Das Forschungsprojekt „Deponierückbau“ – ein bis dato durch die ganzheitliche Betrachtungsweise einzigartiges Projekt in Deutschland – findet aktuell in unserer Region statt. Am Anfang war es nur eine Idee. Vier Monate nach dem Abschluss der Probebohrungen im Entsorgungszentrum des Kreises Minden-Lübbecke in der Pohlschen Heide findet ein ambitioniertes Forschungsvorhaben seine Fortsetzung.
Rund 8.000 Tonnen Deponat werden derzeit mit schwerem Gerät abgebaut und für weitere Untersuchungen vorbereitet. Ziel ist es, bis zum 31. Juli 2015 Verfahren zu entwickeln, die die Rückgewinnung ausgewählter Ressourcen aus alten Deponien ermöglichen.
An dem ehrgeizigen Projekt sind der Abfallentsorgungsbetrieb des Kreises Minden Lübbecke, die Tönsmeier-Gruppe als Konsortialführer, die TU Braunschweig, die TU Clausthal, die RWTH Aachen, das ifeu-Institut und das Öko-Institut beteiligt.
Die Wiederaufnahme von bereits auf Deponien abgelagerten Abfällen wird weltweit seit über 50 Jahren betrieben. Die Gründe für das sogenannte Landfill Mining haben sich mit der Zeit geändert. So lag der Schwerpunkt der Forschungen in Deutschland in den 80iger und 90iger Jahren vornehmlich auf dem Aspekt der Gewinnung von Deponievolumen und der Deponiesanierung. In der Zwischenzeit wurden mehr als 70 Standorte Abfälle wieder aufgenommen, wobei meistens Gründe des Grundwasserschutzes oder der höherwertigen Nutzung der Flächen im Vordergrund stand. In den Vorhaben wurden vergleichsweise geringe Stoffströme gezielt einer Verwertung zugeführt, in der Regel sind die wesentlichen Stoffströme lediglich auf andere Flächen umgelagert worden. Insgesamt ist in den letzten Jahren weltweit eine stetige Zunahme der Anzahl der Deponierückbaumaßnahmen feststellbar, wobei der Aspekt des Landfill Minings als Bestandteil des zurzeit viel diskutierten Urban Minings verstärkt eine Rolle spielt. Urban Mining, der städtische Bergbau, ist eine Art der Rohstoffgewinnung, die Städte als Rohstoffmine betrachtet und die vorhandenen Ressourcen „schürft“.
Die Literaturrecherche zeigt, dass Schlackendeponien bisher kaum zurückgebaut wurden. Der Schwerpunkt der Forschung lag in den letzten Jahrzehnten in der Ermittlung und der von diesen Deponien langfristig ausgehenden Sickerwasseremissionen. Das Potenzial der Ressourcenrückgewinnung ist jedoch hoch. So wurden anlässlich eines Rückbaus in 2005 aus einer Schlackendeponie in der Schweiz aus ca. 200.000 Tonnen Rückbaumaterial rund 4.270 Tonnen Eisen, Aluminium, Kupfer und Messing gewonnen. Ein Landfill Mining unter dem primären Aspekt der Rückgewinnung von Ressourcen ist bisher nicht durchgeführt worden. Die bisher durchgeführten Maßnahmen zeigen, dass der Rückbau von Deponien und die mechanische Materialaufbereitung grundsätzlich machbar sind. Details zur angewandten Technik für die Verfahrensstufen Rückbau, Aufbereitung und Sortierung, Wertstoffkonfektionierung, Reststoffbehandlung und Reststoffentsorgung stehen nicht in ausreichend belastbarer Form zur Verfügung. Insbesondere mangelt es an spezifischen Informationen über die Quantität und Qualität der im Deponiekörper eingebauten Stoffe und der hieraus erzielbaren Produktqualitäten. Dies gilt im Besonderen für strategische Metalle und Mineralien. Bezüglich der Investitionen und Betriebskosten liegen Informationen, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft vor.
Ganzheitliche Kostenbetrachtungen unter Einbeziehung der Wechselwirkungen unter anderem zwischen Aufwendungen für Landfill Mining, die Einsparungen bei der Stilllegung und Nachsorgen sowie das Flächenrecyclings sind bisher nicht durchgeführt worden. Gleiches gilt für die ökologischen Betrachtungen des Landfill Minings. Dies betrifft insbesondere Fragen zu Ressourceneffizienz aber auch Betrachtungen, die die Aspekte des mit dem Rückbau verbundenen Flächenrecyclings und die mögliche Reduktion deponieseitiger Emissionen mit einschließen.
Der aktuelle Großversuch in der Pohlschen Heide soll jetzt darüber Auskunft geben, ob sich das abgebaute Material für eine Aufbereitung im industriellen Maßstab eignet. Dazu wird das Deponat grob vorsortiert und anschließend in verschiedenen Anlagen verarbeitet. Am Ende dieses Prozesses stehen verschiedene Fraktionen – Metalle, Kunststoffe, Ersatzbrennstoffe, organische und mineralische Bestandteile – die dann gegebenenfalls stofflich oder thermisch verwertet werden können. „Wir hoffen, dass wir bei diesen Tests Informationen zur Wirtschaftlichkeit der geplanten Verfahren bekommen“, erklärte Dr. Jürgen Balg, Sprecher der Gruppengeschäftsführung der Tönsmeier-Gruppe. Besonders interessant sind die Deponate aus den 90iger Jahren, da hier die wertvollsten Rohstoffe und höchsten Mengen vermutet werden. Deponate davor werden wahrscheinlich erst mit steigenden Rohstoffpreisen in der Zukunft wirtschaftlich interessant. Alle Siedlungsabfälle ab dem Jahr 2005 sind generell schon so gut im Vorfeld recycelt worden, dass hier keine verwertbaren Rohstoffe mehr enthalten sind. Auch in ökologischer Hinsicht werden in diesem Zusammenhang wichtige Erkenntnisse erwartet. Hier geht es vor allem um Fragen zum Flächenrecycling, zur Verminderung von Deponiegasen und zur Ressourceneffizienz: „Auch wenn ein Deponierückbau und nachgeschaltete Recyclingmaßnahmen die Verknappung natürlicher Ressourcen nicht verhindern können, so bilden sie doch eine wichtige Option für eine künftige Ressourcenversorgung. Wir streben im Projekt eine 100prozentige Verwertung des Deponats an. Ob es uns gelingt, können wir jetzt noch nicht sagen“, so Professor Klaus Fricke vom Leichtweiß-Institut der TU Braunschweig. Laut Fricke sind in Deutschlands Deponien alleine Materialen für die thermische Verwertung in umgerechnet ca. 55 Mrd. Euro Öl und zum Beispiel bei den Metallen ca. 7 Mrd. Euro an Kupfer gelagert. Der wichtige Rohstoff Phosphat könnte unsere Industrie drei Jahre lang versorgen. Ein weiteres Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Kostenmodells für Kommunen, damit die Wirtschaftlichkeit eines Deponierückbaus besser eingeschätzt werden kann. Bei stetig teurer werdenden Sekundärrohstoffen wird ein Deponieabbau immer interessanter. Gleichzeitig können die Kommunen langfristig bei den Kosten für die Nachsorge der wesentlich kleineren Deponien einsparen. Erste Ergebnisse zum derzeitigen Großversuch erwarten die Fachleute im 4. Quartal 2013.