Bielefeld – Im Projekt „Planetary Health and Nursing“ am Fachbereich Gesundheit der HSBI wurden Lehrinhalte rund um das Thema „Klimawandel und Pflege“ entwickelt. Zum Projektende ziehen die Wissenschaftler*innen ein positives Fazit.
Dehydrierung, Herz- Kreislaufprobleme, Erschöpfung: Wenn die Temperaturen in den Sommermonaten vermehrt über 30 Grad steigen, leiden besonders Ältere und kranke Menschen darunter. Der Umgang mit zunehmenden Hitzeperioden und anderen durch den Klimawandel ausgelöste Belastungen in der Pflege sind nun fester Bestandteil der Pflege- und Gesundheitsstudiengänge an der Hochschule Bielefeld (HSBI). In vier neu gestalteten Lehreinheiten geht es darüber hinaus auch um Ressourcenverbrauch im Pflegealltag.
Klimawandel in der Pflegeausbildung noch nicht fest verankert
Der Klimawandel wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit bezeichnet. Seine Folgen sind unter anderem extreme Wetterereignisse wie Hitze- und Dürreperioden, Tropennächte, Starkniederschläge, Überschwemmungen, Stürme, hohe UV-Belastung und Ozonwerte bis hin zur Übertragung von Krankheiten durch Tropeninsekten.
Doch bislang waren klimaspezifische Bildungsangebote weder in der Ausbildung noch im Studium ausreichend vorhanden. „Das wollten wir ändern“, berichtet Initiatorin Prof. Dr. Änne-Dörte Latteck vom Fachbereich Gesundheit der HSBI. Gesagt, getan: Entstanden sind vier so genannte Lehr-Lern-Einheiten, deren Entwicklung im Rahmen des Programms „Freiraum 2022“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert wurde. „Planetary Health and Nursing“ ist der Titel des Projekts, in dem die Lehrinhalte über eine Laufzeit von einem Jahr an der HSBI entwickelt und erprobt wurden. Und erproben bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einfach nur ausprobieren: In mehreren Workshops mit Studierenden, Expertinnen und Experten sowie Praktikerinnen und Praktikern hat das Projektteam die Inhalte konzipiert und bereits im Sommersemester 2023 in der Lehre umgesetzt und evaluiert.
Vier Lehr- Lerneinheiten wurden an der HSBI entwickelt.
Entstanden sind insgesamt vier Lehr-Lern-Einheiten mit einem Umfang von jeweils etwa zwei Semesterwochenstunden, die sich zum einen mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels befassen, zum anderen mit klimaabhängigen Ressourcen im Pflegealltag. Zwei Einheiten werden an der HSBI in den Bachelorstudiengängen des Fachbereichs Gesundheit angeboten, zwei im Master Berufspädagogik und im Master Erweiterte Pflegeexpertise – Advanced Nursing Practice. Doch die Inhalte sollen nicht allein an der HSBI zum Einsatz kommen: Sämtliche Materialien werden als sogenannte Open Educational Resources (OER) auch anderen Bildungseinrichtungen und weiteren Interessierten kostenlos online zur Verfügung gestellt.
Übersicht der Lehr-Lern-Einheiten
In der Lehr-Lern-Einheit ‚Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels‘, die für Bachelorstudierende konzipiert ist, setzen sich die Lernenden mit gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels auseinander, wie Atemwegserkrankungen durch erhöhte Luftverschmutzung oder vermehrte körperliche Belastungsreaktionen auf Hitzewellen, und leiten Konsequenzen für ihr berufliches Handeln ab. „Die Studierenden konnten in Gruppenarbeiten selbst Inhalte beisteuern. Manche Gruppen haben sich Hitzeaktionspläne überlegt, andere haben attraktive Trinkangebote für Patient*innen geplant. Außerdem haben einige Studierende überlegt, was an einem Krankenhaus verändert werden kann, damit es in den Patientenzimmern nicht so heiß wird“, berichtet Projektleiterin Prof. Christa Büker vom Fachbereich Gesundheit der HSBI. Die Studierenden lernen so an selbst entworfenen Praxisbeispielen, wie sie unter anderem Hitzeerkrankungen erkennen und ihnen entgegenwirken können.
In der Lehr-Lern-Einheit ‚Umgang mit klimaabhängigen Ressourcen im Pflegealltag‘ beschäftigen sich die Lernenden mit dem Ressourcenverbrauch im Pflegealltag. Hierbei geht es unter anderem um Wasser, Energie, klinisches Material oder Lebensmittel. Es wird auch thematisiert, welche Konsequenzen eine Knappheit der Ressourcen mit sich bringen könnte. Auch der Mangel an Pflegepersonal wird in diesem Zusammenhang diskutiert.
‚Klimasensibles und nachhaltiges Handeln‘ ist der Titel einer weiteren Lehr-Lern-Einheit, die auf Masterebene eingesetzt werden kann. „Es geht darum, wie klimafreundlich Unternehmen handeln können, zum Beispiel Krankenhäuser oder Pflegedienste. Zudem lernen die Studierenden wissenschaftsbasierte Konzepte zum Klimaschutz kennen und bekommen Einblicke in Krankenhäuser, die sich bereits klimaaktiv engagieren“, so Latteck. Auf dieser Basis entwickeln die Studierenden eigene Handlungsideen für das Unternehmen, in dem sie selbst tätig sind oder werden möchten. Da sich diese Lehr-Lern-Einheit im Rahmen des Projektes an Masterstudierende der Berufspädagogik richtet, besteht zudem auch eine Aufgabe darin, erste Ideen für ein Unterrichts- bzw. Anleitungskonzept zu einem Nachhaltigkeitsaspekt zu entwickeln.
Um die Rolle der Pflege in Bezug auf den Klimawandel geht es in der vierten Lehr-Lern-Einheit, ebenfalls auf Masterebene. In dieser Einheit setzen sich die Lernenden zunächst mit PHN-bezogenen Themen auseinander, um anschließend eigene Projektideen mit dem Fokus auf Aufklärung und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Nicht zuletzt setzen sie sich mit der eigenen Verantwortung auseinander: Was sollte und kann die Pflege tun? Welche Verantwortung trägt die Berufsgruppe der Pflegenden, wenn man sich die weltweite Klimaentwicklung anschaut? Prof. Büker erläutert: „Die Pflege trägt eine Mitverantwortung für den Schutz der Umwelt und die Bewältigung der klimabedingten Herausforderungen. Dieses Mandat basiert, neben der Verankerung im Ethikkodex des International Council of Nurses, kurz ICN, auf zwei wesentlichen Gründen: Pflegefachpersonen gehören zu einer der größten Akteursgruppen im Gesundheitssektor und ihnen wird laut diverser Studien neben anderen Care-Berufen großes Vertrauen in der Bevölkerung entgegengebracht. Darin liegt die große Chance, eine Vorreiterrolle oder Vorbildfunktion in nachhaltigem Handeln einzunehmen.“
Psychische Belastung Klimawandel
Die Expert*innen sind in den Workshops im Rahmen des Projekts besonders auf den Aspekt der Ängste und Sorgen junger Menschen eingegangen. Projektmitarbeiterin Karina Ilskens: „Auch die Studierenden haben in den Workshops vereinzelt angedeutet, dass sie sich teilweise überfordert, ängstlich und ohnmächtig fühlen. Das zeigt, dass es neben den bereits entwickelten Lehr-Lern-Einheiten in jedem Fall auch spezielle Angebote für junge Menschen und auch Pflegefachpersonen braucht, die den Umgang mit den Belastungen und Ängsten thematisieren.“
So haben die Studierenden in der ersten Lehr-Lern-Einheit die Möglichkeit, sich mit den psychischen Belastungen, die durch den Klimawandel entstehen können, auseinanderzusetzen und zu reflektieren, wie sie als Pflegefachpersonen mit psychischen Problemen umgehen können, die bei Patient*innen, innerhalb ihrer Berufsgruppe oder bei ihnen selbst als Folge des Klimawandels auftreten können.
Und was sagen die Studierenden zu den neu entwickelten Inhalten?
„Die Evaluation zeigt unter anderem, dass den Studierenden bewusstgeworden ist, dass der Pflegesektor unter dem Einfluss des Klimawandels und der Ressourcenknappheit vor großen Herausforderungen steht“, fasst Karina Ilskens zusammen. Und damit ist ein wesentliches Ziel erreicht worden: Die Sensibilisierung für das Thema. „Sie haben erkannt, dass das Thema relevant ist für ihre zukünftige berufliche Praxis.“
Vermisst haben die Studierenden konkrete Best Practice Beispiele. „Das bestätigt die für uns überraschende Erkenntnis, wie wenig praktische Beispiele es zu diesem Thema gibt“, berichtet Prof. Latteck. Positiv sehen die Projektbeteiligten das große Interesse der Studierenden und deren kreative Ideen, wie die herausfordernden Folgen der Klimakrise in der Pflegepraxis gemeistert werden können.
Methodisch empfanden die Studierenden die Kombination aus Einzelarbeit und partieller Gruppenarbeit als gute Abwechslung, da auf diese Weise Diskussionen sowie Gedanken- und Erfahrungsaustausche im Plenum ermöglicht wurden. Auch der Einsatz unterschiedlicher Medien wie Podcasts oder Videos wurde von den Studierenden positiv bewertet. „Das war uns deshalb besonders wichtig, weil wir ja wollen, dass die Materialien auch von möglichst vielen anderen genutzt werden. Dafür stellen wir sie online zur freien Verfügung als so genannte OER, Open Educational Resources“, erklärt Karina Ilskens.
Netzwerke mit verschiedenen Akteursgruppen
Darüber hinaus waren die Projektbeteiligten positiv überrascht von der Vielzahl an Netzwerken und engagierten Personen im Gesundheitswesen, die sich bereits mit Klimawandel und Gesundheit auseinandersetzen. „Organisationen wie die Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit e.V., kurz KLUG, Health for Future und die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) setzen sich aktiv für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung ein. Diese Netzwerke bieten eine Plattform für den Wissens- und Erfahrungsaustausch und ermöglichen die gemeinsame Entwicklung von Lösungen, die unsere Studierenden in den Lehr-Lern-Einheiten noch vermisst haben“, so Büker.
Beflügelt hat den Austausch unter anderem die Fachtagung Planetary Health and Nursing, die das Projektteam am 31. Mai 2023 in der HSBI ausgerichtet hat. „Ziel der Tagung war vor allem die Vernetzung verschiedener Akteursgruppen“, erklärt Ilskens. Die rund 80 Teilnehmenden kamen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Pflege: aus der Ausbildung, dem Studium, aus der aktiven Pflegearbeit, von Berufsverbänden sowie von Klimaverbänden und von anderen Hochschulen. Einige sind bereits politisch aktiv. „Für das Networking war die Veranstaltung aus unserer Sicht ein voller Erfolg“, so Karina Ilskens. Zudem sind die Projektergebnisse auf fünf Konferenzen vorgestellt worden, unter anderem in Kanada. Die HSBI schloss sich zudem durch die Unterzeichnung des Nursing School Commitment einem internationalen Netzwerk an, in dem sich Hochschulen in Europa dazu verpflichten, Inhalte zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit in die Curricula von pflegebezogenen Studiengängen aufzunehmen.
Fazit der Projektleitung
Prof. Latteck fasst zusammen: „Der Klimawandel geht jeden etwas an und muss unbedingt innerhalb des Pflegeberufes thematisiert werden. Das Interesse von Pflegefachpersonen ist groß und sie haben innovative und kreative Ideen im Umgang mit dem Klimawandel. Planetary Health sollte fester Bestandteil in der Ausbildung von Pflegefachpersonen sein, egal ob diese Pflege studieren oder sich für die klassische Ausbildung entscheiden. Die Netzwerke und das große Engagement der verschiedenen Akteursgruppen machen Mut!“