Karlsruhe (dapd). Auch historische Urteile haben ihre menschlichen Momente. Vielsagende kleine Versprecher zum Beispiel. Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte am Mittwoch bei der Urteilsverkündung schon zehn Minuten lang all jene Vorschriften und Vertragsklauseln „heruntergebetet“, gegen die der dauerhafte Euro-Rettungsschirm und der Fiskalpakt nach Ansicht der Kläger verstoßen sollten. Voßkuhle tat dies gewohnt eloquent und fehlerfrei. Doch dann kam er zu den gigantischen Milliardensummen, um die es geht, und plötzlich geriet auch der Gerichtspräsident ins Stocken. Es war die Stelle, bei der das Gericht den völkerrechtlichen Vorbehalt fordert, dass Deutschlands Kapitalanteil am ESM tatsächlich auf 190 Milliarden Euro begrenzt bleibt. Als Voßkuhle diese Passage vortrug, stand vor ihm allerdings nicht „190 Milliarden Euro“ – was einfach zu lesen gewesen wäre -, sondern die exakte Zahl: 190.024.800.000 Euro. Der Präsident las zunächst „190 Milliarden, 24 Tausend“, stockte kurz und erinnerte sich dann offenbar daran, dass nach den Milliarden ja erstmal die Millionen kommen und dann erst die Tausender. Erst im zweiten Anlauf und nach einem unjuristischen „äh“ schaffte er die monströse Zahl. Am Ende der rund zweistündigen Urteilsverkündung, die zum Teil auch vom Berichterstatter in dem Verfahren, Verfassungsrichter Peter Huber, bestritten wurde, war auch Voßkuhle erschöpft: „Es war für alle Beteiligten anstrengend, aber das war dem Gegenstand angemessen“, resümierte der 48-Jährige. Der Zweite Senat habe vor „besonderen Herausforderungen“ gestanden, betonte Voßkuhle. Dabei bezog er sich auf die „eminente politische Bedeutung des ESM-Vertrages und des Fiskalpakts für Deutschland und Europa bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise“. Und auf die „fast beispiellose Intensität der öffentlichen Diskussion“. Konsequenterweise war auch der Medienansturm im Verfassungsgericht beispiellos. „Einen solchen Medienrummel haben wir hier noch nie erlebt“, sagte Gerichtssprecherin Judith Blohm auf dapd-Anfrage. Allein 20 Fernsehsender berichteten aus Karlsruhe, darunter der japanische Sender NHK, der arabische Sender Al-Dschasira oder der russische Fernsehsender NTW. Schon mehr als eine Stunde vor der Urteilsverkündung gab es im Presseraum keine freien Stühle mehr an einem der begehrten Tische, sondern nur noch freie Nischen an den Fenstern. Das Gericht hatte schon vorsorglich darauf hingewiesen, dass „aufgrund des enormen Medieninteresses im Gebäude mit äußerst beengten Platzverhältnissen zu rechnen ist“. Die Liste der akkreditierten Medienvertreter umfasste mehr als 200 Personen, darunter nicht nur deutsche und europäische Zeitungen, Rundfunksender und Agenturen, sondern auch die US-Zeitung „The New York Times“ oder die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Das Medieninteresse hatte sich angesichts des immer näher rückenden Urteils regelrecht „hochgeschaukelt“. Die Gerichtssprecherin sagte es ganz unverblümt: „Der absolute Hype!“ dapd (Politik/Politik)
Ein präsidialer Versprecher und der absolute Medienhype
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Peer-Michael Preß
Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de Alle Beiträge von Peer-Michael Preß anzeigen