Fider gefällt besonders die Arbeitsweise bei der TPÜ: „Man kann hier viel unabhängiger und selbstbestimmter arbeiten, als ich es zum Beispiel von Teamarbeiten aus dem Studium kenne.“ So hat er gleich noch zwei weitere eigene Projekte bei der TPÜ realisiert. Der Kanadier fühlt sich sichtlich wohl im Unternehmen, nicht zuletzt wegen der Work-Life-Balance. „Dr. Berg hat mir nicht nur wichtige Fähigkeiten und Techniken für die Forschung vermittelt, sondern mich auch ermutigt, in die Kultur des Landes einzutauchen.“ So reiste Fider quer durch die Republik und wurde dabei zum Fan der Deutschen Bahn. Er lacht. „Zwar oft zu spät oder bestreikt, aber im Komfort unschlagbar.“
TPÜ ist bereit, Erfahrungen mit dem Praktikum an interessierte Firmen weiterzugeben
Vor Ort übernahmen die Kollegen die Kulturvermittlung. Als Heinrich Meyer bemerkte, dass Fider sich jeden Tag Toast mit zur Arbeit brachte, führte er ihn kurzerhand in die deutsche Brot-Vielfalt ein. Mit nachhaltigen Erfolg: „Ich vermisse die deutschen Backwaren jetzt schon. So viele verschiedene habe ich probiert und bin immer wieder überrascht, wie lecker alle sind“, schwärmt Fider, der im Mai wieder zurück in Kanada sein wird. „Man muss im Unternehmen natürlich bereit sein, sich um die internationalen Praktikanten etwas intensiver zu kümmern“, sagt Marcus Berg. „Aber es lohnt sich.“ Heinrich Meyer nickt zustimmend. „Wir knüpfen Kontakte über das Praktikum hinaus, trainieren unser Englisch und können internationale Erfahrungen zu Hause machen.“
Berg ist überzeugt von den Möglichkeiten des Alberta-OWL Konsortiums: „Ich kann anderen Unternehmen die Teilnahme nur empfehlen.“ Neil Fider war bereits der zweite Praktikant im Rahmen der Kooperation. Seine Erfahrungen gibt Marcus Berg gerne auch im persönlichen Gespräche weiter. „Ich glaube, wir haben jetzt Lösungen für alle bürokratischen und steuerlichen Fallstricke und Hürden“, so Berg. Darum hat die TPÜ bereits den nächsten kanadischen Praktikanten engagiert: Er löst im Mai Neil Fider ab.