Patentkrieg gefährdet Mittelstand

Bielefeld. Werden kleinere Unternehmen zugunsten von Großkonzernen vom Europäischen Patentamt unter Mithilfe großer Wissenschaftsinstitute ausgebremst? Eigentlich sollen das Europäische Patentamt und seine Beschwerdekammern eine unabhängige Europäische Behörde in Deutschland sein. Das Unternehmen mycon GmbH stellt sich die Frage, inwieweit diese Unabhängigkeit eigentlich besteht.

Der Blick in die Wirtschaftsnachrichten zeigt, dass der deutsche Mittelstand international eine herausragende Reputation besitzt. Der Begriff „Mittelstand Deutschland“ steht dabei für hohe Qualität, hervorragende Produkte, Produktivität und Innovation. Der deutsche Mittelstand ist die Lokomotive der Wirtschaft. Doch der Druck auf innovative Unternehmen wächst. Kleine und mittlere Unternehmen müssen den Spagat zwischen Innovation und rasanten Entwicklungen schaffen, gleichzeitig haben Sie es mit einer wachsenden Anzahl an Herausforderungen zu tun. Experten betrachten dabei besonders die Innovationskraft als kritischen Erfolgsfaktor. Vor diesem Hintergrund sollte den deutschen Mittelständlern eigentlich von allen Seiten die größtmögliche Unterstützung für Innovationen entgegengebracht werden. Die mycon GmbH ist daher verwundert, wie mit ihr als mittelständischem Unternehmen beim europäischen Patentamt in München und bei großen Instituten verfahren wird.

Im Rahmen eines Patentstreits der nunmehr seit rund acht Jahren zwischen der Linde AG und dem Lizenzgeber, der mycon GmbH besteht, hat das Europäische Patentamt im Februar dieses Jahres ein unerwartetes und aus Sicht der mycon GmbH nicht haltbares Urteil gefällt. Die Linde AG trat 2003 völlig unerwartet einen Patentstreit gegen den Lizenzgeber mycon GmbH los. Trotz eines zwischen der mycon GmbH und der Linde AG im Februar 2003 abgeschlossenen Vermarktungsvertrages, der eine Nicht-Angriffs-Verpflichtung vorsah, verklagte die Linde AG völlig überraschend den Lizenzgeber mycon GmbH, obwohl der Vermarktungsvertrag genau dieses Patent betraf. So erhob die Linde AG einen Einspruch gegen das vom Vermarktungsvertrag betroffene Patent für ein neuartiges CO2-Schneestrahlverfahren zur Reinigung von Oberflächen. In diesem Vertrag war eine exklusive Vermarktung der nach diesem Patent gebauten Geräte durch die Linde AG vorgesehen.

Im Gegenzug verpflichtete sich die Linde AG zur Abnahme vertraglich festgelegter Abnahmemengen und dazu, die zu dem Verfahren gehörigen und zur Verfügung der mycon GmbH stehenden Patentanmeldungen nicht anzugreifen. Nachdem vertraglich eingegangene Abnahmeverpflichtungen seitens der Linde AG nicht erfüllt wurden und vereinbarte Zahlungen ausblieben, sah sich die mycon GmbH letztendlich gezwungen, den Vertrag zu kündigen. In dem Zusammenhang kam es dann zu Gerichtsverfahren, die von der mycon GmbH überwiegend gewonnen wurden. Offensichtlich als Antwort auf die Vertragskündigung legte Linde dann vertragswidrig gegen das für das Verfahren seinerzeit bestehende Hauptpatent Einspruch beim Europäischen Patentamt ein.

„Die Energie muss man erst einmal haben, um als kleines Unternehmen gegen einen großen Konzern zu klagen.“, sagt Oliver Kipp, Geschäftsführer der mycon GmbH. „Großunternehmen haben nicht nur viel Zeit, sondern in der Regel auch viel mehr Geld und Beziehungen, um solche Streitigkeiten auszufechten. Zuvor hatte unser Lizenzgeber vor dem OLG Frankfurt gegen einen eng mit der Linde AG zusammenarbeitenden Wettbewerber ein Patentverletzungsverfahren gewonnen.“ In dem Verfahren wurden seitens der beklagten Gegenseite Gutachten des Fraunhofer-Institutes für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) sowie eines namhaften Wissenschaftlers der Technischen Universität Berlin vorgelegt. Diese Gutachten wurden sowohl durch Gegengutachten als auch durch vorangegangene Veröffentlichungen, in denen der genau gegenteilige Sachverhalt bestätigt wurde, widerlegt. Eine Revision zum Bundesgerichtshof ließ das OLG zunächst nicht zu. Das änderte sich mit dem Urteil der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes im Februar 2013, welches das Patent zum Gegenstand hatte, das in dem Verletzungsverfahren durch das OLG Frankfurt als verletzt angesehen wurde. „Dieses Urteil kam für uns sehr überraschend und hatte zudem zur Folge, dass die Revision durch den BGH zugelassen wurde“, erklärt Oliver Kipp.

Das von der Linde AG angestrengte Einspruchsverfahren gegen das der mycon GmbH zur Verfügung stehende streitgegenständliche Patent, war zunächst von der Einspruchskammer des Europäischen Patentamtes im Februar 2009 vollständig abgewiesen worden. Die Linde AG legte gegen dieses Urteil dann Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes ein. Sie wurde dann im Februar vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes verhandelt. Begründet wurde die Beschwerde bei dem Europäischen Patentamt u.a. durch ein von der Linde AG beauftragtes Gutachten des Fraunhofer Instituts IPK. Auch dieses Gutachten weist zum Teil beträchtliche Fehler und Auslassungen in dargestellten Sachverhalten auf, die teilweise sogar der gängigen Lehrmeinung widersprechen. Die mycon GmbH ist zu der Überzeugung gelangt, dass das Urteil auf sachlich falschen Gutachten und insbesondere einer durch das Europäische Patentamt falsch zitierten Aussage von Prof. Dr. Hans-Joachim Schmid (Inhaber einer Professur für Partikelverfahrenstechnologie an der Universität Paderborn) beruht.

Prof. Hans-Joachim Schmid von der Universität Paderborn verwahrt sich mit aller Entschiedenheit gegen diese vom Europäischen Patentamt in der Urteilsbegründung aufgeführten angeblich von ihm getätigten Aussage: „Entgegen der aufgeführten Behauptung der Beschwerdekammer, der technischen Darstellung, wie sie im angesprochenen Urteil im betreffenden Punkt aufgeführt ist, habe ich dieser nicht zugestimmt, sondern dieser vielmehr widersprochen, um den technischen Sachverhalt richtigzustellen.“ Der mycon GmbH liegt eine Eidesstattliche Erklärung von Prof. Schmid vor, in dem er dieser angeblichen Aussage widerspricht. Zudem wird in dieser eidesstattlichen Erklärung auch die technische Begründung geliefert, warum der in der Urteilsbegründung genannte Sachverhalt vollständig entgegen der Lehre steht und somit grob fehlerhaft ist. Aus Sicht der mycon GmbH sind die groben Fehler bzw. Auslassungen in den Gutachten und die falsch zitierte Aussage wohl kaum durch Missverständnisse erklärbar. Technische Fragen können umstritten sein – aber eine absurd falsche technische Darstellung von Aussagen eines kompetenten Experten, ist aus Sicht der mycon GmbH unhaltbar. Wenn die in den Gutachten genannten Fakten richtig dargestellt worden wären, hätte seitens des Europäischen Patentamts positiv für den Lizenzgeber der mycon GmbH entschieden werden müssen.

Der Lizenzgeber der mycon GmbH bezeichnet den Verhandlungsablauf als sehr ungewöhnlich, genauso wie weitere Verfahrensbeteiligte seitens des Lizenzgebers. Die Beschwerdekammer legte das entgegengehaltene Patent einfach neu aus, gegensätzlich zu dem im Patent detailliert aufgeführten Sachverhalt. Den vom Experten der Beschwerdegegnerin konkret genannten Sachverhalten wurde kein rechtliches Gehör geschenkt. Das Patent wurde sodann für nichtig erklärt. Hierzu ist zusätzlich klarzustellen, dass das streitgegenständliche Patent für die mycon GmbH bereits seit mehr als acht Jahren wirtschaftlich nicht mehr entscheidend ist, da die heute produzierten Geräte in einer anderen, weit vorteilhafteren Bauart hergestellt werden, für die es rechtskräftige andere Patente gibt.

Der Lizenzgeber mycon GmbH hat nunmehr die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes angerufen. Der Lizenzgeber und Erfinder sieht die Erfolgsmöglichkeiten aus nachfolgenden Gründen jedoch sehr skeptisch. Da zu vermuten ist, dass in diesem kleinen Kreis von Richtern im Europäischen Patentamt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch persönliche Verbindungen herrschen, stellt sich zumindest die Frage, inwieweit die in der Großen Beschwerdekammer sitzenden Richter ihren Kollegen, mit denen sie tagtäglich zusammenarbeiten, die in dem Urteil gemachten Fehler tatsächlich so offen vorwerfen, wie dies nach hiesiger Auffassung nötig wäre. Es ist zu befürchten, dass es der Großen Beschwerdekammer hier schwerfallen wird, den eigenen Kollegen einen derart eklatanten Irrtum zu unterstellen.

Das Europäische Patentamt ist ein selbstständiger Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, dem unter anderem auch die Bundesrepublik Deutschland die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderliche Hoheitsgewalt übertragen hat. Das Europäische Patentamt ist daher nicht Teil der Europäischen Union und auch keine Behörde der EU. An dem Vorwurf selbst ändert dies allerdings selbstverständlich nichts. Das Europäische Patentamt ist aus Sicht der mycon GmbH eine Behörde, die sich selbst kontrolliert.

Um aus dem Spiegel Nr. 18 vom 29.04.2013 (hier in Bezug auf die Anti-Betrugsbehörde der EU (OLAF)) zu zitieren: „Wieder geht es darum, dass eine EU-Institution mit Allmachtsphantasien offenbar außer Kontrolle geraten ist.“ Am Ende des Berichtes steht ein Zitat von Herbert Bösch, Haushaltsexperte im EU-Parlament: „Wenn sich eine Behörde selbst kontrolliert, geht das immer schief.“ Nach Ansicht der mycon GmbH bestehen daher Zweifel, ob das Europäische Patentamt als Institution wirklich vollkommen unabhängig agiert oder auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen.

Die Finanzierung des Europäischen Patentamtes erfolgt zu großen Teilen durch die Zahlungen der Kunden für Anmelde- und Patentgebühren. Nach vorliegenden Informationen soll das Europäische Patentamt diesbezüglich sogar eine aktive Vermarktung bei potenziellen Großkunden betreiben. Dasselbe Europäische Patentamt entscheidet jedoch auch bei Patentstreitigkeiten, die auch zwischen kleinen Unternehmen und Großunternehmen bestehen. Diese Großunternehmen zählen aber oft zu den besten Kunden des Europäischen Patentamtes. Da diese Großkunden oft über zahlreiche Patentanmeldungen/Patente verfügen, wäre die Annahme lebensfremd, dass hier in Teilbereichen keine persönlichen Beziehungen existieren. Aus Sicht der mycon GmbH kann das Europäische Patentamt als Institution also kaum im erforderlichen Maße unabhängig agieren. Selbstverständlich können sich einzelne Mitarbeiter ihre persönliche Unabhängigkeit bewahren, dies hängt aber dann vom jeweiligen Mitarbeiter ab.

Der Lizenzgeber der mycon GmbH wird die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und gegebenenfalls, nach Erschöpfung des Rechtsweges, also bei einer abweisenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, wegen dieses Sachverhaltes das Bundesverfassungsgericht und/oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Vor dem Hintergrund, dass das Europäische Patentamt verschiedene Einwände des Lizenzgebers mycon GmbH in dem Verfahren nicht beachtet hat und zum Teil sogar ins Gegenteil verkehrte, wird diese Anrufung auf den Gesichtspunkt des mangelnden rechtlichen Gehörs gestützt werden.

Veröffentlicht von

Sascha Brinkdöpke

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