Bielefeld – In vielen Kommunen ist der Andrang groß, wenn es um die Vergabe von Bauplätzen geht. Entsprechend wichtig ist ein transparentes und faires Verfahren. Die Stadt Werther (Westf.) vergibt Baugrundstücke nach sozialen Kriterien und setzt dabei seit Neuestem eine mathematische Lösung der Hochschule Bielefeld ein. Diese ist aus einem Studierendenprojekt im Masterstudiengang Optimierung und Simulation von Prof. Dr. Jonas Ide hervorgegangen und ein gutes Beispiel dafür, wie mathematische Standardverfahren in der Praxis eingesetzt werden können.
Der Duft ist fast schon betörend: Über und über mit weißen Kamillenblüten überzogen ist der ehemalige Acker an der Bielefelder Straße in Werther. Mittendrin steht Sarah Huxohl und deutet auf die breiten Gräben, die in regelmäßigen Abständen die Fläche durchschneiden. „Das sind sogenannte Suchschnitte, die für archäologische Grabungen angelegt werden“, erklärt die stellvertretende Fachbereichsleiterin Planen und Bauen der Stadt Werther. Der Befund: „Hier wurde bereits in der Eisenzeit gesiedelt.“ Und so soll es bald wieder geschehen: Die Stadt plant an dieser Stelle ein Baugebiet.
Auf die Pläne der Stadt wurde auch Prof. Dr. Jonas Ide aufmerksam. Der Experte für Wirtschaftsmathematik ist Studiengangsleiter des Masterstudiengangs Optimierung und Simulation an der Hochschule Bielefeld (HSBI) und immer auf der Suche nach konkreten Anwendungsfällen für seine Studierenden. „Wir vermitteln fundierte theoretische Kenntnisse mathematischer Modelle und Methoden insbesondere im Bereich der Optimierung und der Simulation. Unsere Studierenden lernen, technische Abläufe oder planerische Prozesse am Rechner zu simulieren und zu optimieren. Besonders wichtig ist uns der Anwendungsbezug: In realen Projekten setzen die Studierenden ihre theoretischen Kenntnisse um.“ Mit dem Baugebiet der Stadt Werther (Westf.) hatte Prof. Ide einen solchen Anwendungsfall gefunden, genauer: mit der Praxis der Vergabe der Bauplätze.
Gerechte Verteilung bei vier Kaufwilligen pro Baugrundstück
Denn die Stadt Werther (Westf.) vergibt ihre begehrten Baugrundstücke – auf eines kommen im Schnitt vier Kaufwillige – nicht etwa im Losverfahren oder nach der Reihenfolge der Bewerbungseingänge, sondern seit langem schon nach sozialen Kriterien. „Wir berücksichtigen zum Beispiel die Zahl der Haushaltsangehörigen, die der Kinder, die aktuelle Größe des Wohnraums oder den Wohn- und Arbeitsort“, erläutert Sarah Huxohl. Wer den Zuschlag für den Bauplatz erhält, wird durch die Auswertung der Bewerbungs-Daten entschieden. Und die verlief in der Vergangenheit nicht eben optimal. „Wir haben die Daten auf Papier erhalten, händisch in riesigen Excel-Tabellen erfasst und ausgewertet. Das Verfahren war fehleranfällig und immens aufwändig.“ Huxohl zuckt mit den Achseln. Das Angebot von Jonas Ide kam ihr mehr als recht.
Reale Fragestellung wird als mathematisches Problem modelliert
Der HSBI-Professor schlug vor, in einem Studierendenprojekt eine mathematische Lösung für die optimale Vergabe der Baugrundstücke zu entwickeln. „Dafür übersetzen wir eine reale Problemstellung in ein mathematisches Modell, oder wie wir sagen: wir modellieren sie als mathematisches Problem.“ Als solches wird die reale Problemstellung nämlich über die entsprechende Programmierung für den Computer verständlich, der die Berechnung der optimalen Lösung übernimmt. Mit Jan-Hendrik Lange übernahm ein optimaler Bearbeiter das Projekt. Er hatte im Bachelorstudium der Angewandten Mathematik an der HSBI mit der Optimierung sein Thema gefunden und gleich mit dem Masterstudiengang Optimierung und Simulation weitergemacht. „Auch wenn mich die technischen Themen zunächst abgeschreckt haben“, erzählt Lange. Der Masterstudiengang ist konsekutiv angelegt und für Mathematiker ebenso geöffnet wie für Ingenieure. „Aber die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Studierenden war sehr hilfreich, wir haben uns super ergänzt. Während ich einen Kommilitonen aus dem Maschinenbau bei den Differentialgleichungen unterstützt habe, hat er mir elektrische Schaltkreise erklärt.“ Dieser Austausch ist durchaus beabsichtigt, sagt Jonas Ide: „Im späteren Berufsleben gehört die Arbeit in interdisziplinären Teams und das Hineinfinden in neue Themen dazu.“
Maßgeschneiderte mathematische Lösung
Jan-Hendrik Lange setzte sich virtuell mit Sarah Huxohl zusammen und definierte Problemstellung und konkrete Anforderungen. „Aus mathematischer Sicht ist die Umsetzung kein Hexenwerk, es kommen Standard-Algorithmen zum Einsatz“, sagt Lange. Die man aber entsprechend interpretieren und anpassen muss, ergänzt Prof. Ide: „Die mathematische Sprache funktioniert zwar unabhängig von der konkreten Anwendung. Das heißt, es ist letztlich egal, ob es um die optimale Vergabe von Bauplätzen oder die optimale Terminplanung geht. Aber die Lösung ist immer maßgeschneidert für die jeweilige Anwendung.“ So schlug Lange zum Beispiel eine Gewichtung der Priorisierung der Bauplatz-Wünsche vor. „In der Bewerbung für einen Bauplatz können mehrere Wunsch-Grundstücke in einer Reihenfolge angegeben werden. Der Erst-Wunsch wird jetzt mit 100 Prozent und die Alternativwünsche werden mit 80 Prozent gewichtet“, erläutert der Student. Je nachdem, welcher Wunsch bei der Verteilung berücksichtigt wird, ergibt sich eine entsprechende Punktzahl. „Je höher, je näher am Erst-Wunsch.“ Kombiniert mit den sozialen Kriterien und den dafür vergebenen Punkten berechnet der Algorithmus die optimale Vergabe aller Bauplätze. „Ziel ist es, eine möglichst hohe Gesamtpunktzahl für das Baugebiet insgesamt zu erhalten. Denn dann wurden alle Kriterien und Gewichtungen optimal berücksichtigt“, erklärt Lange.
Studierendenprojekt wird praktisch umgesetzt
Mit der Ausarbeitung war das Studierendenprojekt eigentlich abgeschlossen. Aber der Stadt Werther (Westf.) gefiel die Lösung so gut, dass sie sie auch anwenden wollte. Sie beauftragte die HSBI mit der Implementierung. Eine optimale Transferleistung der HSBI in die Region also. „Das zeigt, dass wir mit der Modellierung realer Problemstellungen als mathematisches Problem einen wichtigen Schlüssel für das Berufsleben vermitteln“, sagt Prof. Jonas Ide. „Vor allem kleineren und mittleren Unternehmen geht es wie der Stadt Werther (Westf.), ihnen ist oft nicht bewusst, dass es mathematische Werkzeuge für viele Problemstellungen gibt, mit denen man unglaublich viel bewegen kann.“
Sarah Huxohl schaut über das künftige Baugebiet. Neben Mehrfamilienhäusern werden auf der Brache 40 Einfamilien- und Doppelhäuser entstehen, für die die HSBI-Lösung erstmals eingesetzt wird. Huxohl freut sich sehr darauf. „Das wird meine Arbeit sehr vereinfachen.“ Und die Vergabe der Bauplätze nachvollziehbarer und transparenter machen.