Defizit der Krankenkassen steigt bis 2040 auf fast 50 Milliarden Euro

Aktuelle Berechnungen der Bertelsmann Stiftung zeigen ein Defizit von 50 Milliarden Euro bis 2040 in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Um die vorausberechnete Steigerung der Ausgaben abzudecken, müsste der Beitragssatz bis 2040 von derzeit 14,6 Prozent schrittweise auf 16,9 Prozent angehoben werden. Die Gesundheitsexperten der Stiftung sehen Anpassungen in der überalterten Infrastruktur sowie die finanzielle Unterstützung des Bundes bei den Beitragssätzen als notwendig an.

Bis 2040 erhöht sich das Defizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf fast 50 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis der Studie „Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung“ des IGES Institutesim Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Laut der Prognose geht nach Jahren mit Rekordüberschüssen in der Gesetzlichen Krankenversicherung ab Mitte der Zwanzigerjahre die Schere zwischen Gesundheitsausgaben und Beitragseinnahmen wieder auseinander. Um die prognostizierten Ausgabensteigerungen abzudecken, müsste der GKV-Beitragssatz bis 2040 von derzeit 14,6 Prozent schrittweise auf 16,9 Prozent angehoben werden. „Die Zeiten eines gleichlaufenden Zuwachses von Einnahmen und Ausgaben sind vorbei. Die Gesundheitspolitik hat jetzt noch Zeit, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel rechtzeitig zu nutzen, bevor die Finanzschere weiter auseinandergeht,“ stellt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, fest. „Die Debatte über den gesundheitspolitisch sinnvollen Instrumentenmix muss heute beginnen, damit die beschlossenen Maßnahmen wirken, wenn es darauf ankommt.“

Die von der Bertelsmann Stiftung beauftragten Wissenschaftler des IGES Instituts haben analysiert, welche Faktoren die Finanzsituation der GKV beeinflussen. Sollte sich etwa die Einkommensentwicklung in Deutschland zukünftig an den relativ hohen Lohnsteigerungen der jüngsten Zeit orientieren, müsste der Beitragssatz bis 2040 nur auf 15,4 Prozent steigen. Im Gegensatz dazu würde ein überdurchschnittlicher Anstieg der Preise im Gesundheitswesen die Schere weiter auseinandertreiben. Der Beitragssatz könnte dann 2040 sogar bei 18,7 Prozent liegen. „Die für die Finanzierung des Gesundheitswesens einflussreichsten Faktoren kommen von außen und lassen sich durch Gesundheitspolitik nicht direkt beeinflussen“, erklärt Stefan Etgeton, Gesundheits-Experte der Bertelsmann Stiftung, ein wesentliches Ergebnis der Studie. „Trotzdem sind die gesundheitspolitischen Instrumente, die die Kosten reduzieren und die Einnahmen verbessern, nicht wirkungslos“, so Etgeton weiter.

Kostentreiber sind Menge und Preise bei den medizinischen Leistungen

Die Studie zeigt außerdem, dass für die steigenden Ausgaben weniger die Alterung der Bevölkerung als vielmehr die Entwicklung von Menge und Preis bei den medizinischen Leistungen verantwortlich ist. „Eine kluge Kostendämpfungspolitik, die die Versorgungsstrukturen im stationären Bereich konsequent konsolidiert, kann dem Defizit in der GKV wirksam entgegensteuern“, so Etgeton. Auf der Einnahmeseite könnte wiederum der Bundeszuschuss schrittweise erhöht werden und so die Beitragserhöhung bremsen. Damit würden auch die Arbeitskosten weniger stark belastet. Wollte man den Beitragssatz dauerhaft auf 15 Prozent stabil halten, müsste der Steuerzuschuss von derzeit 14,5 Milliarden Euro pro Jahr (das entspricht 7 Prozent der Beitragseinahmen) bis 2040 auf 70 Milliarden Euro, somit etwa ein Fünftel der Beitragseinnahmen, ansteigen.

Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt der Gesundheitspolitik, der sich abzeichnenden finanziellen Entwicklung in der Gesetzlichen Krankenversicherung frühzeitig und ohne Scheuklappen zu begegnen. Kostendämpfungspolitik habe sich in der Vergangenheit als wirksam erwiesen. Heute müssten vor allem ineffiziente Strukturen im stationären Bereich abgebaut werden. Zugleich müssten steigende Beitragssätze dadurch abgemildert werden, dass der Bundeszuschuss schrittweise angehoben würde.

Auf der Grundlage der Solidarprinzipien der GKV sollte die Debatte über eine nachhaltige Finanzierung möglichst tabulos geführt werden – auch im Verhältnis zur privaten Krankenversicherung. „Gesellschaftliche Verantwortungsübernahme beinhaltet auch, dass die besser gestellten und im Durchschnitt gesünderen Teile der Bevölkerung sich nicht aus dem Solidarausgleich verabschieden dürfen“, sagt Brigitte Mohn. Die Herausforderungen der GKV zu bewältigen, ist eine Frage des sozialen Zusammenhalts in einer Demokratie wie der Deutschlands.

Zusatzinformationen

Für die vorliegende Studie wurde ein Simulationsmodell entwickelt, mit dem die zukünftige Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der GKV in unterschiedlichen Szenarien analysiert werden kann. Auf der Einnahmeseite berücksichtigt das Modell die Beitragseinnahmen, weitere Einnahmen der Krankenkassen und den Bundeszuschuss. Auf der Ausgabenseite wurde die Entwicklung der Leistungsausgaben (exklusive Krankengeld), der Krankengeldausgaben sowie der Nettoverwaltungskosten und der sonstigen Ausgaben der Krankenkassen modelliert. Als äußerer, übergeordneter Faktor der Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der GKV wurde darüber hinaus die demographische Entwicklung abgebildet. Als Basisjahr für die weiteren Berechnungen wurde entsprechend der Datenverfügbarkeit das Jahr 2017 gewählt. Sofern für die einzelnen Positionen der Einnahme- und Ausgabenseite bereits Daten des Jahres 2018 vorlagen, wurden diese berücksichtigt. Das Zieljahr der Fortschreibungen ist das Jahr 2040.

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