Bielefeld. Haben sich die Bedingungen für weibliche Fach- und Führungskräfte in Forschung und Entwicklung (F&E) in der Wirtschaft, an Hochschulen und Instituten geändert? Was fasziniert Frauen an Technik? Forschen und entwickeln Ingenieurinnen anders als Ingenieure? Haben Professorinnen andere Herangehensweisen als Professoren? Wie ist es um den weiblichen Nachwuchs in Naturwissenschaft und Technik bestellt? Ihre Sichtweise und ihren persönlichen Weg in den immer noch von Männern dominierten Arbeitsbereich F&E schildern zwei Ingenieurinnen und eine Physikerin.
Sie setzen technische Herausforderungen um, fordern und fördern einen effizienteren Ressourcenverbrauch, beeinflussen zukünftige Entwicklungen, nutzen die zunehmende Vernetzung durch Digitalisierung, machen sich für flexiblere Arbeitszeiten und die Vereinbarung von Beruf und Familie stark. Alle eint ihre Leidenschaft für F&E und langjährige Erfahrung: Diplom-Ingenieurin Anja Dohmen, als Gruppenleiterin bei Miele tätig, Diplom-Physikerin Sonja Schöning, Professorin am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der Fachhochschule Bielefeld (FH) und Diplom-Ingenieurin Mirjana Strahinovic, selbstständig im Maschinenbau und Projektmanagerin am Institut für wirtschaftliche und technologische Unternehmensführung (IWT) an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Die drei Fach- und Führungsfrauen setzen sich an dieser Stelle mit verschiedenen Fragestellungen auseinander.
Wie sieht der persönliche Weg in die Forschung und Entwicklung aus?
Sonja Schöning: Nach dem Studium der Physik an der Universität Bielefeld von 1994 bis 2000 bin ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni geblieben und habe parallel im Bereich Experimentalphysik promoviert. Danach habe ich knapp fünf Jahre lang als Sensorentwicklerin bei der Miele & Cie. KG in Gütersloh gearbeitet, bevor ich 2009 als Professorin an den Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld berufen worden bin. Dort lehre ich bis heute Physik, Optoelektronik, Sensorik und effiziente Energiesysteme und leite das Forschungslabor mieletec.
Anja Dohmen: Ich habe von 2002 bis 2007 Produktentwicklung an der FH Bielefeld studiert. Als junge Diplom-Ingenieurin habe ich Berufserfahrungen bei der Schüco International KG in Bielefeld und in Großbritannien gesammelt, danach bei der Bielefelder Inno-Plan GmbH, einem Ingenieurdienstleister. 2012 bin ich als Entwicklungsingenieurin zur Miele & Cie. KG gewechselt, in den Bereich Waschmaschinen und Trockner. Seit 2015 bin ich in leitender Position bei Miele tätig, als Gruppenleiterin in der Entwicklung der Dampfgarer.
Mirjana Strahinovic: Ich habe von 2002 bis 2006 Maschinenbau an der FH Bielefeld studiert. Einige Jahre war ich als Projektmitarbeiterin und Projektleiterin im Forschungsbereich bei den Schwesterunternehmen Inoex GmbH und Iba in Bad Oeynhausen beschäftigt. Danach habe ich ein eigenes Ingenieurbüro betrieben. Seit 2015 arbeite ich als Projektmanagerin am IWT und bin im Projektmanagement selbstständig.
Was macht die Faszination Technik aus?
Sonja Schöning: Es macht Spaß, etwas wirklich zu durchdringen und zu verstehen, warum es wie funktioniert. Es ist faszinierend, beeinflussen und entwickeln zu können, etwas entstehen zu lassen.
Anja Dohmen: Technik ist für mich wie ein Krimi. Du hast eine Aufgabe, eine ungelöste Herausforderung und musst technische Wege, Methoden, Ideen finden. Es ist oft überraschend, was für einen Verlauf eine technische Lösung nimmt – zu 85 Prozent ganz anders, als ursprünglich gedacht. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue.
Mirjana Strahinovic: Für mich bedeutet Faszination Technik, dass ich mich immer wieder wie ein Kind für ein neuartiges Produkt oder eine neue Technik begeistern kann. Neuerdings habe ich für mich die Agilität im Maschinenbau als spannende Richtung entdeckt.
Welches Projekt ist aktuell in Bearbeitung?
Anja Dohmen: Mein derzeitiges Projekt ist es, die Leidenschaft für den Beruf mit der Familie zu verbinden. Mein Sohn ist jetzt vier Monate alt und ich habe wieder angefangen zu arbeiten. Dies unter einen Hut zu bringen, ist spannend.
Mirjana Strahinovic: Agile Management, eine Denkweise mit Konzepten, Rahmenwerken und Techniken, um effektiver, innovativer und kundenfreundlicher zu werden. Dieses übergreifende Führungs- und Organisationskonzept, das auf Kommunikation, Flexibilität und proaktives Handeln baut, implementiere ich im Maschinenbau.
Sonja Schöning: Die Universität und die FH Bielefeld leiten gerade ein gemeinsames Institut im Bereich Materialforschung in die Wege. Das ist ein sehr schönes Projekt, das die beiden Hochschulen in ihrer fachlichen Arbeit enger verbinden wird, unter Einbindung von Unternehmen.
Welche Technik braucht der Mensch? Was gibt es für Trends? Was fehlt?
Anja Dohmen: Künstliche Intelligenz (KI) für den Endverbraucher liegt groß im Trend – Vernetzung, Nutzung von Sprachsteuerung oder Apps. Geräte sind zunehmend miteinander verknüpft, so dass quasi mein Kühlschrank schon weiß, was ich essen will. Das wird schneller kommen, als wir es uns vorstellen können. Die Entwicklung ist schon länger rasant, beispielsweise beim Smart Home. Die Auslieferung einer Pizza per Drohne oder die Waschmittelbestellung per Handy wird sehr bald in Großstädten Realität sein. Für sinnvolle Nutzungen finde ich die Verknüpfung von Techniken mit Daten gut.
Sonja Schöning: Digitalisierung wird uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Auch Ressourceneffizienz bleibt wichtig, die Frage, was wir mit welchen Materialien realisieren. Hier tut sich etwas, zum Beispiel mit der Diskussion um die Verwendung und Verwertung von Kunststoff. Materialverbrauch und -verschwendung ist eine Kostenfrage. Recycling kann die Wirtschaft ankurbeln.
Mirjana Strahinovic: Das Thema Mobilität ist wichtig. Da wird sich einiges verändern. Der moderne Mensch will mobil sein ohne die Umwelt zu belasten. Wir müssen effizienter und effektiver, umweltfreundlicher werden. Auch, wenn Elektroautos immer besser werden: Ich würde mir mehr Fahrzeuge mit alternativen Antrieben wie Wasserstoff wünschen. Wir müssen weg vom Monopol wie jetzt beim Verbrennungsmotor. In punkto Autonomes Fahren sind wir auch noch nicht weit. Meine Vision: In 20, 30 Jahren kann ich ohne eigenes Auto mit öffentlichen Fahrzeugen direkt von A nach B, von meiner Haustür bis zum Kunden oder Arbeitgeber kommen, ohne umzusteigen – modular gekoppelt, so dass meine Tochter und ich ein Stück gemeinsam fahren können, bis sich unsere Wege Richtung Schule und Arbeitsstelle trennen. Weitere wichtige Fragen: Wie lassen sich Wohnraum und Infrastruktur umweltfreundlich gestalten? Wie laufen in Zukunft Versorgung und Beförderung? Wird der Luftraum mit einbezogen?
Wie ist es um den wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt? Was hat die aktuelle Forschungslandschaft zu bieten?
Mirjana Strahinovic: Viele lockt die Wirtschaft. Einige Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler haben mehr Interesse an der Forschung an Instituten und Hochschulen. Ich glaube, dass in jedem jungen Menschen Forschergeist steckt, der muss nur geweckt werden.
Anja Dohmen: Die Faszination für F&E findet sich auch in Unternehmen. Nach meinem Gefühl wachsen Wirtschaft und Forschung enger zusammen. Es gibt viele Kooperationen, gegenseitige Impulse. Firmen treten an Institute und Hochschulen heran mit einer Problemstellung, andersherum gehen Forschungsteams mit konkreten Lösungen auf die Wirtschaft zu. Die Wege sind kürzer geworden.
Sonja Schöning: Die FH Bielefeld ist anwendungsorientiert, praxisnah. Es gibt vielfältige Kooperationen mit der Wirtschaft, sehr etablierte Projekte wie das Forschungslabor mieletec. Viele Unternehmen sind am Aufbau einer festen Zusammenarbeit interessiert.
Unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen in F&E von denen für die Männer?
Mirjana Strahinovic: Nach meiner Erfahrung nicht mehr so sehr. Das ist immer vom Unternehmen abhängig. Bei Inoex waren wir überdurchschnittlich viele Frauen in der Entwicklung, auch in leitender Position. Der Geschäftsführer war ein Visionär. Frauen waren selbstverständlich. Wenn etwas durchzusetzen war, habe ich dafür gekämpft. Grundsätzlich ist eine paritätische Stellenbesetzung schwierig, wenn es nur wenige Bewerberinnen gibt.
Anja Dohmen: In vielen Bereichen mag es kaum Unterschiede geben, in manchen müssen Frauen immer noch mehr arbeiten für weniger Geld. Ein Kämpferherz, sich durchzusetzen, gehört in der stark männlich geprägten Domäne der Technik dazu. Eine Frau muss für gleiche Bedingungen kämpfen. Häufig gibt es noch eine ,gläserne Decke‘ – Frauen können sich bis zu bestimmten Bereichen hocharbeiten, dann geht es nicht weiter. Ihre Karriere hängt stark davon ab, ob sie einen Mentor, einen Fürsprecher haben und wie die Unternehmenspolitik aussieht.
Sonja Schöning: Die Bedingungen an der Hochschule sind nicht ungleich, aber Du musst Dir als Frau Deinen Platz schaffen. Es tut sich nichts von alleine.
Wie lassen sich Mädchen und Frauen für diesen Bereich gewinnen und halten?
Sonja Schöning: Ein positiver Aspekt an Hochschulen ist die Frauenförderung, das Ziel der Gleichstellung, eine möglichst paritätische Besetzung der Gremien. Das finde ich wichtig, das macht einen Unterschied. Bei Berufungen wird explizit nach geeigneten Bewerberinnen geschaut. Es gibt aktive Maßnahmen zur Professorinnen-Gewinnung, Karriere-Förderung für Frauen oder Angebote für Studentinnen und Role Models als weibliche Vorbilder im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich. Es gibt Netzwerke am Fachbereich und an der Hochschule, Veranstaltungen mit Absolventinnen, Mentorinnen-Programme. Auch deshalb habe ich mich an der FH von Anfang an wohl gefühlt.
Mirjana Strahinovic: Mädchen brauchen Identifikationsfiguren, junge Frauen weibliche Vorbilder. Ich gehe als Ingenieurin regelmäßig in einen Kindergarten und eine Grundschule, mache kindgerechte Experimente aus dem Bereich Technik, Biologie und Physik. Für mich war mein Vater mein Vorbild. Er hat mich mit seiner Technikfaszination angesteckt und mich ermuntert, Ingenieurwissenschaften zu studieren. Auf dem Balkan, ich selbst stamme aus Serbien, ist allerdings paradox: Es arbeiten viel mehr Frauen in technischen Berufen, aber in der Familie herrscht die klassische Rollenverteilung. Frauen haben überwiegend Vollzeitstellen und kümmern sich trotzdem um die Kinder und den gesamten Haushalt.
Anja Dohmen: Mir hat mein Kämpferherz geholfen, zudem hatte ich Glück in der Schule mit meinen Lehrern und später auch meistens mit meinen Vorgesetzten. Ich wurde insofern gefördert, dass mir etwas zugetraut wurde. Direkt beim Berufseinstieg, frisch von der FH kommend, habe ich Projektverantwortung erhalten. Ich konnte mich ausprobieren, ohne Angst, ohne Bestrafung von Fehlern. Das alles hat mir stark geholfen.
Sonja Schöning: In Naturwissenschaft und Technik versuchen wir die Zahlen mit Ansprache auf allen Ebenen zu steigern. Wir haben das Schüler-Labor für Schulen und Kitas, um für Experimente und Technik zu begeistern oder beteiligen uns am Girls‘ Day. Am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik liegt der Frauenanteil heute im Durchschnitt bei 14 Prozent.
Forschen und entwickeln Frauen anders als Männer?
Anja Dohmen: Ich denke schon. Bei uns kommt der Genderaspekt immer wieder zur Sprache, bei der Entwicklung selbst kommt er aber aufgrund des geringen Frauenanteils nicht zum Tragen. Ich denke, dass eine gemischte Teambildung in punkto Alter und Geschlecht für die Produktentwicklung erforderlich ist – im Sinne des Endverbrauchers, weil so unterschiedliche Ideen einfließen, unterschiedliche Wege genommen werden können.
Sonja Schöning: Forschen an Hochschulen ist immer individuell. Ob Mann oder Frau, jeder hat seine Spezialität und seine persönliche Herangehensweise. Es gibt beispielsweise einen kleinen, für Frauen entwickelten, sehr leichten Akku-Bohrer von einem deutschen Hersteller, der wird interessanterweise gerne von Männern genutzt.
Mirjana Strahinovic: Solche speziell für Frauen entwickelte Produkte werden dann auch gleich teurer.
Wie steht es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Anja Dohmen: Mehr Teilzeitangebote für Frauen wie für Männer wären sinnvoll. In Bereichen, wo der Männeranteil hoch ist, ist auch der Teilzeitanteil gering. In unserem Bereich mit über 100 Kolleginnen und Kollegen bin ich die Einzige, die für einen definierten Zeitraum Teilzeit nutzt. Das ist möglich, weil mein Chef mich unterstützt und mein Team mitzieht. Ich habe ein entsprechendes Konzept vorgelegt: Ein Kollege mit gleicher Leitungsposition hat meine Führungsaufgaben übernommen, mein Team hat ihm im Gegenzug Arbeiten abgenommen. Das hat – mit vorübergehendem Mehraufwand für alle – funktioniert. Jetzt übernehme ich wieder Schritt für Schritt und der Kollege gibt dankbar wieder ab. Das funktioniert nur ohne Festhalten an Macht und Einfluss. Mein Kollege weiß, dass ich ebenso für ihn einspringen würde. Generell ist Teilzeit aber immer noch ein Karrierekiller, auch für Männer, obwohl das selbst im Führungsbereich mit Doppelteams zu lösen ist.
Sonja Schöning: Elternzeit hat deutlich zugenommen, das finde ich positiv. Auch Väter nehmen sie in Anspruch. Aber: Sie gehen nicht für ein Jahr aus dem Beruf raus, sondern für zwei Monate.
Anja Dohmen: Das hat sich wirklich geändert. Die Reaktion auf den ersten Mann mit Elternzeitwunsch bei uns im Unternehmen war: ,Du bist doch Projektleiter. Das geht überhaupt nicht, das gibt Chaos!‘ Inzwischen sind zwei Monate Elternzeit für Kollegen vollkommen normal.
Sonja Schöning: Wir müssen grundsätzlich noch flexibler werden, in unserer Arbeitswelt wie in unserer privaten Welt. Auch die Arbeitsplätze und die Arbeitsverträge müssen flexibler werden. Im technischen Bereich gibt es kaum Teilzeitstellen, gerade nicht in Führungspositionen.
Mirjana Strahinovic: Wenn die Nachfrage nach Teilzeitstellen bei Männern wie Frauen steigen würde, dann würden Arbeitgeber auch mehr solcher Arbeitsplatzangebote schaffen. Dann gäbe es in Zukunft mehr Stellen mit flexiblen Arbeitszeiten und Wunschteilzeit bei guter Bezahlung.
Weitere Informationen unter https://www.vdi.de/netzwerk/frauen-im-ingenieurberuf/
Autorin: Martina Bauer