Berlin (dapd). Die EU-Kommission stützt die Initiative von Kanzlerin Angela Merkel, die strikten Sparvorgaben des Fiskalpakts mit einer Initiative für Wachstum und Beschäftigung zu flankieren. „Es ist möglich, die gute Führung öffentlicher Haushalte mit Wachstum zu versöhnen“, sagte Binnenmarktkommissar Michel Barnier der „Welt“. Die Gewerkschaften erneuerten ihre Kritik am Sparkurs der Euro-Staaten und stützten sich auf Zahlen des UN-Weltarbeitsberichts. Die SPD bescheinigte Merkel Führungsversagen in der weiter schwelenden Schuldenkrise.
Nach dem Willen der CDU-Chefin sollen die im Fiskalpakt besiegelten rigiden Sparvorgaben schon im Frühsommer ergänzt werden – und zwar durch eine neue Initiative für Wachstum und Beschäftigung. Merkel schlug dazu eine Stärkung der Europäischen Investitionsbank vor. Zugleich betont die CDU-Chefin aber, dass nicht wieder „Wachstum auf Pump“ angeregt werden dürfe und der Fiskalpakt an sich nicht aufgeschnürt wird.
Bereits auf dem Gipfel im März hatten die EU-Staaten über maßgeschneiderte Reformprogramme für Wachstum und Beschäftigung beraten. Geplant sind der Ausbau von Forschung und Bildung, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, Steuererleichterungen und der Abbau von Bürokratie. Beschlüsse könnte es beim nächsten Gipfel Ende Juni in Brüssel geben.
Der Fiskalpakt schreibt verbindliche Schuldenbremsen in allen 25 Teilnehmerstaaten vor – vorzugsweise mit Verfassungsrang. Zudem verhängt er automatisch Strafen, falls Staaten die Defizitregeln brechen. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat dem Pakt jeweils mit Zweidrittelmehrheit zustimmen.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen stellte den europäischen Krisenstaaten ein verheerendes Zeugnis in Sachen Arbeitsmarktpolitik aus. Die Sparmaßnahmen hätten weder zu mehr Wirtschaftswachstum noch zu einer Verbesserung am Arbeitsmarkt geführt. „Die einseitige Betonung von Sparmaßnahmen – zumal in den Euroländern – vertieft die Beschäftigungskrise und könnte Europa erneut in die Rezession bringen“, warnte der Direktor des ILO Forschungsinstituts, Raymond Torres.
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte, er sehe sich in seiner Kritik bestätigt. Ein Kurswechsel in Europa hin zu einem Wachstumsprogramm sei überfällig. Der Sparkurs bedrohe die Existenz von immer mehr Menschen. In Spanien sei jeder zweite junge Mensch ohne Beschäftigung. In Griechenland liege die Arbeitslosenquote über 20 Prozent. Auch in Deutschland hielten sich Millionen Menschen mit Minijobs, Leiharbeit oder als Scheinselbstständige über Wasser.
Die SPD im Bundestag hielt Merkel Führungsversagen vor. „Die Kanzlerin führt nicht, sondern setzt sich erst in Bewegung, wenn andere die Richtung vorgegeben haben. Beim Wachstumspakt ist es wieder Europa, das der Kanzlerin Beine macht“, erklärte Vizefraktionschef Joachim Poß. Einen Wachstumspakt fordere die SPD seit Monaten. „Merkels Kehrtwende kam, als sich die Forderungen der EU-Kommission und anderer europäischer Länder abzeichneten. Merkel hechelt wieder einmal hinterher, statt zu gestalten“, bilanzierte Poß.
Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, rügte die Informationspolitik der Regierung über die Auswirkungen des Fiskalpakts. „Der Bund hat bisher nicht erklärt, wie die Beschränkung auf eine gesamtstaatliche Neuverschuldung von maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts funktionieren soll“, kritisierte der SPD-Politiker im dapd-Interview. Die bisher geltenden Regeln der deutschen Schuldenbremse würden damit massiv verschärft.