Berlin (dapd). Bei den geplanten direkten Hilfe für marode europäische Banken droht offenbar schlimmstenfalls der Totalverlust von Steuergeldern. Der künftige ESM-Chef Klaus Regling sagte der „Welt am Sonntag“, die jeweiligen Staaten müssten keineswegs für die Geldspritzen haften. Damit wäre das Geld weg, sollte eine Bank Pleite gehen. Regling ging damit auf Distanz zu Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der hatte erklärt, die Regierung gehe von einer staatlichen Haftung aus.
Der Bund der Steuerzahler warnte vor Steuererhöhungen wegen des ESM. Regling bezog sich auf die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf verständigt, dass die EU-Kommission Anfang September den Vorschlag für eine zentralisierte Bankenaufsicht unter Einbeziehung der EZB für die Eurozone vorlegt. Sobald die Aufsicht steht, sollen Banken direkt den neuen Schirm ESM anzapfen können. Regling erklärte, wenn es eine wirkliche Bankenaufsicht durch die EZB gebe, „dann besteht die Möglichkeit, dass wir Kredite direkt an Banken geben und sie nicht wie heute über die Regierung leiten. Dann ist das Land raus aus der Haftung.“ Er schloss sich damit der Meinung von Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker an. Schäuble hatte sich hingegen bereits mehrfach gegenteilig geäußert.
ESM-Risiken laut Schäuble klar begrenzt
Der „Mittelbayerischen Zeitung“ sagte Schäuble, die deutschen ESM-Risiken seien klar definiert und auf 190 Milliarden Euro begrenzt – 168 Milliarden an abrufbaren Garantien und 22 Milliarden als Bareinlage. Das seien alle deutschen ESM-Risiken. „Und ein jeder, der darüber hinaus irgendwas von ‚gesamtschuldnerische Haftung für die Banken in der EU‘ und ähnliches mehr in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rat von Ende Juni 2012 sehen möchte, sollte einen Besuch beim Optiker ernsthaft in Betracht ziehen, denn es steht nichts davon drin“, erklärte der CDU-Politiker. Am Donnerstag will der Bundestag in einer Sondersitzung über die Hilfen für den spanischen Bankensektor beraten. Dabei dürfte auch das Haftungsthema wieder aufflammen. Abgeordnete quer durch alle Fraktionen fürchten sich davor, dass immer mehr Milliarden Euro ohne Absicherung in klamme Länder gepumpt werden. Der bayrische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) erklärte bereits, er halte direkte Hilfen für Banken aus dem Rettungsschirm ESM ohne eine Haftung des jeweiligen Staates nicht für möglich. Die bayerische Landesregierung und ihr Chef Horst Seehofer (CSU) gehören zu den schärfsten Kritikern der Brüsseler Beschlüsse.
Steuerzahlerbund warnt
Der Bund der Steuerzahler sieht wegen des ESM zudem Steuererhöhungen auf die Deutschen zukommen. Dafür gebe es ein „hohes Risiko“, sagte Präsident Reiner Holznagel MDR Info. Es gehe in der europäischen Rettungspolitik um Milliarden, und die deutschen Steuerzahler seien diejenigen, die am kräftigsten dazu beitragen müssten. Insofern sei „die Gefahr hoch, dass zukünftig Steuererhöhungen anstehen“. Der Bundestag hätte dem ESM eigentlich nicht zustimmen dürfen, sagte Holznagel weiter. Schon jetzt betrage die Pro-Kopf-Verschuldung 25.000 Euro. Wenn man Risiken und Haftungspotenziale dazurechne, komme man schnell auf 30.000 bis 35.000 Euro.
Raffelhüschen fordert Auszeit
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen forderte vorerst einen Stopp für weitere Hilfen an die Defizitländer. „Es ist wie im Basketball: Um sich zu sortieren, muss man erst einmal eine Auszeit nehmen“, sagte er der „Welt“. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, widersprach. „Wir befinden uns mitten in einer Krise, ein Bank-Run in einem einzigen Land kann sich schnell auf ganz Europa ausbreiten“. Deshalb dürfe man keine Zeit verlieren. Geht es nach dem Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sollten Krisenstaaten den Euro-Raum vorübergehend verlassen können. „Assoziierte Mitglieder werden beim Austritt und der temporären Wiedereinführung einer eigenen Währung von den anderen Mitgliedern unterstützt, müssen aber Reformauflagen erfüllen, wenn sie zurückkommen wollen“, schlug Sinn in der „Wirtschaftswoche“ vor.