Bielefeld – Studierende am Fachbereich Sozialwesen der HSBI setzen sich künstlerisch mit Abfällen und dem Wert von Müll in der Gesellschaft auseinander. In der Ausstellung „Wasteland“ präsentierten sie ihre Ergebnisse: Kleidungsstücke, Musikinstrumente, Spielzeug, und sogar einen Regenschirm, der am Samstag auf dem Carnival der Kulturen seinen großen Auftritt haben wird.
230 Millionen Textilien landen jährlich im Schredder. Die Container der Supermärkte quellen über mit noch verwertbaren Lebensmitteln. Deutschland gilt als Müllmeister in Europa – kaum ein anderes europäisches Land hat eine so hohe Abfallmenge.
Aber mal philosophisch betrachtet: Wann wird Müll zu Müll? Wann verliert etwas seinen Nutzen und wird von der schützenden Verpackung oder dem wärmenden Kleidungsstück zu Abfall? Ein Seminar des Fachbereichs Sozialwesen der Hochschule Bielefeld (HSBI) ging der Frage des gesellschaftlichen Umganges mit Müll auf künstlerische Weise nach. Die Ergebnisse zeigten die Studierenden in der Ausstellung „Wasteland“. Die Ausstellung erzählt vom neuen Leben, dass die Studierenden dem Müll einhauchten.
„Wie können wir die Bedeutung von Abfall umschreiben?“
Eine Kunstaustellung des Fachbereichs Sozialwesen? Auslöser für die Seminaridee war die Corona-Pandemie. Während der Lockdowns ließen Bekleidungsgeschäfte ganze Kollektionen verbrennen, weil es günstiger war, die Kleider zu vernichten als sie zu lagern. Auch hätten die Kleidungsstücke bereits nach wenigen Monaten nicht mehr dem aktuellen Trend entsprochen. Sie wären für die Geschäfte wertlos – Müll eben. Katharina Stephan, Professorin am Fachbereich für Sozialwesen der HSBI, konnte sich einen ganzen Container mit Kleidung sichern, der verbrannt werden sollte. „Das war der materielle Ausgangspunkt des Seminars.“
Prof. Stephan arbeitet seit mehr als 20 Jahren an der Schnittstelle von Theater und sozialer Arbeit. Dabei beschäftigt sie sich auch mit der künstlerischen Forschung, dem Zugang zur Wissenschaft über die Kunst und andersherum. So entstand die Idee, ein Seminar zu entwickeln, in dem die Studierenden selbst Kunst erschaffen. Kann Abfall mehr sein als etwas Nutzloses, Überflüssiges, Störendes? Das war die zentrale Frage des Seminars. Beantwortet wurde diese Frage mit den vielfältigen Kunstwerken der Studierenden.
„Es ging uns nicht darum, mit Kunst eine klare Antwort zu geben. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem man sich mit diesen Fragen auseinandersetzen kann,“ fasst Prof. Stephan das Seminar zusammen. Das große Engagement der Studierenden habe sie in ihrer Veranstaltungskonzeption bestärkt. Auch in Zukunft will sie das Thema Müll und Nachhaltigkeit in ihren Seminaren einbauen – vielleicht sogar fachübergreifend.
„Gegenwart und Zukunft – Leben im Müll“ von Fabienne Warmann
„Müll geht uns alle etwas an“ sagt Studentin Fabienne Warmann. In ihrer Freizeit probierte sie sich schon zuvor am Upcycling und freute sich deshalb über das Seminarangebot. Als Prof. Stephan im Seminar die „Trash People“ des Künstlers HA Schult zeigte, war für Fabienne klar: Auch sie will eine menschliche Figur aus Müll erstellen. Die „Trash People“ sind menschenähnliche Kunstwerke aus gepressten Blechdosen, die bereits auf der chinesischen Mauer, dem roten Platz in Moskau oder an den Pyramiden von Gizeh als Mahnmal gegen die Konsumgesellschaft aufgestellt wurden.
Inspiriert durch die „Trash People“ entstand das Exponat „Gegenwart und Zukunft – Leben im Müll“ der Studentin. „Die Skulptur stellt dar, wie die gegenwärtige Generation die zukünftige beeinflusst und ihren Ballast an sie weitergibt. Der zukünftigen Generation bleibt nur, die Scherben dieser Gabe zusammenzukehren.“ Das Werk besteht aus Altglas, Altkleidern und Verpackungsmüll, die miteinander arrangiert wurden. „Ich wollte etwas schaffen, bei dem der Müll deutlich erkennbar ist. Dennoch sollte die Skulptur etwas Natürliches, Lebendiges darstellen.“
„Ludo“, der tragbare Spielteppich von Carolin Lange
Das Wort „Ludo“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Ich spiele“. Das Spiel ist auch das zentrale Thema, das Studentin Carolin Lange in ihrem Kunstwerk verarbeitet. Ihr Exponat „Ludo“ kann als Cape getragen werden, doch auf dem Boden ausgebreitet dient er als Spielteppich. Er soll KiTa-Kindern zeigen, was sie aus vermeintlichen Abfällen basteln können. So bringt „Ludo“ den Kindern Nachhaltigkeit spielerisch näher. Neben ihrem Studium arbeitet Lange in einer KiTa und möchte „Ludo“ bald im Einsatz erproben: „Ich bin sehr gespannt, welche Reaktionen ich bei den Kindern beobachten kann.“
Vom Seminarraum zum Carnival der Kulturen mit dem Exponat von Mihriban Özal-Colak
Die Idee zu dem Kunstwerk kam Mihriban Özal-Colak, als sie ihre Katze fütterte. Die vielen kleinen Aluminiumdöschen müssen sich doch für etwas verwenden lassen? Gesagt, getan. Nun zieren sie (gesäubert und platt gepresst) einen Regenschirm und wirken wie goldener Niederschlag. „Die dazu passenden Regenschuhe habe ich aus Tomatenschalen und Kronkorken gebastelt. Die Schnürbänder bestehen aus alten Kopfhörerkabeln,“ sagt die Bachelorstudentin. Die Kronkorken fand Özal-Colak ganz zufällig beim Mittagessen: „Ein Imbiss um die Ecke sammelt die Korken und gab sie mir gerne mit.“
Und was wird nun aus den Kunstwerken? Nach der Ausstellung in der Magistrale der HSBI kommt für ein Exponat der Auftritt auf der ganz großen Bühne: Özal-Colak läuft beim Bielefelder Carnival der Kulturen im Sommer mit und will ihren Regenschirm dort präsentieren. Die anderen Exponate nahmen die Studierenden mit nach Hause oder integrieren sie in ihren Praxisfeldern, so wie „Ludo“. Teilweise landen sie aber doch an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort: Gewissenhaft nach Inhaltsstoffen getrennt in der Müllpresse der HSBI.
Über die Hochschule Bielefeld (HSBI)
Die „Hochschule Bielefeld (HSBI)“, bis 19. April dieses Jahres Fachhochschule Bielefeld, ist mit mehr als 10.500 Studierenden die größte Hochschule für Ange¬wandte Wissenschaften in OWL. Sie besitzt Standorte in Bielefeld, Minden und Gütersloh. Das Angebot der sechs Fachbereiche umfasst 75 Studiengänge und reicht von BWL und Ingenieurwissenschaften über Gestaltung, Architektur und Bauwesen bis hin zu Sozialer Arbeit, Pädagogik der Kindheit, Pflege und Heb-ammenwissenschaft. Studieren kann man klassisch in Vollzeit, praxisintegriert mit Anstellung (und Bezahlung!) in einem Unternehmen oder berufsbegleitend abends und am Wochenende. Die HSBI kooperiert mit 350 Unternehmen in OWL und darüber hinaus und ist international mit mehr als 150 Hochschulen vernetzt.