Dresden (dapd-lsc). Trotz Hinweisen hat Sachsens Verfassungsschutz nach Expertenmeinung die rechtsextreme Terrorzelle NSU unterschätzt. Es gebe zahlreiche Indizien für eine enge Beziehung des NSU-Kerns zum Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“, sagte der Politikwissenschaftler Fabian Virchow am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags in Dresden. Diesen Indizien sei aber „offenbar nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt“ worden, fügte Virchow hinzu. Von 1998 bis 2000 habe es fünf Hinweise zur Verbindung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu „Blood & Honour“-Strukturen gegeben. So hätten die Thüringer Ermittler bei der Durchsuchung einer Garage in Jena nicht nur Material zum Bau von Rohrbomben gefunden, sondern auch eine Liste mit Adressen von Neonazis. Mundlos habe einen Artikel in einer „Blood & Honour“-Zeitschrift veröffentlicht. Später habe es eine Berichterstattung über das abgetauchte Terror-Trio gegeben, sagte der Experte unter Berufung auf Verfassungsschutzberichte. Zudem hätten andere Ermittlungsverfahren weitere Verbindungen von Böhnhardt und Mundlos zu „Blood & Honour“ gezeigt, deren harte Kerne sich in Zwickau, Chemnitz und Meerane befunden hätten. Offenbar fügten sich diese Indizien aber zu keinem Gesamtbild für die Ermittler zusammen, wie der Experte schilderte. Man hätte aber „etwas systematischer hingucken können auf diese ‚Blood & Honour‘-Strukturen“. Allein der Fund von Sprengstoff in der Jenaer Garage habe die Gewaltbereitschaft und extremistischen Strukturen verdeutlicht. Zudem habe sich die rechtsextreme Szene in den vergangenen Jahren stark radikalisiert. Der einmal im Monat tagende Ausschuss untersucht die Behördenarbeit im Fall der Mordserie des rechtsextremen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Die Terrorgruppe aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe flog im November 2011 nach einem Banküberfall in Thüringen auf. Ihr werden zehn Morde bundesweit zur Last gelegt. Mundlos und Böhnhardt erschossen sich nach dem Überfall in einem Wohnwagen, als die Polizei anrückte. Zschäpe jagte laut Polizei das Haus des Trios in Zwickau in die Luft. Dort waren die drei nach ihrem Wegzug aus Thüringen jahrelang untergetaucht. Zschäpe sitzt in U-Haft. Der im vergangenen März vom Landtag auf Initiative der Opposition beschlossene Ausschuss soll bis zum Ende der Legislaturperiode 2014 mögliche Fehler und Versäumnisse der sächsischen Behörden und der schwarz-gelben Landesregierung im Zusammenhang mit der Terrorzelle untersuchen. Nach einigen Sitzungen, in denen Beweisanträge eingebracht und Expertenanhörungen geplant wurden, war Virchow nun der erste Sachverständige, der im Ausschuss Auskunft gab. Andere geladene Experten hatten ihr Erscheinen abgesagt, darunter mit dem Verweis, Sachsens Landesregierung habe in der Vergangenheit mehrfach die Unterstützung von Forschungsprojekten zu Rechtsextremismus bei Schülern abgelehnt. Weitere NSU-Untersuchungsausschüsse gibt es im Bundestag und in Thüringen. Virchow verwies bei der Befragung noch darauf, dass nach dem bundesweiten Verbot von „Blood & Honour“ im Jahr 2000 der sächsische Verfassungsschutz den Begriff Rechtsterrorismus zunächst nicht mehr verwendet habe. Angesichts der Tatsache, dass Zwickau zu diesem Zeitpunkt neue Heimat des NSU wurde, sei dies paradox, betonte der 51-jährige Politologe, der an der Fachhochschule Düsseldorf den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus hat. „Die Ausführungen von Professor Virchow lieferten wichtige Korrekturen zu den Lagebildern in Sachen extreme Rechte, die die sächsischen Behörden regelmäßig verbreiten“, sagte Ausschussmitglied Kerstin Köditz (Linke). Ihr Ausschusskollege Miro Jennerjahn (Grüne) sagte, dass Virchow nicht ausgeschlossen habe, dass die Verbindungen der NSU-Mitglieder zum starken sächsischen „Blood & Honour“-Netzwerk unterschätzt worden seien. dapd (Politik/Politik)
NSU-Experte kritisiert Arbeit des Verfassungsschutzes
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Peer-Michael Preß
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