Arbeitsschutz und die damit einhergehenden Regulierungen gelten in vielen Unternehmen als Reizthema. Dabei sind Maßnahmen zur Arbeitssicherheit auch unproblematisch umzusetzen, wenn man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in wichtige Entscheidungen mit einbezieht. Mark Edler, Leiter Global EHS (Environmental Health and Safety) bei Weidmüller, erzählt in anhängendem Interview, wie das Konzept zum Arbeitsschutz beim Detmolder Elektrotechnikspezialisten aussieht.
Sie sind befasst mit dem Aufbau eines Systems zum internationalen Arbeitsschutz und zur Arbeitssicherheit. Was ist bei dieser Tätigkeit das Wichtigste?
Es kommt zunächst darauf an, was an Systemen vorhanden ist, dass man das Bestehende würdigt und dabei überlegt, was für das neue Konzept weiter verwendet werden kann. Ich pflege hier weniger den missionarischen Gedanken, mein System von Detmold in die Welt zu tragen. Vielmehr will ich die Themen mit den einzelnen Ländern gemeinsam besprechen und überlegen, wie wir alles zusammenführen können, ohne dass die guten Dinge über Bord geworfen werden. Dabei geht es am Anfang zunächst um den Aufbau eines funktionierenden internationalen Netzwerks.
Das geht nur mit gegenseitigem Vertrauen. Arbeitsschutz hatte früher einen stark kontrollierenden Charakter. Dies führte dazu, dass Mitarbeiter Arbeitsschutz nicht mehr in ihrer persönlichen Verantwortung sehen, sondern als Vorgabe und Druck von außen. Die Entwicklung muss aber dahin gehen, dass man von einem kontrollierenden Modell des Arbeitsschutzes zu einem solchen gelangt, bei dem ein Unternehmen die Mitarbeiter zum Arbeitsschutz befähigt und motiviert. Dann wird Arbeitsschutz gelebt, auch wenn keiner kontrolliert.
Was haben Sie bei Weidmüller an Systemen vorgefunden?
In Deutschland ist die Bestandsaufnahme abgeschlossen. Dabei habe ich sehr umfangreiche und ausgereifte Systeme vorgefunden, die aber zum Teil noch zu detailliert gelöst sind. Allerdings sind einige Schnittstellen nicht ganz sauber, es gibt eine gewisse Verliebtheit in Tools und es fehlt uns noch ein wenig die Zusammenarbeit mit den Kollegen in der Linie. Im internationalen Umfeld beginnen wir gerade mit der Netzwerkbildung und der Ist-Aufnahme.
Welchen kritischen Fragen begegnen Sie dabei?
Wir treffen eigentlich immer wieder auf die gleiche Sorge: Einzelne Mitarbeiter, Abteilungen oder Länder fürchten, dass man ihnen etwas überstülpt, was sie eher belastet und behindert. Genau das wollen wir vermeiden, denn es ist uns ganz wichtig, dass die Kollegen selbst mitentscheiden können. Bei den Mitarbeitern kann man zwei grundsätzliche Archetypen unterscheiden. Der eine lehnt den Arbeitsschutz als Klotz am Bein ab und der andere möchte gern jedes Detail exakt vorgegeben bekommen. Wie so oft ist der Mittelweg hier optimal. Das bedeutet, dass wir bei der einen Gruppe zunächst Überzeugungsarbeit leisten müssen, bei der anderen die Erwartungen hingegen eingrenzen. Unser Fernziel ist es, die Kollegen zur Eigenverantwortlichkeit zu motivieren. Wobei Arbeitsschutz im Besonderen eine zentrale Führungsaufgabe ist.
Was umfasst denn einen nachhaltigen und umfänglichen internationalen Arbeitsschutz?
Arbeitsschutz umfasst heute sehr viele verschiedene Themenbereiche. Früher ging es in erster Linie um technischen Arbeitsschutz. In der Vergangenheit aber auch heute galt und gilt es, physikalische, chemische oder biologische Gefährdungen zu vermeiden, um den Mitarbeiter zu schützen. Heute rücken jedoch verstärkt Themen wie psychische Fehlbelastung in den Fokus. Hier stehen wir noch am Anfang der Lernkurve. Führungskräfte oder Kollegen tun sich oft schwer, solcherlei Probleme zu greifen und in den richtigen Kontext zu stellen. Die Frage ist häufig, welche Arbeitsbedingungen zu psychischer Fehlbelastung führen und was man dagegen tun kann. Um hier zu einem Ergebnis zu kommen bedarf es einer Menge Überzeugungsarbeit und Ernsthaftigkeit, um die Vorbehalte aller Beteiligten zu entkräften.
Das klingt nach einem großflächigen Thema. Wie geht man dabei vor, um das Terrain abzustecken?
Nehmen wir das Beispiel psychische Fehlbelastung von Mitarbeitern. Hier würde man im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung zu einzelnen Punkten mit Unterfragen Handlungsfelder definieren. Anschließend nimmt man die wesentlichsten, also die sog. Hot Spots, heraus und macht zu diesen Themen Workshops mit den Mitarbeitern. Im Gespräch zeigen sich dann immer sehr interessante Zusammenhänge, z.B. in puncto Entwicklungsmöglichkeiten von Mitarbeitern. So stellt man beim Thema Talent Management und interner Entwicklung von Mitarbeitern häufig fest, dass es schwer ist, Vorgesetzte dazu zu motivieren, Mitarbeiterförderung als abteilungsübergreifende Aufgabe wahrzunehmen. Denn häufig sind die Chefs mit einzelnen Mitarbeitern auf gewissen Posten hochzufrieden, aber nur, solange diese sich nicht über die Abteilung hinaus weiterentwickeln wollen. Für das Unternehmen ist dies aber ein Verlust an Talent, wenn der Mitarbeiter eigentlich das Potenzial hat, mehr zu leisten. Dabei ist es eines der Ziele der Mitarbeiterbefragung, diese Wege gemeinsam zu finden. Das ist aber nur eines von vielen möglichen Beispielen. Wichtig am Prinzip ist, dass der Mitarbeiter der Dreh- und Angelpunkt der Befragung wie auch der Lösungsfindung ist.
Was kennzeichnet das Thema Arbeitsschutz in Deutschland und im Mittelstand heute?
Es kommt immer sehr stark auf das einzelne Unternehmen an. Psychische Fehlbelastungen sind heute aber sicherlich in jedem Unternehmen ein Thema. Besonders begünstigt wird dies, wenn die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben dauerhaft verschwimmt. Früher hätte ich gesagt, man muss den Druck von außen auf den Mitarbeiter reduzieren und die Leistungsbereitschaft in den Mitarbeiter selbst verlegen. Die Erfahrung und Studien zeigen aber, dass sich die Mitarbeiter dann selbst viel Druck machen und teilweise anfangen, sich auszubeuten. Hier muss das Unternehmen gegensteuern. Grundsätzlich können Führungskräfte dabei als eine Art Frühwarnsystem fungieren. Doch wie merkt der Vorgesetzte, dass seine Mitarbeiter unter psychischen Fehlbelastungen leiden und was kann er dagegen tun? An dieser Stelle brauchen die Führungskräfte alle Unterstützung, auch vom Arbeitsschutz.
Wie hat sich die Sichtweise bei Weidmüller auf den Arbeitsschutz in den letzten Jahren verändert?
Das Thema wandelt sich, denn die körperliche Belastung nimmt durch Automatisierung immer weiter ab. Gleichzeitig steigen die Anforderungen aufgrund der Vernetzung und der Digitalisierung. Hier wirkt der technische Arbeitsschutz oft nicht. Das macht es komplex, aber auch besonders spannend, am Arbeitsschutz mitzuwirken. Wir können diese Themen begleiten und mit vorantreiben bzw. weiterentwickeln. Hierbei arbeiten wir verstärkt bereichsübergreifend in Kernteams zusammen, z .B. mit dem Gesundheitsmanagement, der Personalentwicklung und der Betriebsmedizin.
Was ist dabei essentiell?
Wenn wir über das Thema Burn-out reden, ist zunächst einmal wichtig, dass es sich nicht um ein anerkanntes Krankheitsbild handelt, sondern als Begriff mehr oder weniger die Zusammenfassung eines Phänomens darstellt, das manche als Überlastungsstörung bezeichnen. Letztlich endet es jedoch immer in einer psychischen Erkrankung, z. B. einer Depression. Burn-out ist ganz klar ein schwer greifbares Phänomen der heutigen Arbeitswelt und eine Überlastung der Mitarbeiter in psychischer Hinsicht und man muss damit feinfühlig umgehen.
Als Unternehmen sollte man einen Rahmen bieten, der es erlaubt, solche Themen offen zu thematisieren und zu bearbeiten. Der Mitarbeiter hat sich in der Regel über Jahre in eine solche Situation „hineingewurschtelt“ und merkt erst allmählich, dass er ein Problem hat, das er nicht mehr selber lösen kann. Daher müssen die Führungskräfte dafür sensibilisiert werden, solche Fälle so früh wie möglich zu erkennen und dann die richtigen Schritte einzuleiten, um zu helfen.
Ein Gedanke zu „„Beim Arbeitsschutz müssen die Kollegen selbst mitentscheiden können.““