„Wir sind eine Firma, die nur ‚krumme Sachen‘ macht.“ Mit diesem launigen Statement zum Haupterzeugnis „Formholz“ begrüßte Dr. Ralf Becker, Geschäftsführer der Fritz Becker KG im ostwestfälischen Brakel, die angereisten Vorstände des Verbands der Deutschen Polstermöbelindustrie (VdDP e.V.), Herford, anlässlich ihrer Herbstsitzung. Als Teil der „Holzwertstoffindustrie“, wieder O-Ton Becker, versteht sich das gastgebende, 1936 gegründete Haus als designbestimmtes Beratungs- und Entwicklungsunternehmen.
Mit seinem Produktportfolio aus hochkomplexen Formholzteilen für Automobilbau bis Möbelindustrie scheint der 300-Mitarbeiter-Betrieb für den Wettbewerb nahezu unangreifbar. Stark in Beratung, ganz vorn in Entwicklung, innovationsgetrieben und mit einem einzigartig hohen Wertschöpfungsanteil werden Vor-Erzeugnisse auch für die Sitz- und Polstermöbelindustrie produziert. Rund 30 Mio. Euro Umsatz werden in Brakel erwirtschaftet, hinzukommen Erträge aus einem rumänischen Zweigwerk und von einem US-amerikanischen Lizenznehmer.
Gut Holz: 12.000 Rotbuchen-Stämme werden jährlich verarbeitet
Ihre Alleinstellung sichert sich die Fritz Becker KG durch exklusive, höchst anspruchsvolle Entwicklungen – ein Designer nach dem anderen gibt sich in Brakel gewissermaßen die Klinke in die Hand. 1.300 Presswerkzeuge – eingesetzt ab Losgrößen von 250 Stück je Auftrag, teilweise für „Dauerbrenner“ am Markt bis 100.000-mal langjährig im Einsatz – gehören zum ständig abrufbaren Werkzeugbestand. Produktionsseitig stehen 80 Pressen und über zehn CNC-BAZ bereit.
Doch nicht nur „in Holz“ sind die Tüftler von Becker aktiv: Die Verarbeitung von Faservlies zu genialen Formteilen ist inzwischen zum zweiten Standbein der Produktion am deutschen Standort geworden. Und damit erschließen sich immer neue Einsatzfelder für das Traditionshaus. Bei weitem nicht nur national, sondern inzwischen beinahe in der ganzen Welt – mit dem Ergebnis von gesamt rund 40 % Exportanteil.
Messe „Küchenwohntrends“: Fusion von Wohn- und Küchenwelt
Von Formholz zu ‚Frommholz‘ ist es nur ein kleiner Schritt: Damit übernahm nach beeindruckender Unternehmensvorstellung und Betriebsrundgang durch den Firmenchef nun Dirk-Walter Frommholz als Vorsitzender des VdDP e.V. die Führung und hieß die Vorstände des Industrieverbandes zur Herbstsitzung persönlich willkommen.
Eröffnet wurde die Tagung am 21. Oktober mit einem Vortrag von Ulrike Rohde, Geschäftsführerin des „Küchenwohntrends“-Messeveranstalters Trendfairs GmbH aus München. Frau Rohde berichtete von den Planungen der im März 2016 öffnenden Premium-Messe für Küche und Wohnen, über die dort geplanten Sonderflächen „Lebensraum“. Aufmerksam und interessiert verfolgten die Polstervorstände diese Vorhaben – insbesondere der auf einen Tag begrenzte Eintritt ‚finanzstarker wohnaffiner Endkunden‘ sorgte für Diskussion.
Daumen hoch: gute wirtschaftliche Lage dank Umsätzen im Ausland
Der Geschäftsbericht von Hauptgeschäftsführer Dr. Lucas Heumann startete erwartungsgemäß mit statistischen Belangen. Nach der amtlichen Erfassung lässt sich die Lage der deutschen Polstermöbelindustrie für 2015 bisher als zufriedenstellend beschreiben, insbesondere die Umsätze ins Ausland punkten.
Völlig unbefriedigend hingegen die negative Außenhandelsbilanz Polster: Denn ungeachtet verbesserter Exporte wächst der Importdruck überproportional. So dominieren Polen und China zusammen allein 60 % der Einfuhren. Etwas überraschend Italien – der frühere ‚Platzhirsch‘ bei Polstermöbelimporten verliert zunehmend an Form (Import-Rückgang – 14 %). Im Ergebnis zwingt diese anhaltend unglückliche Situation zu einem immer stringenteren Kostenmanagement in den deutschen Unternehmen.
„Nein“ zur ID-Card Möbel – „Ja“ zum neuen ‚Anilinleder-veredelt‘
Zu einem ganz anderen Thema, die Einführung einer ID-Card für Möbel aus deutscher Produktion, gab der Verbandsvorstand nach sehr kurzem Austausch ein überdeutliches Votum: Nein, so etwas ist nicht gewollt, es ist treibt die nichtproduktiven Aufwände weiter nach oben – und dies ohne absehbaren Nutzen. Fazit: Eine Möbel-ID-Card wird von der Polstermöbelindustrie abgelehnt.
Dr. Olaf Plümer stellte den Sachstand zur neuen Lederklasse „Anilinleder veredelt“ den Tagungsteilnehmern vor. Diese Klassifizierungsform widerspiegelt die deutliche Mehrheit der aktuell eingesetzten Leder. Die neue Klasse ordnet sich ein zwischen reinem bzw. naturbelassenem Anilinleder und Semianilinleder, es ist vollnarbig, mit nur recht leichtem Lack- bzw. Pigmentauftrag, die Pore bleibt also sichtbar und eine Prägnierung möglich. Dem mit dem Lederverband VDL entwickelten Klassifizierungsvorschlag gab der VdDP-Vorstand final „grünes Licht“.
Geht von der Brücke: Waldow schließt Schulenburg
Anschließend informierte Dr. Plümer über aktuelle Fragestellungen bei Technik und Normung. Die Schwerpunkte hierbei: Energieaudits in der Holzbranche, Situation bezüglich Formaldehyd sowie Expositionsbeschreibungen in der Möbelindustrie. Die Vorhaben zur Entwicklung des DCC e.V. mit dem Fokus eines neu aufzubauenden Fachbeirats Handel stießen auf besonders großes Interesse der Spitzenvertreter der Polstermöbelindustrie.
Unter dem TOP „Verschiedenes“, sonst eher der Terminfindung kommender Sitzungen vorbehalten, gingen die bewegenden Worte des langjährigen Branchenakteurs Horst G. Waldow allen Tagungsteilnehmer sehr nah. Wie bekannt, verabschiedet sich ein weiterer Anbieter aus dem klassischen Hochwertsegment zum Jahresende vom Markt: die Schulenburg Polstermöbel Manufactur GmbH in Bardowick bei Lüneburg schließt nach 80 Jahren Betriebsdauer für immer ihre Tore.
Unter diesem Eindruck ging das bekannte Helmut-Lübke-Zitat „Möbel sind Kulturgut“ – von Horst Waldow gezielt in seinem Rechenschaftsbericht über das eigene Lebenswerk platziert – besonders unter die Haut. Die Veranstaltung schloss mit einem abendlichen Gedankenaustausch auf Schloss Gehrden bei Brakel.