Tübingen (dapd-bwb). Der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig hat vor einer Instrumentalisierung der Debatte um Sicherungsverwahrung für parteipolitische Zwecke gewarnt. „Beim Umgang mit gefährlichen Straftätern muss der Parteienstreit dringend aufhören“, sagte Kinzig der Nachrichtenagentur dapd. Der Wissenschaftler lehnt eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, wie sie die CSU und auch manche SPD-geführten Bundesländer fordern, entschieden ab. Sie verstößt aus seiner Sicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Kinzig ist Direktor des Tübinger Instituts für Kriminologie, das an diesem Freitag (26. Oktober) sein 50-jähriges Bestehen feiert. Bis Mai 2013 muss die Sicherungsverwahrung reformiert werden, weil die alten Regelungen gegen das Grundgesetz verstoßen. Laut Kinzig ist der Zeitraum aber viel zu kurz, ein solides Gesetz zur Sicherungsverwahrung zu entwickeln: „Im Bereich der Sicherungsverwahrung hatten wir fast jedes Jahr eine Reform. Der Komplex ist unüberschaubar geworden.“ Notwendig sei daher ein neues System aus einem Guss. „Dafür bräuchten wir eine Kommission, die das mit langem Atem vorbereiten kann“, sagte Kinzig. Zugleich kritisierte der Kriminologe die derzeitige Diskussion als „populistisch und verzerrt“: „Entlassene Häftlinge als tickende Zeitbomben zu bezeichnen, finde ich menschenverachtend.“ Natürlich sei ein Vergewaltiger ein Mensch, der schwere Schuld auf sich geladen habe und dafür bestraft werden müsse. Aber oft werde die Gefährlichkeit überschätzt. Für den Institutsdirektor ist es keine Alternative, Straftäter, die ihre Haft abgesessen hätten, „in großer Zahl auf unbestimmte Zeit einzusperren“. Das verbiete das Menschenbild des Grundgesetzes, das prinzipiell jedem eine zweite Chance ermögliche. Notwendig seien ein gutes Übergangsmanagement zwischen Gefängnis und der Zeit außerhalb des Knasts. „Wir brauchen deutlich mehr spezialisierte Bewährungshelfer, die sich intensiv um ihre Klienten kümmern können.“ Darum müsse der Personalschlüssel dringend geändert werden, forderte Kinzig. Auch seien viele Häftlinge, die jahrelang ein durchgetaktetes Leben im Gefängnis gehabt hätten, mit dem Leben in Freiheit überfordert. „Wir benötigen Möglichkeiten des betreuten Wohnens, die Hilfe und Struktur bieten.“ Kinzig will das Jubiläum des Tübinger Instituts für Kriminologie dazu nutzen, den Stellenwert der Kriminologie innerhalb der juristischen Ausbildung hervorzuheben. „Die Kriminologie ist ein Wahlfach. Man kann somit auch Strafrichter werden, ohne eine kriminologische Vorlesung besucht zu haben.“ Dabei sei es sehr wichtig, der Gesellschaft Rechenschaft abzulegen, was die Justiz mit den Straftätern mache und wie funktionierender Opferschutz aussehe. dapd (Politik/Politik)
Tübinger Kriminologe lehnt nachträgliche Sicherungsverwahrung ab
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Peer-Michael Preß
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